So war der 3. Weltkrieg
Freitag, 06. März 2009

„E-Day“ vor 30 Jahren: Am 6. März 1979 beginnt der atomare Weltuntergang

Atombombe über dem kleinen Eifelort Marienthal, hier „nur“ in einer Fotomontage: Den Albtraum probte die Regierung alle zwei Jahre, so auch im März 1979.

Sie gelten noch immer als Tabu: Die streng geheimen NATO-Drehbücher für den 3. Weltkrieg sind Verschlusssache und der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Entstanden und stets weiterentwickelt im Kalten Krieg. Wie präzise die Planungen für die Stunden des Weltunterganges aussahen, wie detailliert der Weg dorthin durchgespielt wurde, machen jetzt erstmals freigegebene Akten deutlich. Zwar liegen die Original-Drehbücher noch immer in Geheimarchiven. Doch die, die mitübten, mussten sich an den NATO-Vorgaben orientieren und schufen eine eigene Aktenlage: Bundesinnenministerium, die Landesregierungen, die DDR-Spionage, darüber hinaus Erinnerungen von Teilnehmern. Eine spannende Zeitreise zurück ins Jahr 1979.

1979. Die harten Fakten des Kalten Krieges hinterlassen offiziell in den Geschichtsbüchern Ereignisse wie die UN-Abrüstungskonferenz in Genf, an der immerhin 40 Staaten, darunter alle fünf Atommächte, teilnehmen. Der NATO-Doppelbeschluss wird verabschiedet und schafft die Voraussetzung, dass ein modernisierter Raketenpark den Warschauer Vertrag noch massiver in Schach hält. Zugleich marschieren sowjetische Truppen in Afghanistan ein.

Was aber in keinem Geschichtsbuch steht: Am 6. März ist „E-Day“. Was hinter dem NATO-Kürzel steht? Es ist das Kippen einer Eskalationsphase zwischen West und Ost hin zu den ersten aktiven Kampfhandlungen des 3. Weltkrieges.

Dem gehen glasklar umschriebene Szenarien voraus, von denen die NATO-Planer annehmen, dass genau so eine wachsende Bedrohung im Ernstfall aussehen wird. Anschläge auf Flughäfen mit Geiselnahmen, unkontrollierte Bevölkerungsbewegungen, russische Frachter, die als „Havaristen“ den Nord-Ostsee-Kanal blockieren, anonyme Anrufe bei ranghohen Politikern mit Morddrohungen für die ganze Familie, die mit dem „Zuführen eigenmächtig abwesender“ Bundeswehrsoldaten völlig überforderten Feldjäger, Materialprobleme beim Aufbau von Kriegsgefangenenlagern.

Eine Abhandlung, die zur besseren Vorbereitung immer und immer wieder im elitärsten Kreis von Militär und Regierung geübt wird, bis jeder Handgriff sitzt.

Bundeskanzler „üb“: Wir üben mit einer tatsächlichen Situation

Eine Regierung verschwindet im Bunker (heute Museumsbereich): Teilnehmer der Wintex-Übung (1977) proben, streng abgeschirmt von der Öffentlichkeit, eine Woche lang den nationalen Ernstfall.

„Die Übungen berücksichtigten die tatsächliche Situation. Sie gingen aber insgesamt von der abstrakten Annahme einer zunehmenden Gefahrenlage aus und unterschieden den Spannungs- und den Verteidigungsfall“, beschreibt Prof. Waldemar Schreckenberger, als Staatssekretär und Chef des Bundeskanzleramtes gleich mehrfach ranghöchster ziviler Teilnehmer (Bundeskanzler „übungshalber“) solcher Einsätze aus eigener Erfahrung.

Die präzisen Angaben für den „Spannungs- wie auch Verteidigungsfall“ erhalten die Stabstellen mit der Ausgabe der NATO-Drehbücher, die für den deutschen Teil im „Amt für Studien und Übungen der Bundeswehr“ bearbeitet und um „nationale Einlagen“ ergänzt werden. Drei Wochen zieht man auf Kommandoebene mit diesen Drehbüchern in den Krieg und reagiert auf die Vorgaben, muss sie lösen.

Dann ist Schluss, werden alle Unterlagen wieder eingesammelt – Empfang wie Abgabe der streng geheimen Papiere mit Unterschrift quittiert. Mitnehmen dürfen die Teilnehmer allenfalls ihre Erinnerungen, verpflichten sich aber, diese für sich zu behalten. Eine Bindung, die weitestgehend bis zum heutigen Tag gilt.

Kriegsschauspiel im Regierungsbunker

Auf deutschem Boden zieht die Kommandostabsübung (Fallex, Wintex, Cimex) nach einem Vorspiel in den Räumen des Bonner Bundeskanzleramtes für die Regierung (üb) zum einwöchigen Hauptteil um in den „Ausweichsitz der Verfassungsorgane“, den Regierungsbunker an der Ahr. Seit 1966 ist die unterirdische Festung Schauplatz eines alle zwei Jahre wiederkehrenden Spektakels, bei dem übungshalber die Deutschen und der Großteil Europas ausgebombt werden. Es läuft ein feines Räderwerk aus militärischer und ziviler Kompetenz, das ein organisiertes Kriegsschauspiel antreibt. Und auch die Bundesländer üben mit. Viele haben eigene Bunker. Eine sogenannte "Rahmenleitungsgruppe" oder "Führungskopf" der Landesregierung, zusammengestellt durch das jeweilige Innenministerium, geht auf Tauschstation und verschwindet heimlich im geheimen Ausweichsitz. Tür zu, Technik an. Abgekapselt vom zivilen Leben wird der Ernstfall durchgespielt, mancherorts nur wenige Meter vom Alltag einer Schule, eines Kinderheimes oder Kirche entfernt und unbemerkt.

Während draußen die Zivilbevölkerung mit den ersten Kriegsschäden kämpft, kann die Bundeswehr auf riesige, unterirdische Ersatzteillager zurückgreifen, um ihre Maschinerie wieder flott zu machen. Einer der größten Bunker mit einem Lager auf 10 Stollenkilometern liegt in Lorch (Rheingau) und wurde zum Jahresende 2008 aufgegeben – im Bild ein Teil der Zufahrtsstraße.

Doch geht es in den ersten „Kriegstagen“ noch darum, das zivile Leben in deutschen Großstädten am Laufen zu halten, Menschen trotz Auswirkungen eines „selektiven“ Kernwaffeneinsatz gut aussehen zu lassen, schraubt sich das Szenario unaufhaltsam Stufe für Stufe nach oben. Einer 80-Kilotonnenbombe auf eine mittelgroße Stadt am Rhein folgt die Wucht einer Megatonnenwaffe. Das sind sagenhafte 50 Hiroshimabomben in einer Kapsel vereint.

Doch in den Waffenarsenalen der Supermächte liegen längst hochgezüchtete Wasserstoffbomben von 50 Megatonnen Sprengkraft TNT und mehr. Ihr Einsatz löst Druckwellen aus, die mehrfach den Globus umrunden. Welche Folgen es hätte, werden sie über Köln, Hamburg, München oder Berlin gezündet, entzieht sich jeder Vorstellung, geschweige militärischer Hochrechnung. Denn während die Russen längst ihre Superbombe „Zar“ mit rund 60 Megatonnen gezündet haben, berechnen Experten des bundesdeutschen Zivilschutzes in atomtechnokratischen „Zielgebietsanalysen“ Tote und Verletze nach dem Einsatz einer 80 Kilotonnen-Waffe, gezündet über der Rheinbrücke von Speyer. Ergebnis: Von 78.800 Bewohnern in Stadt und Umland sind 44.500 sofort tot. Die Überlebenden kämpfen ab sofort mit der radioaktiven Strahlung, die jedem Vierten ein siechendes Ende beschert. Wenn er die nächsten Tage und Wochen ohne weiteren Atomwaffeneinsatz überhaupt in einer friedlichen Welt verbringen kann ...

Die NATO-Drehbücher für „WINTEX 79“ beschreiben die politische Großwetterlage zwischen den Weltmächten in ihrer „Ausgangslage“ so: Nach einer längeren Phase allgemeiner politischer Spannungen, die bereits seit dem Winter 1977 andauert, wird Anfang Februar 1979 die Nordflanke der NATO durch gegen Norwegen und Dänemark gerichtete massive politische und militärische Maßnahmen seitens „Orange“ (Sowjetunion und verbündete Staaten des „Warschauer Pakts“) bedroht.

Die NATO reagiert auf diese Lage. WINTEX 79 beginnt am Mittwoch, den 14. Februar 1979.

Tag „E-20“, Mittwoch, 14.02.1979. Die NATO beschließt, die Streitkräfte in Europa zu verstärken. Die Eingreiftruppe AMF(L) wird nach Norwegen verlegt.

Tag „E-16“, Sonntag 18.02.1979. NATO-weit wird die Stufe „Military Vigilance“ (unterste Alarmstufe „Militärische Wachsamkeit“) ausgelöst. Die NATO-gemeinsamen Reaktionen führen in den Folgetagen kurzfristig zu einem Nachlassen der unmittelbaren militärischen Bedrohung durch „Orange“ (NATO-Code für die Sowjetunion und verbündete Staaten des „Warschauer Pakts“) und zu einer zeitweiligen Stabilisierung der Gesamtlage. Nach kurzer Zeit deuten jedoch Anzeichen auf einen bevorstehenden Aufmarsch der „Orange“-Streitkäfte – insbesondere Seestreitkräfte – hin. Aufgrund dieser erneuten verschärften Bedrohungssituation erfolgt am

Tag „E-12“, Donnerstag, 22.02.1979 die Auslösung einzelner Alarmmaßnahmen aus den Alarmstufen „Simple Alert“ und „Einfacher Alarm“ (ZAP). Die NATO veranlasst zu diesem Zeitpunkt die Verlegung auswärtiger Verstärkungskräfte aus den USA, Kanada und Großbritannien in den NATO-Kommandobereich Europa. Auf dem Luftweg treffen 15.000 Infanteristen sowie 3.500 Mann eines „Panzeraufklärungsregiments“ im NATO-Bereich AFCENT (Zentraleuropa) im Raum Kaiserslautern ein.

Tag „E-9“, Sonntag, 25.03.1979. Auf dem Luftweg treffen weitere 15.000 Soldaten der 2. US-Panzerdivision auf den Flughäfen Kaiserslautern und Mannheim ein, die nach Münster und Osnabrück verlegt werden. Am darauffolgenden

Tag „E-8“, Montag, 26.03.1979, werden diese Einheiten durch weitere 15.000 Soldaten der „4. US-mech. Infanteriedivision“ verstärkt.

In Rotterdam treffen die ersten Soldaten der 9. Infanterie-Division aus den USA auf dem Seeweg ein. Über den niederländischen Großhafen sollen 15.000 Mann für den Raum Kaiserslautern bereitgestellt werden.

Tag „E-6“, Mittwoch, 28.02.1979. Auch über den Hafen von Antwerpen und Brüsseler Flughafen wird Verstärkung auf den erwarteten Kriegsschauplatz Europa geschickt, darunter die „1. luftbewegliche Infanteriedivision“, die „197. Infanteriebrigade“, die „194. Panzerbrigade“ oder die „2. Panzerbrigade `Round out´“. Aufstellungsräume sind in den meisten Fällen “NORTHAG” in Münster und Osnabrück, bzw. „AFCENT“ in Kaiserslautern, in einem Fall (II. MAF/MAB) Dänemark und Schleswig-Holstein.

Ab hier ist die Übung „Wintex/Cimex 79“ in zwei Phasen untergliedert. Phase 1 umfasst den Zeitraum vom Tag E (Dienstag, 06.03.1979) bis zum Tag E+10 (Freitag, 16.03.1979). Phase 2 beginnt am Tag E+11 (Sonnabend, 17.03.1979) und dauert bis zum Übungsende am Tag E+17 (Freitag, 23.03.1979).

Phase 1 beschreibt eine ständig zunehmende Bedrohung der NATO-Staaten durch „Orange“. Im Mittelpunkt der Übung stehen Maßnahmen der Krisenbewältigung, die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte herzustellen und die Heranführung auswärtiger Verstärkungskräfte. Eine entscheidende Bedeutung kommt der zivil-militärischen Zusammenarbeit zu. Dafür wird ein Höchstmaß an ziviler Beteiligung gefordert wie auch die Sicherstellung erforderlicher militärischer Ansprechpartner.

Alles reine Nervensache ab Tag „E“. Für die Übung bedeutet das eine neue Stufe der Einbeziehung von Teilnehmern, die sich ab sofort auf aktive militärische Auseinandersetzungen einstellen müssen, ohne zu wissen, wann diese im Drehbuch vorgesehen sind und ob sie taktisch oder der Auftakt umfangreicher Kampfmaßnahmen sind.

Tag „E“, Dienstag, 06.03.1979. Weitere Alarmstufen und die „Feststellung des Spannungsfalls“ werden, abhängig vom bisherigen Verlauf der Übung, ausgelöst. Geplant ist, zwischen „E+8“ und „E+10“ „Reinforced Alert“ und „Erhöhten Alarm“ (ZAP) zu erreichen.

