Dabei gewesen im Gänsehautparadies
Sonntag, 24. August 2008

Extraklasse: Jacques Berndorf und Christian Willisohn heizten dem kalten Krieger ein

Premiere mit Höchstnoten im Bunker: Musikalische Lesung von Jacques Berndorf am Buch und Christian Willisohn am Klavier.

Premierenfieber mit Gänsehauteffekt: Was Jacques Berndorf und Christian Willisohn am Samstagabend (23.8.) vor vollen Rängen auf der Aussichtsplattform der Dokumentationsstätte Regierungsbunker veranstalteten, kann als Straftatbestand gelten. Tatort Bunker. In grobem Vorsatz entführten sie die Gäste mit ihrer musikalischen Lesung in einer Unterwelt, die einen solchen Fall noch nicht erlebt hatte. Und das hier, im Regierungsbunker, der abgekoppelt von der normalen Welt vor der Tür doch eigentlich durch nichts mehr zu erschüttern war.

Berndorf, der Erzähler. Dem man spätestens an diesem Abend die schlechte Übersetzung der Bedienungsanleitung eines irgendwo gefertigten Videorekorders als tragikomisches Machwerk moderner, eben international denkender Kulturen abgenommen hätte. Jedes Wort wäre es wert gewesen, verlesen zu werden. Und Willisohn: Er hat für sein Publikum - und mit dem Bunker gespielt. So virtuos, so hineingedacht und mit dem riesigen Resonanzraum von acht Kilometern Tunnelröhre vor seinem Klavier verwachsen, dass es den Zuhörern/Zuschauern schauderte. Danke beiden für diese Premiere an einem Ort, der vor fast 100 Jahren für mehrere Kriege geschaffen, noch nie einer solchen Veranstaltung zugänglich war.

Fast drei Stunden heizten Jacques Berndorf und Christian Willisohn dem kalten Krieger und den Gästen darin ein. Die hatten es bitter nötig, denn bei 12 Grad Temperatur und einer hohen Luftfeuchtigkeit, die beizeiten in die Knochen zog, musste vorne etwas her, was die körperlichen Leiden vergessen ließ. Sie haben es geschafft!

Es war der Traumauftakt in ein kulturelles Bunkerleben. Künftig sollen öfter die Plattform oder der „geschützte“ Museumsbereich des Bunkers etwas bieten. Konzerte, Lesungen, Vorträge – vieles ist machbar und möglich, wenn es hierher passt.

Jacques Berndorf. Grandios im Umgang mit dem gesprochenen Wort, Markenzeichen „Stimme“.

Mit Jacques Berndorf, Deutschlands erfolgreichstem Krimiautor, kehrte ein Mann zurück, der hier eigentlich nie vorstellbar, geschweige willkommen war. Im Bunker als Ausweichsitz der Verfassungsorgane. Als Journalist hatte er das Staatsgeheimnis durchleuchtet, es aus dem dunklen Tal der Geheimhaltung hinaus geführt ans Licht der öffentlichen Wahrnehmung. Das kam nicht überall gut an, schon gar nicht bei der Bonner Regierung. Umso beliebter war Berndorfs Literatur aus dem Jahr 1984 „Der Bunker der Bundesregierung“, die noch unter dem bürgerlichen Namen Michael Preute firmierte, in Ostberlin. Die Stasi sammelte und wertete aus. Die Originalunterlagen kehrten am Konzertabend in den Bunker zurück und informierten über das, was einst „Der Spiegel“ veröffentlichte und was die Staatssicherheit in ihrer Hauptabteilung Aufklärung daraus machte. Eine wundersame Dreiecksbeziehung Bundesrepublik – DDR – Berndorf. Der nahm es gelassen und erzählte aus jener Bunkerzeit, dann griff der dritte Mann, Otto Krause, ein. „Otto Krause hat den Blues“ ist eine musikalische Lesung, die Berndorf und Willisohn vor einigen Jahren in die Welt setzten und mit Leidenschaft und Können so famos mit Leben erfüllen, das man mitleiden/mitleben muss. Auch und besonders an diesem Abend.

Christian Willisohn am Klavier. Er spielte im Bunker und mit ihm. Der acht Kilometer lange Resonanzraum überraschte ihn bei den Proben. Als es am Abend ernst wurde, entlockte er dem Bunker Töne der Extraklasse.

Dass Christian Willisohn dabei nicht nur die Gefühlswelt seiner Zuhörer Extremwerten aussetzte, sondern auch sein schwarzes Schaf als Sitzpolster arg strapazierte, sei ihm schon deshalb verziehen, weil er alles mit Leidenschaft macht. Die Blicke ins Publikum zählten dazu, die zu Freund Berndorf, die in den ausgeleuchteten kilometerlangen Tunnel vor seinem Klavier ebenso. Er kokettierte gekonnt, entlockte dem Stollensystem des Bunkers Dinge, die man hier noch nie zu hören bekam, gar nicht wusste, dass so etwas geht. Den festen Anschlägen der Klaviatur folgte der spitzbübische Blick, was daraus wird, dann die zarten Anschläge dort, wo man Sekunden später wieder in den Nachhall eintauchen konnte.

Seine Frage nach Ende der Vorstellung, „Wollt ihr mehr?“, wurde schnell wie nie (Aussage der Künstler) mit einem deutlichen "Ja" beantwortet. Also gab es den Nachschlag: Eine Hommage an Louis Armstrong. Mit Anspielung auf den Antikriegsfilm „Good Morning Vietnam“ spielte Willisohn „What a Wonderful World“ – und das an einem Ort, der für den Weltuntergang in den Berg zementiert wurde.

Die Veranstaltung wurde unterstützt durch Piano Flöck, St. Sebastian und das Restaurant Prümer Gang aus Ahrweiler.


(Stand 24.8.2008)