In diplomatischen Noten an alle NATO-Staaten (Bezeichnung „Blau“) erklärt „Orange“ bestimmte Teile des Nordatlantiks zu Sperrgebieten für Übungszwecke. Der jugoslawische Luftraum wird für die Zivilluftfahrt gesperrt. Fischfang und die Förderung von Öl und Erdgas in der Nordsee werden durch „Orange“-Schiffe und Flugzeuge belästigt. Fischereifahrzeuge des Ostblocks verletzten außerdem nationale Fischereigrenzen und Fischereiabkommen.„Orange“-Truppen werden aus Polen in die DDR und CSSR verlegt.

An der innerdeutschen Grenze werden die Truppen der DDR-Grenzsicherung und Grenzaufklärung verstärkt. Zeitgleich wird der weitere Ausbau der Grenzsicherungsanlagen eingeschränkt, dann ganz eingestellt. Die Luftraumüberwachung der Grenze mit Hubschraubern wird verstärkt, schließlich kommen dafür auch Strahlflugzeuge zum Einsatz. Damit verbunden ist eine Zunahme der Hoheitsverletzungen durch diese Einsatzkräfte.

Spionage und Zersetzungstätigkeit auf bundesdeutschem Gebiet, die den Verdacht der Sabotage nahe legen, werden erkannt, sind aber noch nicht sehr intensiv. Es treten erste „wilde Streiks“ auf, Flugblätter machen die Runde und das Hauptziel „feindlicher“ Agitation sind Großbetriebe, hier besonders ausländische Arbeitskräfte, die zur Reise in ihre Heimatländer motiviert werden sollen, um mit ihrem Fehlen die Produktion zu stören, bzw. zum Stillstand zu bringen.

Die NATO wird öffentlich beschuldigt, Kriegsvorbereitungen zu treffen. Der Bundeswehrführung wird amerikanische Hörigkeit vorgeworfen. Flugblattaktionen werden insbesondere in Universitätsstädten durchgeführt, Demonstrationen finden bald auch vor Kasernen statt. Im Mittelpunkt hier stehen die Aussagen: Die Bundesrepublik ist nicht zu verteidigen, die Bundeswehr solle aufgelöst werden, der Wehrpflicht solle nicht Folge geleistet werden. Anonyme Bombendrohungen, insbesondere in Ballungszentren, sollen die Polizei irreführen. Es kommt zur Zunahme von Anschlägen, zunächst gegen nichtlebens- und kriegswichtige Anlagen und Einrichtungen, die aber katastrophenähnliche Ausmaße annehmen.

In zahlreichen Fällen werden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und deren Familien durch anonyme Anrufe bedroht. Es ereignen sich Attentate und Geiselnahmen.

Die Bundesbürger reagieren auf die sich zuspitzende Situation mit Hamsterkäufen, die besonders in den Ballungsgebieten die Versorgung der Streitkräfte beeinträchtigen. Das Zivilpersonal militärischer Einrichtungen protestiert gegen verlängerte Arbeitszeiten. Im Verkehrswesen wird Phase 1 des Plans „Limmer“ ausgelöst und so die westliche Handelschifffahrt in die entsprechenden NATO-Richtlinien eingewiesen.

(Das Einspielen der subversiven Aktionen in den Übungsverlauf wird so vorgenommen, dass die Wintex/Cimex-Übungsteilnehmer nicht klar erkennen können, welche „Orange“-Absichten es gibt und insbesondere wann der Zeitpunkt des Beginns militärischer Kampfhandlungen gekommen ist.)

Am 6. März 1979 kommt es zu einer realen Anspannung zwischen Ost und West. Wie die ostdeutsche Nachrichtenagentur ADN meldet, hat sich die NATO-Sekretärin Ursel Lorenzen in die DDR abgesetzt. Als Grund nennt die über mehr als ein Jahrzehnt in sensiblen NATO-Bereichen eingesetzte Lorenzen „Gewissensgründe“. Tatsächlich musste der DDR-Spionagedienst die Sekretärin abziehen, da man um ihre Enttarnung fürchtete. Ost-Berlin nutzt die Flucht öffentlichkeitswirksam, um in die Phase der anlaufenden WINTEX-Übung (über die man seit Monaten unterrichtet war) in Presseberichten über die aggressive Angriffspolitik der NATO zu berichten.

Tag „E+1“, Mittwoch, 07.03.1979: Indien lädt zu einer Abrüstungskonferenz ein, auf dem Frankfurter Flughafen wird ein Anschlag verübt, der Osten setzt gefälschte Funksprüche ab.

Tag „E+1“, Mittwoch, 07.03.1979. Der indische Premierminister lädt die Regierungschefs von „Orange“ und „Blau“ sowie von Jugoslawien und anderen blockfreien Staaten zu einem Gipfeltreffen am 10. März nach Neu Dehli ein. Am Verhandlungstisch soll die gespannte Lage entschärft werden. Die westlichen Regierungschefs nehmen die Einladung an. Aus diplomatischen Kreisen verlautet, dass „Orange“ vermutlich nicht teilnehmen wird. Zeitgleich werden die Lufträume über Bulgarien, Rumänien und Ungarn für Luftfahrzeuge von „Blau“ gesperrt.

An der finnischen Grenze marschieren „Orange“-Truppen auf, die außerdem auf dem Luftweg Richtung Westen (DDR und Nord-Polen) verlegt werden. Es gibt Anzeichen in „Orange“ für eine Umstellung der zivilen Produktion von der Friedens- auf eine Kriegsproduktion. Der Westen fängt „Orange“-Meldungen ab, die bewusst unrichtig, entstellt, unzuverlässig oder gefälscht sind – durchsetzt mit Meldungen, die vollkommen zutreffend sind.

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Stromschwankungen nach Plan. Fallex 79 berücksichtigt im NATO-Drehbuch auch Probleme bei der Gas- und Stromversorgung – im Bild die Stromeinspeisung für den Regierungsbunker in Dernau, Versorgungsbauwerk 410. Wichtige Anlagen von Militär oder Regierung stehen noch nicht auf der Anschlags-Agenda von „Orange“ – so plant es wenigstens „Blau“.

Die Bundeswehr erhöht ihre Einsatzbereitschaft mit einer Aufstockung zur Erreichung des Kontingents I. Durch Beschädigungen oder Unfälle ergeben sich Verzögerungen beim logistischen Transportnachschub durch die Luftwaffe. Auch beim Straßentransport gibt es aufgrund von Unfällen gerade in Süddeutschland Versorgungsengpässe mit kriegswichtigem Großgerät. Es treten auch erste, aber noch vereinzelte Betriebsstörungen in Strom- und Gasversorgungsunternehmen auf. Erste Anschläge richten sich gegen Fernmeldeeinrichtungen der „Blau“-Streitkräfte. Vermehrt wird Spionage festgestellt, besonders durch „Orange“-Militärmissionen in Süddeutschland. Über fünf Stunden fällt die Flugsicherheit des Frankfurter Flughafens nach einem Bombenalarm aus – für den militärischen Teil der Wintex/Cimex-Übung eine Schlüsseleinlage.

In den westlichen Ostsee- und Nordseehäfen befinden sich 10 Handelschiffe des „Orange“-Blocks, die die Häfen früher verlassen wollen. Schiffe auf dem Weg in diese Häfen ändern den Kurs. Im zivilen Seefunkverkehr treten Störungen durch zusätzlich in Betrieb genommene militärische Hochfrequenz-Funkverbindungen auf.

Zahlreiche jugoslawische Arbeiter kehren wegen Einberufung zum Wehrdienst in ihr Heimatland zurück. In rüstungswichtigen Betrieben sowie bei den amerikanischen und britischen Streitkräften ergeben sich erste Probleme mit Arbeitskräften.

Vor der norwegischen Küste verlieren die Russen ein Atom-U-Boot, während einer ihrer Frachter den Nord-Ostesee-Kanal blockiert. In Nürnberg werden drei Soldaten wegen Drogenbesitzes festgenommen.

Tag „E+2“, Donnerstag, 08.03.1979. In den frühen Morgenstunden erklärt „Orange“ den Verlust eines Atom-U-Bootes vor der westnorwegischen Küste bei Tromsö aufgrund einer feindlichen Aktion durch „Blau“. Norwegen und Dänemark werden durch „Orange“ unter Druck gesetzt. (Tatsächlich sinkt am 7. April 1989 das russische Atom-U-Boot „Komsomoljets“ 500 Kilometer westlich der Hafenstadt Tromsö – in einem Gebiet, dass in der Wintex/Cimex-Übung zehn Jahre vor dem Unglück beschrieben wird. Es ist einer von acht im Kalten Krieg bekannt geworden Untergängen von Booten der UdSSR). „Orange“ verlagert umfangreich Truppen aus Polen in die DDR und Richtung Süd-Ungarn, die dort mehrfach die Grenze nach Jugoslawien verletzen. Zu einem Grenzzwischenfall kommt es auch in der Nähe von Helmstedt, bei dem eine Kompanie der DDR-Grenztruppen Flüchtlinge auf bundesdeutsches Gebiet verfolgt. Dieser Zwischenfall findet in der Phase des Heranführens von NATO-Deckungskräften im gleichen Raum statt – eine zusätzliche Verschärfung der Situation.

Der Luftverkehr über dem Atlantik wird durch „Orange“-Streitkräfte behindert, wie auch im Seeverkehr westliche Handelsschiffe.

Die Bundeswehr vollzieht erste, vorgezogene Aufmarschbewegungen. Zivile Flugplätze und kleinere der 2. und 3. Ordnung sollen durch die Luftwaffen benutzt werden. Beim Landtransport für geplante Aufmarschbewegungen für die amerikanischen und britischen Verstärkungskräfte sowie für das I. Niederländische Korps werden vor allem in den Großräumen Düsseldorf, Mönchengladbach, Köln und Nürnberg durch starkes ziviles Verkehrsaufkommen, starke Stauungen und Unfälle verzögert. Hier ist die Verkehrspolizei nicht mehr in der Lage, die Verkehrsregelungsmaßnahmen im erforderlichen Umfang durchzuführen. In der Folge bahnt sich u.a. in den Vertragswerkstätten der Bundeswehr eine begrenzte Versorgung mit Ersatzteilen an.
Es kommt zu ersten Ausschreitungen bei „Friedens“-Demonstrationen, insbesondere im Ruhrgebiet sowie in Frankfurt, Stuttgart, Kiel und Hamburg. Sitzstreiks vor Kasernen behindern dort einrückende Reservisten. Zäune von militärischen Objekten werden zerschnitten.

In Nürnberg werden drei Soldaten beim Kauf von Drogen durch die Polizei festgenommen. Im Wehrbereich III (Nordrhein-Westfalen) sind die Feldjägerkräfte nicht mehr in der Lage, den sprunghaft angestiegenen Nachforschungsersuchen der Truppe nach eigenmächtig abwesenden Soldaten nachzukommen. Das Zivilpersonal der Betreuungsfirmen für zwei Luftverteidigungsstellungen weigert sich, die Arbeit aufzunehmen. Die wilden Streiks nehmen insbesondere im Ruhrgebiet sowie in den Räumen Frankfurt und Stuttgart weiter zu. Auch in den Häfen weiten sie sich aus. Auffallend hoch ist der Anteil an ausländischen Arbeitskräften, die sich an den Streiks beteiligen.

Infolge einer Havarie blockiert der „Orange“-Frachter „Pioner Moskvy“ den Nord-Ostsee-Kanal und macht ihn so für andere Schiffe unpassierbar – auch als NATO-Nachschublinie.

Das Gipfeltreffen in Neu Dehli wird abgesagt, Jugoslawien fürchtet eine Invasion, zahlreiche Grenzen in Südosteuropa werden geschlossen. Auf dem Stuttgarter Flughafen gibt es eine Geiselnahme.

Tag „E+3“, Freitag, 09.03.1979. Der indische Premierminister teilt mit, dass das vorgeschlagene Gipfeltreffen nicht stattfindet, weil die Regierungschefs des „Orange“-Blocks abgesagt haben. Diese lasten das Scheitern des Treffens „Blau“ an.

Jugoslawien fordert den sofortigen Zusammentritt des UN-Sicherheitsrates, da es sich unmittelbar bedroht fühlt und fordert „Blau“ auf, eine etwaige Invasion durch „Orange“ nicht hinzunehmen.

Um Mitternacht werden die Grenzen zwischen Ungarn und Österreich, Ungarn und Jugoslawien, Bulgarien und Griechenland sowie zwischen Bulgarien und der Türkei geschlossen. Nachrichtendienste melden, dass „Orange“-Truppen an der jugoslawischen Grenze aktiv werden.

Am Morgen nach der mitternächtlichen Grenzschließung bilden sich lange Warteschlangen. In Südosteuropa werden mehrere Grenzen zwischen „Orange“-Staaten und Österreich, Jugoslawien, der Türkei und Griechenland geschlossen.

Die NATO bereitet die Evakuierung der Angehörigen der in der Bundesrepublik stationierten NATO-Streitkräfte vor. Der Aufmarsch der Deckungskräfte ist abgeschlossen, die präsenten Teile des Feldheeres stehen für den Aufmarsch zur Verfügung. Das Kontingent I ist zu 90 Prozent aufgewachsen. Probleme bereitet das Heranführen weiterer Verstärkung über den Luftweg: Flugsicherung, Aufnahmeeinrichtungen, die Versorgung mit Ersatzteilen wie auch die mit Karten und Plänen haben Kapazitätsgrenzen erreicht. Die Lufttransportkapazität ist für nationale und NATO-Einsätze voll verplant –auf Kosten ziviler Nutzung.

Anschläge werden u.a. auf ein Treibstofflager verübt. Terroristen nehmen auf dem Flughafen Stuttgart Geiseln und verüben Sprengstoffanschläge. Sie verlangen ein Landeverbot für auswärtige Verstärkungskräfte der NATO. Durch die verursachten Schäden kommt es zu Verzögerungen bei der Abfertigung und eine vierstündige Reparatur – für die Wintex/Cimex-Übung eine Schlüsseleinlage im militärischen und zivilen Bereich.

Die Feldjägerkräfte im Wehrbereich III (Nordrhein-Westfalen) sind nicht mehr in der Lage, den sprunghaft angestiegenen Nachforschungsersuchen der Truppe nach eigenmächtig abwesenden Soldaten nachzukommen.

Vermehrte Anzeichen deuten darauf hin, dass im „Orange“-Block Maßnahmen der Zivilverteidigung einschließlich der Alarmierung der Bevölkerung geübt werden. Weitere polnische Landstreitkräfte werden in die DDR verlegt. Der in der DDR und Polen eingesetzten Luftstreitkräfte werden weitere Flugzeuge zugeführt.

Zum letzten Mal übt Rheinland-Pfalz aus „Haus Horst“ in Burg an der Mosel. Doch das Krisenrefugium ist am Tag „E+3“ noch gar nicht besetzt. Die Länder steigen erst später in Wintex 79 ein.

Ganz real setzt das Bundesinnenministerium am 9. März um 23.27 Uhr an alle Führungsstellen der Bundesländer das erste Fernschreiben im Verlauf von „Fallex 79“ ab.

Es hat keinen Verschlussgrad und dient einer ersten technischen Funktionsüberprüfung, wie auch je ein Fernschreiben am 10. und 11. März.

Zu dieser Zeit sind die Führungsstellen der Länder noch nicht oder nur teilweise besetzt.

Im Ausweichsitz „Rheinland-Pfalz“ in Burg an der Mosel kann das Fernschreiben nicht angenommen werden, da die Anlage komplett abgeschaltet und unbesetzt ist.

Eingepackte Fernschreiber in einem Teil des Ausweichsitzes des Saarlandes. Auch bei Wintex 79 herrscht hier Funkstille, nimmt das Saarland aus Räumen des Innenministeriums teil.

Für einen Teil des noch im Bau befindlichen Ausweichsitzes des Saarlandes in Wadern gilt: „21 Grad, 59 Prozent Luftfeuchtigkeit“. Mehr gibt die wöchentliche Funktionsprüfung des voll eingerichteten Außenposten nicht her. Die Anlage bleibt bei Wintex 79 – wie auch allen anderen NATO-Übungen – abgeschaltet.

Ganz anders der Ausweichsitz der Landesregierung Nordrhein-Westfalen in Urft: Hier ist alles bereit zum Einrücken der Übungsteilnehmer aus Düsseldorf, die längst auf gepackten Koffern sitzen und nach den Vorbesprechungen wissen, wann es Richtung Bunker und damit übungshalber in den Krieg geht.

Die Invasion Jugoslawiens beginnt – und wird von der NATO hingenommen. Finnland wird von „Orange“ unter Druck gesetzt, Österreich schließt die Grenzen nach Deutschland und Italien.

Tag „E+4“, Sonnabend, 10.03.1979. „Orange“-Truppen marschieren in Jugoslawien ein, die Invasion hat begonnen. Zugleich fordern die Führer der „Orange“-Staaten den finnischen Präsidenten in einer geheimen Botschaft auf, die Stationierung ihrer Truppen als vorbeugende Verteidigungsmaßnahme zu dulden. Österreich schließt auf „Orange“-Druck seine Grenzen zu „Blau“ (Bundesrepublik und Italien).

Wachsende Probleme ergeben sich für die Feldjägerkräfte in den Wehrbereichen II (Niedersachsen) und V (Baden-Württemberg) bei Nachforschungsersuchen der Truppe nach eigenmächtig abwesenden Soldaten, die nicht mehr durchgeführt werden können. In der Bevölkerung tritt nach der Invasion Jugoslawiens eine wachsende Beunruhigung ein. In der Wirtschaft melden Auftragnehmer der Bundeswehr Lieferverzögerungen, da sie nicht ausreichend mit Edelstahlerzeugnissen beliefert werden.

Insbesondere in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg gibt es Schwierigkeiten bei der Versorgung der Streitkräfte mit Frischverpflegung. Auf den Straßen werden militärische Bewegungen durch starken zivilen Verkehr nach Süden und Westen behindert. Rüstungsmaterial kann wegen fehlender Transportmittel nicht rechtzeitig ausgeliefert werden. Logistische Unterstützungsmaßnahmen für die Verbände des II. (US) Korps verzögern sich um rund 5 Stunden. „Orange“-Handelsschiffe beginnen, die Häfen von „Blau“ zu verlassen.

Außerdem wirft Überbelegung der Militärflugplätze zunehmend Probleme auf. Das Territorialheer ist bedingt einsatzbereit.

Mit Anschlägen auf das Fernmeldenetz gerechnet: Die Deutsche Bundespost unterhielt bis vor kurzem bundesweit flächendeckend verbunkerte Vermittlungsstellen – so wie hier in Traben-Trarbach.

Die Zahl von Anschlägen auf das Fernmeldenetz steigt und lässt vermuten, dass „Orange“ die Auswirkungen testen will. Auch die Zahl von Anschlägen gegen die Streitkräfte steigen. Schwerpunkt ist hier Schleswig-Holstein und Niedersachsen. „Orange“ führt elektronische Störmaßnahmen gegen die Luftverteidigung von „Blau“.

In der Nacht werden „Orange“-Truppen an die Grenzen der CSSR und der DDR zur Bundesrepublik vorverlegt.

Je nach Verlauf der Übung und die bisher getroffenen Entscheidungen der Teilnehmer legen die Wintex-Unterlagen jetzt fest: „Spätester Zeitpunkt für die Auslösung der Alarmstufen „Simple Alert“ bzw. „Einfacher Alarm des ZAP.“ Bereits an „E-12“ waren einzelne Alarmmaßnahmen aus den Alarmstufen „Simple Alert“ und „Einfacher Alarm“ (ZAP) ausgelöst, die vollständige Auslösung aber Entscheidung der Übungsteilnehmer. „Simple Alert“ ist die unterste Alarmstufe für den Konfliktfall und bei WINTEX 79 hier mit der wiederholt genannten Möglichkeit der „Feststellung des Spannungsfalls“ (möglich ab Tag "E") als Vorstufe des Verteidigungsfalls verbunden. Noch handelt es sich also nach dem NATO-Alarmplan um eine Auseinandersetzung in geringem Umfang. 

Finnland lehnt eine Besetzung durch Orange-Truppen ab und informiert die skandinavischen Staaten über die Situation mit „Orange“. Albanien macht mobil, während die UdSSR ihre Transportfliegerkräfte sammelt. An der innerdeutschen Grenze kommt es zu einem ersten Feuergefecht.

Tag „E+5“, Sonntag, 11.03.1979. Der finnische Präsident unterrichtet in den frühen Morgenstunden den „Orange“-Botschafter in Helsinki, dass er die an ihn gerichtete Forderung (Stationierung von „Orange“-Tuppen in Finnland) ablehnt. Er äußert außerdem seine tiefe Besorgnis über die Vorkommnisse in Jugoslawien. Die skandinavischen Staaten werden über die geheime „Orange“-Forderung und die finnische Antwort unterrichtet. Norwegen fordert dazu auf, am Tag E+6 vormittags die „Orange“-Forderung an Finnland und die Gesamtsituation im NATO-Ausschuss für Verteidigungsplanung (DPC) zu beraten.

Albanien führt die Mobilmachung durch, während im Nachbarland Jugoslawien „Orange“ seine Angriffe fortsetzt. „Orange“-Truppen marschieren in Rumänien und Ungarn auf. Im russischen Militärbezirk Wolga werden militärische Transportflugzeugkapazitäten und die der Staatsfluggesellschaft Aeroflot zusammengezogen. Es beginnt eine Verlegung der „Orange“-Truppen aus den Militärbezirken Baltikum und Weißrussland in die DDR und aus dem Militärbezirk Karpaten in die CSSR. Starke Teile der polnischen Luftstreitkräfte werden auf Flugplätze in der DDR verlegt. Die östlichen Grenzgebiete zwischen der DDR sowie der CSSR zur Bundesrepublik werden evakuiert, die an der Grenze eingesetzten „Blau“-Streitkräfte durch „Orange“ beschimpft und in einem Fall unter Feuer genommen.

Der US-Seetransport nach Europa wird durch „Orange“-Schiffe erheblich belästigt. Von den US-Verstärkungskräften wird eine massivere logistische Unterstützung auf deutschem Boden gefordert. Besonders die Bereitstellung von Umschlaggeräten macht Probleme (namentlich auf den Flugplätzen Stuttgart und Saarbrücken).

Militärischer Funkverkehr stört Funkverbindungen der Bundesregierung, die größtenteils über die Polizeihauptfunkstelle in Kirspenich abgewickelt werden.

In der Bundeswehr macht sich eine überwiegende Unterwertigkeit bei Unteroffiziersstellen bemerkbar. Die Reservelazarettorganisation ist personell nicht einsatzbereit. Die Feldjäger haben jetzt in allen Wehrbereichen Probleme mit den Nachforschungsuntersuchungen, mit der Zuführung aufgegriffener Soldaten ist die Truppe überlastet. Durch Anschläge fallen erste Datenfernübertragungseinrichtungen aus, durch militärischen Funkverkehr werden Funkverbindungen der Bundesregierung gestört (die größtenteils über die Polizeihauptfunkstelle des Bundesinnenministeriums in Kirspenich bei Euskirchen als Teil des Regierungsbunkers abgewickelt werden).

Aufmärsche vor dem Bunker sollen die Sperrung der Durchgangsstraße und eine Hundertschaft Polizei in Reserve verhindern – vergeblich. Solche Aufmärsche sind allerdings in keinem NATO-Drehbuch vorgesehen.

Großdemonstrationen gegen die NATO-Politik gibt es im westlichen Ruhrgebiet, in Süd-Hessen, im Raum Kaiserslautern und in Kiel. Örtlich machen sich erste Anzeichen von Fluchtbewegungen der Bevölkerung bemerkbar – entgegen der durch zivile und militärische Stäbe ausgegebenen Weisung, die Wohnorte nicht zu verlassen. Diese Fluchtbewegung hat Engpässe bei der Treibstoffversorgung zur Folge.

Von Schäden durch Sabotage sind nun auch erste Einrichtungen betroffen, die der Aufrechterhaltung der Staats- und Regierungsgewalt dienen. Nach einem Terroranschlag auf das Territorialkommando Nord kommt es zu einem mehrstündigen Ausfall dieses Stabes.

„Orange“ greift Finnland an, gewinnt außerdem im Norden Jugoslawiens schnell an Boden. Westlich der Elbe beginnt der Gesamtaufmarsch der „Blau“-Streitkräfte. Die Regierungen von Bund und Ländern gehen in die Bunker.

Tag „E+6“, Montag, 12.03.1979. „Orange“ greift Finnland an – und trifft auf zunächst hartnäckigen Widerstand. Noch in den Morgenstunden ordnet jedoch die Regierung in Helsinki die Einstellung der Kampfhandlungen an. Währenddessen gewinnt „Orange“ im Norden Jugoslawiens schnell an Boden, verstärkt seine Armeekräfte auch in Rumänien und im Grenzgebiet der CSSR und DDR zur Bundesrepublik. Zugleich werden die dortigen Grenzräume weiter von Zivilisten geräumt. Es gibt Berichte, dass „Orange“ chemische Kampfstoffe in diese Gebiete bringt. Westlich der Elbe beginnt der Gesamtaufmarsch der „Blau“-Streitkräfte. Dabei muss man erkennen, dass die Feldjägerkräfte der Bundeswehr nicht ausreichen. Auch aus der Überbelegung von Flugplätzen ergeben sich zunehmend Schwierigkeiten.

Eine steigende Beunruhigung der Bevölkerung ist unübersehbar, Krankmeldungen und unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz nehmen zu. Mit der Verlegung von Bevölkerungsteilen aus mutmaßlichen Abwehrschwerpunkten in weniger gefährdete Gebiete wird begonnen.

Auf der Elbe kommt es zu einem Zwischenfall, als ein BRD-Zollboot einem im Wasser treibenden und offensichtlich verwundeten Mann zur Hilfe eilt. Dabei wird es von drei Booten der DDR-Grenztruppen angegriffen und mit Waffengewalt gezwungen, zum Ostufer zu folgen (tatsächlich kam es zu einem vergleichbaren Zwischenfall auf der Elbe zu Übungsbeginn von Fallex 66).

Auf bundesdeutschen Straßen mehren sich die Demonstrationen von pazifistischen, vereinzelt auch rechtsextremistischen Organisationen nach dem „Orange“-Einmarsch in Finnland. Dabei kommt es auch unter den Gruppen zu Zusammenstößen. In Frankfurt/Main nehmen rund 100 Soldaten aller Teilstreitkräfte in Uniform an der Kundgebung eines Friedenskomitees teil.

In vereinzelten Wehrbereichen gibt es Schwierigkeiten bei der Bereitstellung von Liegenschaftsgeräten, mit denen u.a. Kriegsgefangenenlager errichtet werden sollen.

Der Schiffsverkehr auf der Vogelfluglinie (wichtige Fährverbindung zwischen Dänemark und der Bundesrepublik) wird eingestellt. Die NATO rechnet mit der Verminung der Zugänge zu den Seehäfen der BRD.

Erstmals werden auf bundesdeutschem Gebiet Anschläge auf Munitionsdepots verübt – im Bild die NATO-Ablage bei Montabaur, heute ein Kunst- und Design-Center (b-05.org).

Bei der Notlandung eines amerikanischen Transportflugzeuges vom Typ C-141 auf dem Flugplatz Saarbrücken werden 85 Personen schwer verletzt. Die Startbahn muss für sechs Stunden gesperrt werden. Es gibt neue Ziele von Anschlägen, darunter nun auch Munitionsdepots und Eisenbahnlinien. Durch einen Sabotageakt auf eine Verstärkerstelle der Bundespost in Schleswig-Holstein fallen wichtige NATO- und nationale Fernmeldeverbindungen aus. Für die Inbetriebnahme von Sendern der PSV-Truppe wird die Mitbenutzung von zivilen Frequenzen im UKW-Bereich erforderlich.

Im Bereich des Territorialkommandos Süd wird auf einen amerikanischen Stab ein Terroranschlag verübt.

Am Morgen des 12. März, Punkt 8 Uhr, wird in der Kommandobefehlsstelle des Landes Rheinland-Pfalz in Burg an der Mosel die Betriebsbereitschaft hergestellt. Damit nimmt das Bundesland ab sofort an WINTEX 79 teil – wie auch weitere Bundesländer ins Übungsgeschehen einsteigen.

Der Regierungsbunker (Eingang West/Ost) greift ins Übungsgeschehen ein. Im Westteil der Anlage werden 250 Soldaten kaserniert.

Der Bund selber verlegt rund 300 Mitarbeiter aus Bonner Ministerien mit Bussen und PKW in den Ausweichsitz der Bundesregierung, der im Sprachgebrauch auf der Bonner Hardthöhe mit „BefStBReg“ abgekürzt wird – Befehlsstelle der Bundesregierung. Die Hubschrauberlandeplätze werden zwischen den Marienthaler Haupteingängen einsatzklar gemacht, zusätzlich wurde durch das BMI dafür eine Fläche am Waldrand von Niederesch bei der Gemeinde „gepachtet“. Ein großer Notausgang wie auch ein Belüftungsbauwerk wurden abgetarnt und sind übungshalber unter neuen Spezialnetzen verschwunden. Der Westteil unter dem Trotzenberg ist in militärischer Hand. Hier sind 250 bewaffnete Kräfte – vom Wachbataillon, die Feldjäger (sollen u.a. das „Herumlaufen- und stehen von Soldaten in ihrer Freizeit auf den Fluren“ verhindern) bis zu den Fernmeldern - kaserniert. 

Der Bereich für den Bundeskanzler im Ostteil des Regierungsbunkers, gesehen aus seinen Arbeitsräumen Richtung Schlafzimmer und Bad (Bauwerk 6). Am 12. März 1979 rückt hier der Bundeskanzler (üb) ein – und mit ihm im Bunker 300 Mitarbeiter der Ministerien.

Die Teilnahmebereitschaft der Bonner Ministerien ist alles andere als vorbildlich. Monate vorher hatte das Bundesinnenministerium dem Verteidigungsministerium in einer Verschlusssache sogar vorgeschlagen, ganz auf zivile Teilnehmer bei diesen militärlastigen NATO-Übungen zu verzichten. Sie wurden als „nicht mehr zeitgemäß“ abqualifiziert, aus denen sich keine verwertbaren politischen Erkenntnisse gewinnen lassen (ein Grund dafür wird in der Geheimhaltung genannt, die eine Auswertung für den politischen Alltag ausschließe). Das Tempo sei, gerade am Ende, zu hoch und überfordere zivile Stäbe in ihren Entscheidungen. Ein weiteres Problem: Man muss Personal finden, das in den Bunker geht! Da es am Friedenssitz fehlt, zögern die Ministerien mit dem Marschbefehl nach Marienthal. Der Sparzwang geht soweit, das man für den Versorgungsbetrieb im Regierungsbunker einen privaten Pächter sucht.

Bonn ist kriegsmüde – wie auch viele Bundesländer. Man schickt eine Rumpfmannschaft in die Schlacht. Doch die wird ab sofort beschäftigt und muss sich schnell im bisherigen Krisenverlauf zurechtfinden, eine Lage erstellen. So gehen im Ausweichsitz Rheinland-Pfalz am ersten Übungstag 130 Fernschreiben ein (darunter 25 „Geheim“), das letzte nachts um 3 Uhr und neun Minuten. Dann ist ersteinmal Feierband - bis 7 Uhr in der Früh am 13.3.1979 ...

„Orange“ bereitet einen Angriffskrieg gegen „Orange“ vor. Der Aufmarsch von Truppen ist größtenteils abgeschlossen, Bevölkerungsteile werden weiter aus den zu erwartenden Kampfgebieten evakuiert.

Tag „E+7“, Dienstag, 13.03.1979. Mehrere „Blau“-Staaten verurteilen heftig das Vorgehen von „Orange“ gegen Jugoslawien und Finnland. Die „Orange“-Führung ist von der energischen Haltung der „Blau“-Staaten überrascht und davon überzeugt, dass „Blau“ nunmehr Gegenmaßnahmen trifft. „Orange“ entschließt sich in dieser Situation zu einem Angriffskrieg gegen „Blau“. Der Ausbruch offener Kampfhandlungen steht unmittelbar bevor, wofür „Orange“ seine Kriegsvorbereitungen und Zivilverteidigungsmaßnahmen fortsetzt.

Die militärischen Bewegungen in den westlichen Gebieten der DDR und CSSR lassen nach. Alle „Orange“-Truppen der 1. Staffel (ohne 28. Armee) sind in den Konzentrierungsräumen versammelt. Im westlichen Teil der DDR, der CSSR und Polens werden weitere Flugplätze in Betrieb genommen. Im Militärbezirk Leningrad übersteigt die Bevorratung mit Versorgungsgütern alle normalen Bedürfnisse – hier sind wichtige Depots angelegt. Die Mehrzahl von zivilen Flügen östlicher Fluggesellschaften werden gestrichen, da das Gerät für militärische Zwecke gebraucht wird. Eine Umnutzung ziviler Ressourcen wird auch bei Handelsschiffen festgestellt, die mit Flugabwehrwaffen an Deck versehen werden.

Die Familienangehörigen der „Orange“-Militärmissionen verlassen das „Blau“-Gebiet, die Angehörigen der Missionen forcieren Spionagetätigkeit und beobachten sehr intensiv Truppenbewegungen, Flugplätze und Luftverteidigungseinrichtungen. 

Der Gesamtaufmarsch der Bundeswehr ist abgeschlossen (Regieanweisung im NATO-Drehbuch: „ggfls. auch erst an E+8). Das Territorialheer hat den Schutz rückwärtiger Gebiete zum großen Teil übernommen. Beim Heranführen der auswärtigen Verstärkungen ergeben sich allerdings Entladungs- und Transportprobleme.

Auf dem Flugplatz Hopsten (im nördlichen Nordrhein-Westfalen, 40 km entfernt von der niederländischen Grenze) ist der Funkverkehr durch starke Störsender unterbrochen. Auch zivile Rundfunksender von „Blau“ werden zeitweise gestört.  Auf dem Frequenzband I (Fernsehen) treten Störungen durch militärische Sender auf.

Durch einen Anschlag fällt ein wichtiger Treibstofftransport für die Verstärkungskräfte im Raum Kaiserslautern-Mannheim aus. Unterbrechungen in der Stromzufuhr für die Eisenbahn verursachen darüber hinaus erhebliche Verzögerungen bei Militärtransporten. Es werden Sabotage-Schweigenetze (sog. „Schläfer“) aufgedeckt.

Der Fernmeldeverkehr steigt im Zuge der Krise permanent an. Um in jeder Situation die wichtigen Informationskanäle offen zu haben, sind auch die Vermittlungsstellen in den Ausweichsitzen von Bund und Ländern betriebsbereit (im Bild Ausweichsitz Nordrhein-Westfalen, Urft).

Die Verlegung von Bevölkerungsteilen aus mutmaßlichen Abwehrschwerpunkten wird weiter fortgesetzt. Durch Bevölkerungsbewegungen im gesamten Bundesgebiet wird die Verlegung von Vorräten behindert.

Einige Auftragnehmer der Bundeswehr fordern unter Hinweis auf die im letzten halben Jahr gestiegenen Rohstoffpreise höhere Preise für Rüstungsmaterial, das zur Auslieferung an die Bundeswehr bereit steht.

Die ortsfesten und mobilen Fernmeldenetze der Bundeswehr sind ohne Einschränkungen betriebsbereit, die Netze der Bundespost stehen im friedensmäßigen Umfang zur Verfügung. Der Fernmeldeverkehr steigt weiter an.

Die Bevorratung von Bargeld für die Geldversorgung von NATO-Stäben wird über Bunkertresore der Landesbanken sichergestellt, im Bild der Tresorzugang im Ausweichsitz der Bundesbank.

Passend dazu: Im Ausweichsitz der rheinland-pfälzischen Landesregierung gehen am zweiten Übungstag bereits 170 Fernschreiben ein, darunter um 7.55 Uhr eine Meldung der Landesbank.

Die hat sich zurückgezogen in einen kleinen Hunsrück-Ort, nur 40 Kilometer vom Sitz der Mainzer Regierung entfernt.

Die Banker unterhalten dort ihren eigenen geheimen Bunker, der sich um 13.30 Uhr wieder meldet, dann um 16.26 Uhr, ein letztes Mal an diesem Tag um 23.02 Uhr. In diesem Bunker werden Bargeldreserven gelagert, mit denen die finanziellen Bedürfnisse der NATO abzusichern sind. Im Friedensfall ein 300 qm großes Betonverlies, soll der Megatresor erst im Spannungsfall mit DM-Beständen befüllt werden.

„Orange“ bereitet seine Bevölkerung planmäßig auf einen Krieg vor. An der innerdeutschen Grenze führt der Osten massive Minenräumungen durch, Luftraumverletzungen nehmen zu. Eine sowjetische Zivilmaschine überfliegt amerikanische Stellungen.

Tag „E+8“, Mittwoch, 14.03.1979. Die Regierungen der „Blau“-Staaten und der neutralen Länder versuchen mit allen politischen Mitteln, eine kriegerische Auseinandersetzung zu verhindern. Zugleich behauptet die „Orange“-Propaganda, es drohe ein Angriff von „Blau“ und bereitet seine Bevölkerung planmäßig auf einen Krieg vor. Es werden alle Maßnahmen getroffen, um das Vaterland und die Errungenschaften des Sozialismus zu verteidigen. Die Auslösung der nächst höheren NATO-Alarmstufe „Reinforced Alert“ bzw. „Erhöhter Alarm“ des ZAP steht unmittelbar bevor (bzw. kann in dieser Phase von WINTEX 79 ausgelöst werden).

In den westlichen Grenzräumen der DDR und CSSR werden nur äußerst geringe „Orange“-Truppenbewegungen verzeichnet. Eine Ausnahme bildet die 28. Armee, die jetzt in ihre Verfügungsräume im westlichen Grenzgebiet vorverlegt wird. Auf Divisions- und Regimentsebene besteht im Funkverkehr Sendeverbot. Eine scharfe Grenzüberwachung von „Orange“ wird beobachtet, außerdem lebhafte Erkundungstätigkeit und Minenräumungen auf östlicher Seite. Flugzeuge verletzen die Grenze auf Höhe von Hannover und Nürnberg. Angehörige der „Orange“-Militärmissionen kehren nach intensiver Spionagetätigkeit jetzt in die DDR zu den sowjetischen Truppenteilen (GSSD) zurück.

Nicht nur das DDR-Volk wird auf den Kriegsfall vorbereitet, auch die Staatsführung rechnet mit einem baldigen Angriff – im Bild das Stabsgebäude am Bunker des Nationalen Verteidigungsrates. Hier soll Erich Honecker den Kriegsfall überleben.

In Jugoslawien stoßen die „Orange“-Angriffskräfte bis zur italienischen Grenze vor. An der bulgarisch-griechischen Grenze stehen „Orange“-Truppen zum Angriff bereit.

In der Nordsee wird weiterhin die Handelsschifffahrt durch „Orange“ behindert. Es wird vermutet, dass „Orange“ europäische und sogar nordamerikanische Häfen sowie strategisch wichtige Seegebiete vermint hat. Ein Flugzeug der sowjetischen Staatsfluglinie Aeroflot überfliegt Verteidigungsräume des V. und VII. (US) Korps.

Sabotageakte und Anschläge nehmen massiv zu. Bevorzugte Ziele sind das öffentliche Verkehrsnetz, im militärischen Bereich Treibstoff- und Munitionsdepots, Anlagen der Luftverteidigung und des Fernmeldewesens, Standortfernmeldeanlagen, Datenübertragungsleitungen und Pumpstationen des militärischen Pipelinesystems.

Die Agitation und Propaganda in der BRD tritt noch intensiver in Erscheinung, nun auch mit dem Motto „Warum für die Amerikaner kämpfen?“. Demonstrationen und Ausschreitungen nehmen zu und behindern militärische Transporte. In den Häfen stauen sich Schiffe, deren Entladung sich wegen Streik, fehlender Arbeitskräfte oder Schäden an Entladeeinrichtungen nach Anschlägen verzögert. In Großstädten häufen sich Fälle, in denen Truppenteile nur unter Anwendung von Zwang die Kasernenausfahrten und Marschstraßen passieren können. Es fehlt an Feldjägern, die Polizei ist überlastet. Die Bundeswehr hat nach wie vor Schwierigkeiten wegen Personalmangel bei der Feldjäger-, Jäger- und Sanitätstruppe.

Die Bevölkerungsbewegungen setzen sich fort. Schwierigkeiten bereitet die Lenkung der Bewegungen. Die Möglichkeiten des Überschreitens der Grenzen zu den BENELUX-Staaten werden geprüft (eine Abstimmung dazu gibt es bereits mit den Kommandostabsübungen ab 1962; Frankreich kündigt an, in diesem Falle seine Grenzen für Flüchtlinge zu schließen. Frankreich ist NATO-Mitglied, seit 1966 aber nicht mehr in die Militärstruktur integriert.)

Erste Notlandeplätze werden aktiviert (lt. NATO-Drehbuch auch möglich an E+9/E+10). Die Kontrolle über den zivilen Luftverkehr wird den „Blau“-Kommandobehörden der Luftverteidigungsführung unterstellt. Mit der Räumung des Lübecker Hafens wird begonnen.

Rohrpostanlage in der großen Registratur des Regierungsbunkers. Hier landen alle VS-Unterlagen, werden registriert, der weitere Weg im Bunker protokolliert, die Vernichtung dokumentiert. Bei der ersten Kommandostabsübung ein Schwarzes VS-Loch, denn eine Reihe von Geheim-Unterlagen gehen eigene Wege im Megabunker.

Die Zahl der Fernschreiben zwischen den Befehlsstellen von Bund und Ländern steigt weiter an; auch im Verschlussgrad spiegelt sich die angespannte Phase im Übungsverlauf wider. Rheinland-Pfalz erhält 176 Fernschreiben, 38 davon mit der zweithöchsten Stufe „Geheim“, außerdem 42 „VS – nur für den Dienstgebrauch“. So erreicht den Ausweichsitz am Nachmittag zwischen 14.25 Uhr und 18.32 Uhr keine Meldung ohne Geheimhaltung. Auf Grund der zeitlich engen Eingänge läuft die Nachrichtentechnik pausenlos. Nicht nur für die Anlagen ein Ernstfall, sondern auch Höchstleistung für die Mitarbeiter. Denn einen VS-Grad „Geheim (üb)“ gibt es nicht, also muss mit den Verschlusssachen wie in einem Ernstfall verfahren werden – mit allen Registraturen, Nachweisen in Empfang, Weiterleitung und Vernichtung. Nach der Übung ist eine lückenlose Dokumentation über diesen Umgang bei der Übungsleitung nachzuweisen. Und die weiß ganz genau, was laut Drehbuch an Nachrichten unterwegs war. Gerade im Regierungsbunker in den Anfangsjahren der Übungen (Fallex) eine Schwachstelle, denn über die Größe des Bunkers verloren sich einige VS-Unterlagen auf noch geheimeren Wegen.

Die Truppenbewegungen in den Grenzgebieten zwischen „Orange“ und „Blau“ sind abgeschlossen. „Orange“ beginnt nun weitere Kräfte in den rückwärtigen Gebieten und Häfen zu sammeln.

Tag „E+9“, Donnerstag, 15.03.1979. Die Regierungen der „Blau“-Staaten und der neutralen Staaten setzen ihre Bemühungen zur Verhinderung einer kriegerischen Auseinandersetzung fort. In Finnland marschieren „Orange“-Truppen zur finnisch-norwegischen Grenze. „Orange“ beginnt mit Truppenverlegungen aus den westlichen Militärbezirken der UdSSR in die CSSR und den Ostteil der DDR. Die „Orange“-Vorbereitungen sind soweit abgeschlossen, dass ein Angriff innerhalb 24 Stunden möglich ist. Das Räumen von Minen im Grenzraum ist abgeschlossen. Weitere Grenzsicherungsanlagen werden abgebaut. Auch die Evakuierungsmaßnahmen der Bevölkerung im rückwärtigen Grenzraum sind offensichtlich beendet.

In den Ostsseehäfen von „Orange“ werden Landungsverbände zusammengezogen – eine Vorbereitung auf amphibische Landeunternehmungen. In den Räumen Hamburg, Hannover, Kassel und Regensburg nehmen die Luftraumverletzungen zu. Eine besonders intensive Spionage wird in den Räumen Uelzen – Lüneburg, Helmstedt – Hannover und Regensburg – Amberg festgestellt. Wegen Verdachts des Landesverrates wird der G 3-Stabsoffizier einer Division des I. Korps der Bundeswehr verhaftet.

Die Bundeswehr hat ihre Vorbereitungen soweit abgeschlossen, dass die vorgesehenen Verteidigungsstellungen unverzüglich besetzt werden können. Die Alarmmaßnahmen „Reinforced Alert“ bzw. „Erhöhter Alram“ sind möglicherweise in Kraft (die Entscheidung wird durch die WINTEX-Übungsteilnehmer nach ihrer Lagebewertung selbstständig getroffen). Flugblattaktionen und zersetzende Rundfunkpropaganda sollen die Wehrbereitschaft mindern, zeigen aber in der Truppe nur wenig Wirkung. Die Bundeswehr ruft ihre Hubschrauber aus zivilen Rettungszentren zurück.

Auswärtige Verstärkungskräfte fordern auch weiterhin Unterstützungsleistungen an für Munitionstransporte, die Nutzung von Verfügungsräumen und die Zuteilung von Frequenzen sowie eine Abstellung weiterer Verbindungskommandos.

Durch illegale Streiks sinkt die Instandsetzungskapazität der Luftwaffe um 20 Prozent. Auftragnehmer der Bundeswehr haben Schwierigkeiten, da ihre Zulieferer nicht liefern können oder wollen, und bitten das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung um Unterstützung. Erste Betriebe in Schleswig-Holstein, Hamburg, im östlichen Teilen Niedersachsens, Hessen und Bayern müssen wegen des Fernbleiben von Arbeitskräften schließen.  

Die Bevölkerungsbewegungen in der BRD dauern an. Es werden Forderungen auf Ausweichbewegungen erhoben.

In der Nacht zum 16. März nehmen die Sabotageanschläge beträchtlich zu. Der Schwerpunkt liegt im Rhein-Main-Gebiet. Durch einen Anschlag fällt die Wetteranalysezentrale des Zentralamtes des Deutschen Wetterdienstes für ca. 10 Stunden aus und kann keine Daten liefern, die für eine Lage notwendig sind. Im militärischen Bereich sind neben Fernmeldeeinrichtungen auch Hauptquartiere und Ausweichgefechtsstände betroffen. Im Bereich von Bremen und Düsseldorf fallen durch Sabotageanschläge auf Verstärkerstellen der Bundespost Fernmeldeverbindungen, u.a. auch zur NATO, aus. Eine Gruppe mutmaßlicher Saboteure flieht über die Grenze in die Niederlande.

Beobachtungen von „Orange“-Flugzeugen haben ergeben, dass sie Funkfeuer auf dem Gebiet der BRD als ergänzendes Navigationsmittel benutzen.

Ausweichsitz Rheinland-Pfalz. Im Verlauf von „WINTEX 79“ wird nun ein 24-Stunden-Dienst sichergestellt, Funksprüche und Fernschreiben gehen rund um die Uhr ein und werden beantwortet oder weitergeleitet.

Im Ausweichsitz von Rheinland-Pfalz gibt es jetzt keine Nachtruhe mehr. Der Funkbetrieb wie auch Fernschreibverkehr läuft rund um die Uhr, die Mitarbeiter der Ministerien aus Mainz lösen sich ab. Die Zahl der Fernschreiben, die im Notquartier der Landesregierung eingehen, steigt auf 206. Rechnerisch kommt hier alle sieben Minuten ein Fernschreiben an, darunter immer mehr vom Bund und seiner verbunkerten Nebenstelle. Es gibt kaum noch welche ohne Geheimhaltungsgrad. Dabei sind Exoten, wie um Punkt 14 Uhr die Zahlen zum Arbeitsmarkt in Rheinland-Pfalz, die einen Überblick verschaffen, welche Stellen in der Wirtschaft zu besetzen sind. Auch der Ausweichsitz von Nordrhein-Westfalen (13.18 Uhr) zählt zu den Absendern, die Landesregierungen von Hessen (14.56 Uhr), von Bayern (15.36 Uhr) oder des Saarlandes (16.28 Uhr). Um 18.50 Uhr meldet sich der Stab des Bundesinnenministeriums aus dem Regierungsbunker. Es ist 20.19 Uhr, als von der Bezirksregierung aus Neustadt an der Weinstraße die neusten Zahlen zu den Bevölkerungsbewegungen (üb) übermittelt werden. Mitten in der Nacht, um 1.05 Uhr funkt sogar die Landeszentralbank über den Ausweichsitz der Landesregierung ihren Bunker-Ableger in einem kleinen Ort des Hunsrücks an. Auch dort wird nun rund um die Uhr Krieg gespielt.

Die Krise weitet sich international aus. In Syrien und dem Irak übernehmen „Orange“-Kräfte die Macht, Einrichtungen auf den Inseln Faröer, Island, Shetland, Azoren und Madeira werden angegriffen. Die innerdeutsche Grenze wird geschlossen.

Tag „E+10“, Freitag, 16.03.1979. In Syrien und dem Irak übernehmen Pro-„Orange“-Kräfte die Macht. Gleichzeitig kommt es zu Grenzzwischenfällen dieser Staaten zur Türkei. In Europa deutet eine lebhafte Aufklärungstätigkeit der Streitkräfte des „Orange“-Blocks auf einen bevorstehenden Angriff hin. Die militärischen Transporte aus den westlichen Teilen der UdSSR nach Polen, in die CSSR und den Ostteil der DDR halten an.  Es werden Kommandounternehmen (gezielte Einsätze von speziell geschulten Soldaten) gegen verschiedene Einrichtungen der Insel-Befehlshaber von Island, Faröer, Shetlands, Azoren und Madeira durchgeführt. In der Nord- und Ostsee tritt eine verstärkte Minenbedrohung auf. Es ist im Verlauf von WINTEX 79 der späteste Zeitpunkt für die Auslösung der Alarmstufen „Reinforced Alert“ bzw. „Erhöhter Alarm“.

Die Bundeswehr meldet die volle Einsatzbereitschaft aller Teilstreitkräfte. Das Territorialherr gewährleistet die Durchführung des Raum- und Objektschutzes. Militärische Marschbewegungen und Transporte der „Blau“-Streitkräfte werden weiterhin durch Bevölkerungsbewegungen behindert (eine Einlage in den NATO-Drehbüchern, die im Vorfeld der Kommandostabsübung Fallex 66 durch den Übungsleiter und ehemaligen Wehrmachtsgeneral Theodor Busse verankert wurde und noch bis zur letzten Übung im Regierungsbunker 1989 – WINTEX 89 - so durchgespielt wurde). Die Bevölkerung ist weiterhin stark beunruhigt.

Die Verminung der Territorialgewässer der BRD wird durchgeführt. Einige Handelsschiffe aus „Blau“-Staaten sinken nach Unterwasserexplosionen auf offener See bzw. werden stark beschädigt. Aufklärungsflugzeuge verletzen im Raum Uelzen, Hannover, Fulda und Amberg den Luftraum der BRD. Bei Beobachtungen von „Orange“-Flugzeugen wird festgestellt, dass diese Rundfunksender im Lang- und Mittelwellenbereich als ergänzende Navigationshilfe benutzen.

Es gibt Terroranschläge auf führende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Doch auf welche, bleibt Geheimnis der Wintex-Erfinder. Die Regierung kann es nicht sein, denn die sollte längst im Bunker sitzen (im Bild Haupteingang in Marienthal).

Die Wirtschaftskraft sinkt. Es kommt zu massiven Lieferengpässen für die Bundeswehr, ausländische Auftragnehmer kommen ihren Verträgen zur Munitionsversorgung nicht mehr nach, da die Bestellungen der eigenen Regierungen vorrangig abgewickelt werden. Auftragnehmer der Bundeswehr im Grenzgebiet zur DDR und CSSR, deren Unternehmen still liegen, bieten dem Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung die Übernahme lagernder fertiger oder halbfertiger Rüstungswaren an. Die Versorgung der Truppe mit Nahrungsmitteln macht nach Sabotageakten in Betrieben der Lebensmittelindustrie Schwierigkeiten. In Kiel wird mit der Räumung des Hafens begonnen. 

Am späten Abend des 16. März werden die Grenzen zwischen der BRD und der DDR sowie CSSR geschlossen, zugleich der Fernmeldeverkehr überwacht bzw. unterbrochen. Um Mitternacht schließen auch die Grenzübergänge von Bulgarien nach Griechenland und zur Türkei. In der Nacht steigen die Sabotageaktionen sprunghaft an. Militärische Objekte sind das bevorzugte Ziel der voll aktivierten Sabotagenetze. Gegen führende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens werden Terroraktionen durchgeführt.

Am Abend des 16. März, knapp einen Monat nach Einstieg ins Drehbuch von WINTEX 79, werden die innerdeutschen Grenzen geschlossen (im Bild ein Wachturm am Übergang Eisenach).

Zwischen den Ausweichsitzen von Bund und Ländern, den militärischen Hauptquartieren der NATO und deutschen Teilstreitkräften herrscht rege Kommunikation. Im Ausweichsitz Rheinland-Pfalz gehen am 16. März 217 Fernschreiben ein – davon sind nur noch 28 „offen“. Das letzte flattert um 20.38 Uhr vom Bundesbauministerium aus dem Regierungsbunker an der Ahr ohne Verschlussgrad im Lagezentrum der Landesregierung ein. Es hat die Nummer 873 (Zahl aller Fernschreiben mit Beginn der Übung am 12.3., also über fünf Tage). Bis zur Schichtübergabe um Mitternacht folgen weitere 44 Schreiben – alle „VS – nur für den Dienstgebrauch“, „VS – Vertraulich“ oder „Geheim“. Die Technik läuft ohne Pause bis zur letzten Minute des 16. März. Selbst die Bevölkerungsbewegungen von der Bezirkregierung - bisher immer ein offenes Dokument - erhalten mit ihrem Eingang (um 22.54 Uhr) den roten Stempel „Geheim“. Ein klares Indiz für die Phase, in der sich die Übung WINTEX 79 befindet. Ein Krieg steht unmittelbar bevor.

Nach rund vierwöchigem Vorspiel ist WINTEX 79 am Morgen des 17. März 1979 an einem markanten Punkt angelangt: Um 6.30 Uhr beginnt der Angriff von „Orange“ gegen mehrere NATO-Staaten – auch gegen die Bundesrepublik.

Tag „E+11“, Samstag, 17.03.1979. Es ist 6.30 Uhr, als der Angriff von „Orange“ gegen die Bundesrepublik beginnt. Nach heftigen Luftangriffen führt „Orange“ auf breiter Front massive Kampfhandlungen gegen die „Blau“-Länder Norwegen, Dänemark, BRD, Italien, Griechenland und die Türkei. Auch die NATO-Seestreitkräfte werden angegriffen. Luftangriffe werden gegen Flugplätze und Anlagen der Luftverteidigung in Großbritannien, auf Island (ohne eigene Armee; steht unter dem militärischen Schutz der USA) und auf den Faröer-Inseln geführt. In Norwegen finden kombinierte Luft- und Seelandungen statt. Die Alarmstufen „General Alert“ bzw. „Allgemeiner Alarm“ sind ausgerufen sowie in der BRD der „Verteidigungsfall erklärt“.

Die Offensive gegen die Bundesrepublik wird durch Luftlandeoperationen unterstützt. „Orange“ erzielt schnelle Erfolge in den Gefechtsstreifen des I. niederländischen Korps, des I. belgischen Korps und des VII. US-Korps. Im Verlaufe des Tages dringen „Orange“-Truppen hier bis zum „Vorderen Rand der Verteidigung“ vor.

Die Luftangriffe richten sich zunächst gegen Flugplätze und Einrichtungen der Luftverteidigung, dann aber u.a. auch gegen Flussübergänge. Im Süden überfliegen „Orange“-Flugzeuge österreichisches Gebiet.  Es gelingt „Orange“, die Luftverteidigung von „Blau“ zu schwächen.

Auf Bornholm erfolgt eine Landung mit zwei amphibischen Bataillonen.

Die Bundeswehr hat unter Führung der NATO-Kommandobehörden die Verteidigung grenznah aufgenommen. Durch die Kampfhandlungen treten erste Verluste ein. Das III. US-Korps mit der 2. US-Panzerdivision und die 4. US-mech. Infanteriedivision bereiten sich im Verfügungsraum Münster auf ihren Einsatz vor.

Die 9. US-Kavalleriedivision (luftbewegliche Infanteriedivision) wird im Bereich der Armeegruppe Mitte (CENTAG) eingesetzt. Im Bereich der CENTAG ist weiterhin die 7. US-Infanteriedivision einsatzbereit. Im Bereich der Ostseeausgänge (BALTAP) ist die II. US-amphibische Kampfgruppe (MAF/MAB) einsatzbereit.

Angriffe der „Orange“-Streitkräfte führen zu starken Schäden an logistischen Einrichtungen, hauptsächlich auf Flugplätzen der Luftwaffe sowie in Häfen und an Verkehrsanlagen. Die Herstellung und Instandsetzung von Waffen, Gerät und anderem Material wird erheblich gestört.

Die Versorgung der „Blau“-Luftstreitkräfte bereitet ernste Schwierigkeiten.

In weiteren Fluchtbewegungen äußert sich die starke Beunruhigung der  Bevölkerung. Flüchtlingsbewegungen verursachen auf den Versorgungsstraßen und an den Rheinübergängen Stauungen. Im verstärkten Maße flüchten Ausländer. An den Grenzübergängen kommt es zu Flüchtlingsansammlungen. Dadurch wird der grenzüberschreitende Verkehr zu den BENELUX-Ländern behindert. Aufgrund der offenen Kampfhandlungen wird die Internierung von Staatsangehörigen der Feindstaaten notwendig.

Die Sabotagewelle erreicht einen Höhepunkt. Erste Kommandounternehmen (Einsätze z.T. weit hinter den feindlichen Linien von speziell geschulten Soldaten gegen definierte, strategisch wichtige Ziele) werden durchgeführt. Insgesamt finden 334 statt. Die durch subversive Aktionen herbeigeführten Schäden lassen die Schwächen und Lücken beim Objektschutz deutlich erkennen.

Die Versorgung der Verwundeten durch den Sanitätsdienst der Bundeswehr funktioniert reibungslos – auch dank großer Lagerbestände von Verbandsstoffen und Medikamenten, im Bild die (inzwischen geräumten) Kühlräume für wichtige Impfstoffe in einem riesigen Bunkerkomplex bei Lorch (Rheingau).

Die hohe Zahl von Verletzten nach den „Orange“-Angriffen wird durch den Sanitätsdienst der Bundeswehr versorgt und je nach Schwere des Falles in Lazarette oder Krankenhäuser verlegt. Der Abtransport der Verwundeten erfolgt störungsfrei. Der Nachschub mit Sanitätsmaterial ist gesichert, für ortsfeste Sanitätseinrichtungen wird weibliches Fach- und Pflegepersonal benötigt.

In Hamburg wird mit der Räumung des Hafens begonnen.

Als um 6.30 Uhr die Bundesrepublik angegriffen wird, reicht im Ausweichsitz von Rheinland-Pfalz gerade die eine Schicht an die andere alle Dienst- und Schlüsselunterlagen weiter. Dann rattert um 6.37 Uhr als erstes Fernschreiben der neuen Besatzung unter „Geheim“ das entscheidende Schriftstück aus dem Regierungsbunker durch die Siemenstechnik. Alle Führungsstellen in der Bundesrepublik werden über die neue Situation von WINTEX 79 unterrichtet. Um 7.41 Uhr legt das Bundesinnenministerium mit einer ersten Lagebewertung auf bundesdeutschem Gebiet nach. Die nächste folgt um 7.50 Uhr, dann um 7.57 Uhr, schließlich um 8.04 Uhr. 263 Fernschreiben erreichen am 17. März die ausgewichene Landesregierung. Zur letzten großen Lagebesprechung kommt es an den Fernmeldegeräten ab 22 Uhr. Alle entscheidenden Stellen in der Bundesrepublik tauschen sich unter „Geheim“ aus – bis die Drähte glühen. Rheinland-Pfalz funkt die Landesregierungen von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen (gleich acht Fernschreiben am Stück) in wenigen Minuten an, außerdem die Bezirksregierungen oder das Wehrbereichskommando.

Petra Kelly, die am 17. März 1979 in Frankfurt das Listenbündnis „Die Grünen“ mitgründet, vor dem Regierungsbunker. Zuerst protestierte die neue Partei gegen das Bauwerk und seine Stellung an der Schnittstelle zwischen zivilem und militärischem Alltag, dann rückte man mit ein.

Am gleichen Tag, an dem die Regierung der Bundesrepublik mit Kampfhandlungen auf deutschem Boden fertig werden muss, gründen in Frankfurt am Main 500 Delegierte das Listenbündnis „Die Grünen“. Sie nominieren an diesem Tag für die Europawahl u.a. Petra Kelly und Joseph Beuys. Beide werden mit dem Regierungsbunker ihre persönlichen Erfahrungen sammeln – Petra Kelly bei Demonstrationen gegen die atomare NATO-Politik am Bunkereingang, Joseph Beuys auf der „documenta VII“ 1982, zu der er die Künstlergruppe „Klärwerk III“ einlädt, ihre Ideen zu „Kunst im Bunker“ auf einem Gemeinschaftsstand zu präsentieren. Mit der außerparlamentarischen Opposition 1968 im Kampf gegen die Notstandsgesetze geboren, bündelte sich ein erheblicher Teil dieser Bewegung bei den Grünen. Die ungeliebten Notstandsparagrafen selbst erlebten ihre „notparlamentarische“ Feuertaufe im Regierungsbunker (Fallex 66). Mit den späteren Sitzen in Bundesrat und Bundestag hatten Grüne-Abgeordnete für den Ernstfall einen Bunkerplatz sicher – spätestens hier schloss sich der Kreis zwischen öffentlichem Wiederstand und dem Ausweichsitz der Verfassungsorgane. Für die Delegierten, die am 17. März in Frankfurt ihre politischen Ideale als Eckpfeiler einschlugen, sicher alles andere als ein erstrebenswertes Ziel, das auch aus politischer Macht resultiert. 

„Orange“ greift weiter an, die Geländegewinne bleiben aber begrenzt. International spielt nur noch Syrien eine Rolle, ansonsten konzentriert sich WINTEX auf das Geschehen in Zentraleuropa und verstärkt nationale Einlagen.

Tag „E+12“, Sonntag, 18.03.1979. Die Angriffe von „Orange“ werden auf breiter Front erfolgreich fortgesetzt. Die Geländegewinne sind begrenzt, doch die Ansatzpunkte werden erweitert. Amphibische Kräfte greifen die Ostseeinseln Fehmarn und Lolland an. Am späten Nachmittag gelingen „Orange“-Einbrüche in den Räumen Uelzen, Wolfenbüttel und Markredwitz. Die „Orange“-Luftstreitkräfte gewinnen die Luftüberlegenheit, Frontfliederkräfte unterstützen die Angriffe der Landstreitkräfte vor allem in den Räumen Uelzen, Braunschweig, Göttingen und Oberpfälzer Wald. Bei Kassel erfolgt die Notlandung eines „Orange“-Aufklärungsflugzeugs mit unversehrtem funkelektronischem Aufklärungsgerät.

Syrien stellt dem „Orange“-Block Seehäfen und Flugplätze zur Verfügung. Bereits in der Nacht hat die Schweiz ihre Grenzen geschlossen.

Die „Blau“-Landstreitkräfte beenden die Verzögerung und gehen zur Verteidigung über. Auch in der Rückwärtigen Kampfzone (RCZ) kommt es zu weiteren Verlusten.

Das III. US-Korps hat seine volle Einsatzbereitschaft hergestellt.

Versorgungsengpässe beeinflussen nachteilig die „Blau“-Operationsführung. Durch „Orange“-Luftangriffe werden Versorgungstransporte auf Schiene und Straße erheblich verzögert. Es tritt hoher Munitionsverbrauch auf. In der Vorderen Kampfzone (FCZ), vor allem im Bereich der Armeegruppe Nord (NORTHAG), steigen die Verluste bei kampfentscheidendem Gerät. Gleichzeitig ist ein vermehrter Ausfall von Instandsetzungseinrichtungen bei den Streitkräften zu verzeichnen. Die verwundeten Soldaten können durch die Sanitätsdienste versorgt werden, es fehlen jedoch Blutkonserven. Auch bei einsatzwichtigem Sanitätsmaterial treten Engpässe auf.

Infolge der Schäden auf den Einsatzflugplätzen der Luftwaffe müssen vermehrt zivile Flugplätze und Notlandeplätze genutzt werden.

Auf dem Flugplatz Oldenburg ist die Flugfeldtankanlage mit einem Fassungsvermögen von 500.000 Liter Kerosin durch einen Luftangriff völlig zerstört worden. Dadurch ist die Wasserversorgung der Stadt Oldenburg gefährdet.

Die Sabotagetätigkeit auf bundesdeutschem Gebiet lässt am ersten Tag offener Kampfmaßnahmen nach. Spione werden festgenommen. Weitere Kommandounternehmen (234) werden durchgeführt. Die erkannten Lücken beim Objektschutz führen zu verstärkten Schutzersuchen u.a. auch durch rüstungswichtige Betriebe.

Die Bevölkerungsbewegungen dauern weiter an und beeinträchtigen in zunehmenden Maße den militärischen Straßenverkehr.

Im Verkehrswesen tritt Plan „Gemmer“ in Kraft. Die Räumung des Hamburger Hafens ist abgeschlossen. Schäden an Anlagen und Einrichtungen der Eisenbahn führen zur Unterbrechung des Schienenverkehrs zwischen Belgien und der BRD, so dass eine Umleitung der Eisenbahntransporte über Luxemburg erforderlich wird.

Die dafür am meisten benutze Eisenbahnstrecke führt durchs Moseltal. Kurz vor dem Teil, in dem mit Blick auf den Fluss der Ausweichsitz der Landesregierung von Rheinland-Pfalz liegt, verschwindet die im Rahmen des Schlieffenplans (es ist der gleiche Plan, der einen unbenutzten Eisenbahntunnel im Ahrtal hinterlies, der nun Regierungsbunker ist) gebaute Strecke in einer Weinbergslage unter Tage. In dieser Nacht bleiben die Fernschreiber stumm, passiert zwischen 0.44 Uhr und 7.52 Uhr nichts. Ein lokaler Waffenstillstand mitten im Krieg. An diesem ersten Tag nach Ausbruch der Kampfhandlungen nimmt die Zahl der Fernschreiben wieder ab und liegt bei 182. In den ersten Minuten des 18. März gibt es eine ausführliche Lagemeldung (11 Fernschreiben), dann ist Nachtruhe. Um 9.26 Uhr wird eine „Geheim“-Meldung des Bundesinnenministeriums aus dem Regierungsbunker weitergeleitet, die bereits um 7.15 Uhr eingegangen war – auch ein Zeichen für Entspannung. Lagemeldungen zu „Arbeitsmarktzahlen“ (9.22 Uhr) oder zur Versorgung der Bevölkerung mit Trinkwasser (14.06 Uhr) treffen „nur“ noch als „VS – nur für den Dienstgebrauch“ ein. Informationen zur regionalen Bevölkerungsbewegung Richtung Luxemburg? Fehlanzeige. Dafür liefert erstmals der Bund eine Übersicht zur Abwanderungslage der Gesamtbevölkerung (20.50 Uhr). Um 16.49 Uhr meldet sich ein ganz seltener Gast erst- und letztmalig bei dieser Übung: der Führungsstab der Freien Hansestadt Bremen.

Wie eng der Ausweichsitz im Westen der Republik am Übungsgeschehen von WINTEX 79 ist, wird am Nachmittag deutlich, als die Lagemeldung zu den „Orange“-Einbrüchen in den Räumen Uelzen, Wolfenbüttel und Markredwitz in den NATO-Drehbüchern an der Reihe sind. Ab 14.55 Uhr steigt die Zahl der eingehenden Nachrichten sprunghaft an. Bis 18 Uhr treffen 34 Fernschreiben ein – eine Frequenz wie beim Angriff am Tag zuvor.

Die Offensive von „Orange“ verläuft weiter erfolgreich, jetzt auch unter Einsatz chemischer Kampfstoffe. „Orange“-U-Boote reiben einen westlichen Geleitzug auf, Brücken über Rhein oder Weser werden zerstört. Doch die Meldung des Tages kommt aus Rheinland-Pfalz ...

Tag „E+13“, Montag, 19.03.1979. Die Offensive des „Orange“-Blocks läuft weiter erfolgreich. „Orange“ setzt erstmals flüchtige chemische Kampfstoffe ein. Bei jeder Armeegruppe (CENTAG/NORTHAG) kommt es zu 10 derartigen Angriffen. Im Bereich Jütland führt „Orange“ bis zu vier chemische Angriffe durch. Auf Seeland werden stärkere Kräfte angelandet. Die Landstreitkräfte werden verstärkt durch Frontfliegerkräfte unterstützt. Im Südwestausgang des Ärmelkanals wird ein Handelsschiff-Geleitzug durch „Orange“-U-Boote aufgerieben. In Jugoslawien dauern die Kämpfe weiter an.

Die Bundeswehr meldet die Bindung aller in der vorderen Kampfzone eingesetzten Kräfte. Es treten weitere Verluste ein, vor allem in der Rheinzone (Rückwärtige Kampfzone; RCZ) und bei Kampfanlagen der Luftwaffe. Örtlich entstehen durch den Einsatz chemischer Kampfstoffe hohe Ausfälle.

Die NATO struktuiert erste Formationen um: Das III. US-Korps ist der operativen Führung der Armeegruppe Nord (COMNORTHAG) unterstellt worden.

Luftangriffe und Flüchtlingsbewegungen beeinflussen die Operationsfreiheit der Streitkräfte. Unter den Soldaten herrscht Unruhe über das Schicksal ihrer Angehörigen im Kampfgebiet. Beim Transport von Verstärkungskräften ergeben sich durch Luftangriffe und subversive Aktionen Behinderungen und Verzögerungen.

Zahlreiche Einsatzflugplätze der Luftwaffe sind stark zerstört. Weitere Notlandeflugplätze werden eingerichtet.

Wichtiges Thema Trinkwasserversorgung: Die Ausweichsitze der Länder hatten fast alle eigene Wasserwerke (im Bild im Ausweichsitz Baden-Württemberg). Über zwei Tiefbrunnen (72 und 115 Meter; links Zulauf eines Brunnenwerks) angesaugt, wurde das Wasser in Kesseln mit Druckluft versorgt, um einen eigenen Wasserdruck im Bunker zu erzeugen.

Im Bereich des VII. US-Korps und des II. Korps der Bundeswehr wurden die Wasserversorgungsleitungen und –einrichtungen durch Luftangriffe und Sabotage nachhaltig zerstört. Es droht eine Trinkwassernot.

An Munition, Treibstoffen und Schmiermitteln besteht ein hoher Bedarf. Örtliche Stromabschaltungen führen in zahlreichen Betrieben zu Produktionsunterbrechungen. Bei Luftangriffen wird eine größere Anzahl von Straßen- und Eisenbahnbrücken über die Weser, den Rhein, Main und Neckar so beschädigt, dass sie ganz oder teilweise für etwa 36 Stunden nicht mehr nutzbar sind. 

Die Zahl der Kommandounternehmen geht auf 127 zurück, die Einsätze werden aber weiter auf die Rückwärtige Kampfzone ausgedehnt. Sie sind in erster Linie gegen Verstärkungskräfte gerichtet. Ihr Schwerpunkt liegt in der Hauptangriffsrichtung der „Orange“-Streitkräfte.

Kleines Bunker-Labor zur Untersuchung des Trinkwassers (im Ausweichsitz Nordrhein-Westfalen): Über Tiefbrunnen sollte eine möglichst lange Versorgung mit reinem Wasser sichergestellt werden, das ständig geprüft wurde.

Herrschte in der vorherigen Nacht Funkstille im Ausweichsitz von Rheinland-Pfalz, haben die eingesetzten Fernschreiber nun wieder Hochkonjunktur. Zwischen Mitternacht und 3 Uhr gehen 14 Fernschreiben ein. Auch am Vormittag, besonders zwischen 9 und 11 Uhr, wird der Krisensitz mit Nachrichten überschüttet. Reihenweise melden sich Bundesministerien – natürlich alles als Verschlusssache auf den Weg gebracht. Doch was dann passiert, ist eine Nachricht mit ganz anderer Tragweite: Nach 93 Fernschreiben ist an diesem 19. März 1979 um exakt 18.05 Uhr der Krieg in Rheinland-Pfalz zu Ende. Um 14.59 Uhr meldet sich, mitten in einer durchaus angespannten Lage für die Bundesrepublik, die Belegschaft mit einem letzten Fernschreiben an das Bundesinnenministerium von WINTEX 79 ab. Drei Stunden später sind die Sachen gepackt und wird abschließend im Dienstbuch vermerkt: „WINTEX/CIMEX 79 abgeschlossen. Die angefallenen VS-Unterlagen wurden an die Abteilung 8 zur Vernichtung gegeben. Schlüsselunterlagen (Krypto) übergeben. 19.3.79, 18.05“. Das wars. Auf der nächsten Seite folgt der Eintrag mit der Überschrift „Wintex/Cimex 1981, Dienst am 9.3.1981 aufgenommen.“

Wie auch für andere Bundesländer, ist der Krisenfall für die Rheinland-Pfälzer nach einer Woche vom Tisch. Es gibt sogar Länder – so Nordrhein-Westfalen – da wird die Rückfahrt der Kernmannschaft schon nach vier Tagen Richtung Düsseldorf angetreten. Eine Teilnehmerin der „Rahmenleitungsgruppe der Landesregierung Rheinland-Pfalz“, der insgesamt 17 Frauen und Männer angehörten, erinnert sich: „Die Teilnahme war freiwillig. Es war für uns spannend, die gestellten Aufgaben zu lösen – darauf waren wir auch ein wenig stolz. Verglichen mit dem Alltag im Ministerium war es natürlich auch eine Abwechslung. Mit der Tatsache, in einem Bunker und abgeschirmt von der Öffentlichkeit zu arbeiten, kamen wir nach einer kurzen Eingewöhnungszeit gut zurecht. Die Atmosphäre bei der Übung war ruhig und konzentriert. Jeder wusste, was er zu tun hatte. Ich erinnere mich auch gerne daran, dass die wenigen Außenkontakte, die wir in dieser Zeit hatten, sehr freundlich waren. Und doch waren alle froh, wenn es dann mit dem Bus wieder zurück nach Mainz ging.“

Doch während die Länder aus dem Übungsgeschehen aussteigen, arbeitet sich die Mannschaft im Regierungsbunker weiter durch die NATO-Drehbücher von WINTEX 79. Was auch in diesen Drehbüchern steht: Die Vertreter der Bundesländer werden ab einem bestimmten Punkt nicht mehr gebraucht und sie werden nach Hause geschickt. Dass es immer in der Phase geschieht, deren Ausgang auch die Ländervertreter interessiert? Das sie nicht wissen, warum sie sich selektiv einbringen und den Gesamtzusammenhang nie kennen lernen? Ein Zufall? Auch hierzu haben Teilnehmer ihre Antwort längst gefunden: Sie sollten es nicht wissen, denn die NATO-Planung kannte keine flexible Handhabung in der Beantwortung ihrer Aufgabenstellungen. Lief die Übung einmal, konnte sie keine Landesregierung beeinflussen – weder mit einem erstklassigen Krisenmanagement noch einer Pleite im Bunker.

Die NATO berät sich zum Kernwaffeneinsatz, während „Orange“ weiter vormarschiert und dabei verstärkt chemische Kampfstoffe einsetzt. Das fordert in Schleswig-Holstein auch zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung.

Tag „E+14“, Dienstag, 20.03.1979. Es beginnt die Phase der nuklearen Konsultation (Beratung innerhalb der NATO zum Kernwaffeneinsatz). Die „Orange“-Angriffskräfte erzielen, unterstützt durch Luftlandungen und unter Einsatz von chemischen Kampfstoffen sowie nach Einführen der 2. Staffel zum Teil tiefe Einbrüche in die Verteidigungsräume. Bei Hamburg gelingt es „Orange“, auf dem Südufer der Elbe einen Brückenkopf zu bilden. Beiderseits der Armeegruppengrenze (NORTHAG/CENTAG) stoßen „Orange“-Kräfte bis an die Weser vor. Die Überlegenheit von „Orange“ hat erste Überlegungen zum selektiven Ersteinsatz von Kernwaffen auf deutschem Boden zur Folge.

Aus Südjugoslawien greifen „Orange-Block“-Streitkräfte Griechenland an und führen Luftlandungen auf Kreta durch. Jugoslawien ist nicht mehr in der Lage, zusammenhängende Abwehroperationen gegen „Orange“ zu führen.

Nordöstlich der Küste Schleswig-Holsteins greifen „Orange“-Truppen die Insel Fünen an, das Bundesland selbst leidet unter dem Einsatz chemischer Kampfstoffe. Die Landesregierung soll das sicher in ihrem Ausweichsitz (in Lindewitt) überstehen und von hier u.a. die Bevölkerungsbewegung koordinieren und Hilfsmaßnahmen organisieren.

Fünen (eine dänische Insel in der Ostsee) wird durch „Orange“-Luftlandekräfte angegriffen. „Orange“ setzt vermehrt (32 Fälle) flüchtige chemische Kampfstoffe ein. In Schleswig-Holstein wird davon auch die Bevölkerung in Mitleidenschaft gezogen. Chemische Kampfstoffe werden von „Orange“ auch gegen Überwasserstreitkräfte in der Deutschen Bucht eingesetzt. Durch diese Angriffe kommt es zu einem Massenanfall von Verwundeten. Die Lazarette und Krankenhäuser in der Vorderen Kampfzone (FCZ) sind überfüllt. Der zivile Bereich stellt massive Anforderungen an die Streitkräfte auf Unterstützung mit stationärer Behandlungskapazität und Antidoten (Gegengift) gegen chemische Kampfstoffe. Es besteht die Gefahr des Ausbruchs von Epidemien. Von den „Blau“-Streitkräften wird Unterstützung für den Transport und bei der Versorgung von Verwundeten angefordert.

Die „Blau“-Streitkräfte führen ihre Operationen unter Einsatz der Reserven der Armeegruppen. Das Heranführen von Verstärkungskräften wird durch die großen Schäden an Hafenanlagen und –einrichtungen sowie auf den Flugplätzen stark behindert. Durch die Kampfhandlungen treten bei der Bundeswehr weitere Verluste ein. Starke Ausfälle sind bei der Luftwaffe und bei den in der Ostsee eingesetzten Marineeinheiten zu verzeichnen. Durch Feindeinwirkung geht zahlreiches Großgerät verloren, im Bereich des I. Korps der Bundeswehr auch große Bestände an Mengenverbrauchsgütern. Es treten Versorgungsengpässe bei der Frischversorgung im Bereich der Armeegruppe Nord (NORTHAG) auf.

Der erste nennenswerte Anfall von Kriegsgefangenen durch das Scheitern von Kommandounternehmen stellt die Bundeswehr vor Probleme.

Für Hamburg wirft der „Orange“-Angriff das Statusproblem der „offenen Stadt“ auf. (Im Sinne der Haager Landkriegsordnung ist eine offene Stadt ein unverteidigter Ort, der besonderen Schutz genießt - er darf nicht angegriffen oder bombardiert werden.)

Trotz umfangreicher Bevölkerungsbewegungen (an den westlichen Grenzen stauen sich Flüchtlingsströme), starker Zerstörungen und zunehmender Beunruhigung der Bevölkerung kann die Operationsfreiheit der Streitkräfte noch überall aufrechterhalten werden. In der Truppe herrscht steigende Unruhe über das Schicksal von Angehörigen – gerade in den von „Orange“ besetzten Gebieten. Die Zerstörungen in Ortschaften und an Kunstbauten sowie liegengebliebene Fahrzeuge behindern den Verkehr. Durch Schäden an Brückenzufahrten und durch Flüchtlingskolonnen werden militärische Transporte in den Gewässerzonen verzögert.

Leichte Beute: Ein Ziel von Luftlandeeinheiten sind weit hinter der Frontlinie liegende Fernmeldeeinrichtungen der Bundespost. Wirklich geschützt sind diese Anlagen – im Bild der Postbunker in Staffel – dagegen nicht.

Kriegsgefangene Soldaten der „Blau“-Streitkräfte rufen zur Einstellung des Wiederstandes und zur Beendigung des Krieges auf – was durch die „Orange“-Propaganda agitativ genutzt wird.

Sabotagehandlungen gehen weiter zurück, Kommandounternehmen (28) dauern in der Rückwärtigen Kampfzone an. Angegriffen werden u.a. Gefechtsstände, Fernmeldeanlagen und Munitionsdepots. In der Rückwärtigen Kampfzone (RCZ) treten Frequenzstörungen im HF-Bereich auf.

Luftgelandete Kommandotrupps zerstören Einrichtungen der Bundespost, über die auch Fernmeldeverbindungen der Bundeswehr geschaltet sind.

„Orange“ erreicht, nach vier Tagen Kampf, Hannover und steht 100 Kilometer auf BRD-Gebiet. Luftlande-Operationen finden hier auch hinter der Frontlinie statt. Erstmals werden sesshafte chemische Kampfstoffe eingesetzt – was die Probleme von „Blau“ im zivilen und militärischen Bereich verstärkt.

Tag „E+15“, Mittwoch, 21.03.1979. Die nuklearen Konsultationen der NATO für einen Atomwaffeneinsatz werden fortgesetzt. Die „Orange“-Offensive verläuft weiterhin erfolgreich. Der „Orange“-Angriff unterbricht die Verbindungen zwischen Nord- und Südnorwegen. Die aus Jugoslawien vordringenden „Orange“-Kräfte erzielen in Norditalien einen tiefen Einbruch. Aus Bulgarien stoßen „Orange“-Truppen durch Thrakien auf die Küste des Ägäischen Meeres vor. Hinter den Fronten der 1. Staffel werden die Armeen der 2. Staffel zur Ausnutzung möglicher Durchbrüche bereit gehalten.

Die „Orange“-Streitkräfte erreichen den äußeren Rand von Hannover und stehen damit fast 100 Kilometer auf westdeutschem Gebiet. In der Vorderen Kampfzone (FCZ) führt „Orange“ an der Weser bei Nienburg und Minden (ca. 50 Kilometer hinter der Frontlinie bei Hannover) Luftlandungen durch.

Vor allem in den Räumen Hannover, nördlich von Kassel und nördlich von Regensburg werden die Angriffe der Landstreitkräfte durch Frontfliegerkräfte unterstützt. Luftangriffe gegen das Hinterland werden insbesondere gegen Verkehrsanlagen und –einrichtungen geführt.

„Orange“ setzt weiterhin chemische Kampfstoffe ein – nun auch sesshafte Kampfstoffe (56 Einsätze mit flüchtigen,18 Einsätze mit sesshaften Kampfstoffen), wobei die Angriffe auch auf die Rückwärtige Kampfzone (RCZ) und die Verbindungszone (COMMZ) ausgedehnt werden. Gelände und Material werden dadurch in erheblichem Umfang kontaminiert.

Die Lage der Bundeswehr ist angespannt. Insbesondere beim I. und III. Korps treten erhöhte Verluste ein. Hohe Ausfälle werden durch den Einsatz chemischer Kampfstoffe verursacht. Die Operationen werden weiterhin unter Einsatz der Reserven der Armeegruppen durchgeführt. Weitere Kommandounternehmen von „Orange“ – insgesamt 34 - richten sich gegen Gefechtsstände, Sonderwaffenlager (SAS) und Einsatzmittel, die für die nukleare Operationsführung wichtig sind. 

Die Versorgung der Truppe (insbesondere mit Munition und Treibstoff) wird nach wie vor durch Bevölkerungsbewegungen, Zerstörungen an Verkehrsanlagen und Geländevergiftungen behindert. Die Beunruhigung in der Bevölkerung wächst weiter an. Von ziviler Seite gehen Hilfeersuchen an den Sanitätsdienst der Bundeswehr, durch chemische Kampfstoffe verletzte Zivilpersonen zu behandeln und in stationäre Einrichtungen aufzunehmen.

Für die Städte Hannover und Kassel stellt sich durch den „Orange“-Angriff das Statusproblem der Erklärung der offenen Stadt.

Rüstungsfirmen lehnen die Übernahme neuer vertraglicher Verpflichtungen wegen Mangels an Arbeitskräften, Rohstoffen und Halbzeugen ab.

Im Fernmeldebereich der Bundespost treten durch „Orange“-Luftangriffe Verluste und Schäden ein. Die durch den „Orange“-Angriff bedrohten Grundnetzschalt- und Vermittlungsstellen der Bundeswehr im ostwärtigen Raum der BRD werden freigeschaltet und zur Lähmung vorbereitet.

Durch den Ausfall des Marinehauptquartiers in Glücksburg und die Übernahme der Funktionen durch den Befehlshaber der Seestreitkräfte Nordsee (BSN) wird die Schaltung der erforderlichen Fernmeldeverbindungen notwendig.

Die Lageerstellung für den Kriegsschauplatz Deutschland manifestiert sich: „Orange“ ist auf dem Vormarsch. „Blau“ wirft bereits Reserven in die Schlacht, kann dem Angriff aber nichts Ernsthaftes entgegensetzen. WINTEX 79 gelangt in eine weitere kritische Phase, die nach Grundsatzentscheidungen verlangt.

Tag „E+16“, Donnerstag, 22.03.1979. „Orange“ intensiviert seinen Angriff, setzt nun die Armeen der 2. Staffel ein und verlegt die Fronten der 2. Staffel nach Westen. „Orange-Block“-See- und Luftstreitkräfte greifen „Blau“-Verbände in allen Bereichen an. Der Einsatz chemischer Kampfstoffe steigt (53 mit flüchtigen und 36 mit sesshaften Kampfstoffen). Angriffspunkte sind auch die Rückwärtige Kampfzone (RCZ) und die Verbindungszone (COMMZ).

Die Phase der Nuklearen Konsultation für einen Atomwaffeneinsatz von „Blau“ wird fortgesetzt. Bei den Kampfhandlungen wird ein erster Erfolg erzielt: Die vom III. US-Korps im Raum Hannover sowie von der 9. und 7. US-Infanteriedivision im Raum Fulda geführten Gegenangriffe beginnen sich auszuwirken.

Demgegenüber ist die Lage in den Räumen südlich von Hamburg und nördlich von Kassel weiterhin kritisch. Alle Großverbände haben hohe Verluste an Personal und Material. Nach Freigabe durch die oberste nationale Führung der BRD werden Kräfte des Territorialheeres zur Bekämpfung luftgelandeter „Orange“-Kräfte eingesetzt. Bei der Versorgung mit Großgerät und Munition bestehen Engpässe. Der Mangel an Transportkapazitäten und Treibstoffen erschwert das Vorführen von Panzern und Geschützen.

Der Lenkung von Bevölkerungsbewegungen fiel bei den NATO-Übungen ein wichtiges Augenmerk zu. In die Organisation waren maßgeblich die Landesregierungen eingebunden – im Bild der Ausweichsitz Nordrhein-Westfalen bei der ABC-Lageerstellung über ein WaDuForm (Warnamt-Durchsage-Formular). Die Informationen zum Kernwaffeneinsatz wurden in die Karten auf dem Leuchttisch übertragen (hier beim Besuch von Gästeführern der „Dokumentationsstätte Regierungsbunker“ in der „Dokumentationsstätte Ausweichsitz Nordrhein-Westfalen“). Die Informationen zum radioaktiven Fallout gingen dann direkt ins Referat für Bevölkerungsbewegung, das eine gezielte Lenkung zu organisieren hatte.

Die Bevölkerungsbewegungen werfen weiterhin Probleme auf. Die Beunruhigung hält weiter an. Es treten weiter Verluste durch den Einsatz von chemischen Kampfstoffen ein. In der medizinischen Versorgung kampfstoffverletzter Soldaten und Zivilpersonen treten Engpässe auf.

Durch „Orange“-Luftangriffe fallen weitere Fernmeldeeinrichtungen der Bundespost aus. Sabotage und Kommandounternehmen (16) gehen weiter zurück.

Im NATO-Drehbuch von WINTEX 79 ist der Übungsteil „E+16“ am 22. März der kürzeste. Generell eingeteilt in die Punkte „Politische Lage“, „Militärische Lage“ von „Orange“ und der Bundeswehr“, Generelle Tendenzen“ (mit den Unterpunkten „Alarmierungs- und Rechtslage“, „Informationswesen und psychologische Lage“) sowie „Einzelne Bereiche“ (mit den Unterpunkten „Innere Verwaltung““; „Subversive „Orange“-Aktionen“, „Bevölkerungsbewegungen“, „Wirtschaft“, „Gesundheitswesen“ sowie „Post- und Fernmeldewesen“) gibt es kaum neue Entwicklungen – das Gesamtbild hat sich manifestiert. Die Beurteilung der Lage auf dem europäischen Kriegsschauplatz ist so weit festgelegt, dass an „E+16“ zur Lage außerhalb Deutschlands keine neuen Einlagen oder Informationen erhalten sind. In der Bundesrepublik zeichnet sich ein klares Bild: „Orange“ ist in den meisten Frontbereichen auf dem Vormarsch und greift für ein weiteres Vorrücken auch rückwärtige Bereiche an. Gezielt sollen Nachrichtenverbindungen gekappt werden, um eine koordinierte Verteidigung / Offensivbewegungen von „Blau“ auf den eigenen Angriff zu erschweren. Über den Einsatz „chemischer Kampfstoffe“ hinaus, der eine Kontaminierung der eigenen Truppe beim Einsatz entsprechender Schutzkleidung ausschließen soll, wird auf den Einsatz biologischer oder atomarer Waffen verzichtet. Strategisch ist klar: Über die aktuelle Kriegsführung lässt sich der „Orange“-Vormarsch nicht stoppen.

Lagedarstellung an „E+16“ (auf einer Karte aus dem Ausweichsitz Nordrhein-Westfalen; von oben nach unten): Im Norden marschiert „Orange“ Richtung Dänemark und setzt in Schleswig-Holstein verstärkt chemische Kampfstoffe ein. Am Südufer der Elbe hat „Orange“ einen Brückenkopf gebildet, im Raum Nienburg Luftlandetruppen abgesetzt. Die Hauptangriffsrichtung führt über Hannover Richtung Ruhrgebiet und soll die BRD in eine Nord- und Südflanke teilen (traditionell ist es weiter südlich die Linie über Fulda nach Frankfurt). In dieser Stoßrichtung werden verstärkt Luftlandetruppen abgesetzt und Kommandounternehmen eingesetzt. In den Räumen Kassel, Fulda und nördlich Regensburg werden die Angriffe der Landstreitkräfte durch Frontfliegerkräfte massiv unterstützt.

Der „Orange“-Angriff ist mit konventionellen Mitteln, so das NATO-Drehbuch, nicht mehr aufzuhalten. Am insgesamt 38. Übungstag von WINTEX 79 setzt die NATO Kernwaffen ein. Am gleichen Tag endet das Kriegsschauspiel (üb).

Tag „E+17“, Freitag, 23.03.1979. Infolge des Einsatzes chemischer Kampfstoffe (54 Einsätze mit flüchtigen, 14 Einsätze mit sesshaften Kampfstoffen) gelingt es den „Orange-Block“-Truppen, den Zusammenhang der „Blau“-Verteidigung teilweise zu erschüttern. „Orange“ führt erste Kräfte der 2. Staffel an die Fronten heran und verlegt die Divisionen der strategischen Reserve weiter nach Westen. „Blau“ registriert hohe Verluste der Luftwaffe, so dass in den nächsten Tagen keine nachhaltige Schwächung von „Orange“ mit konventionellen Mitteln zu erwarten ist.

„Blau“ beschließt aufgrund der angespannten Lage den Ersteinsatz von Kernwaffen und setzt diese ein (das NATO-Drehbuch informiert über den Sachverhalt, nicht aber über den Umfang).

Die „Orange“-Luftstreitkräfte sind durch schwere Verluste vorübergehend geschwächt. Durch Nachführen von Einsatzstaffeln aus den westlichen Militärbezirken werden sie wieder aufgefüllt. Aufgrund starker Verluste nimmt die Intensität der „Orange“-Angriffe auf die Ostseeausgänge vorübergehend ab. Durch Ausfälle in der Stützpunkt- und Versorgungskapazität ist aber auch die Kampfkraft der noch einsatzfähigen Marineeinheiten der Bundeswehr beeinträchtigt.

Bundeswehr-Verbände des Territorialheeres setzen den Kampf gegen luftgelandete „Orange“-Einheiten fort. An Munition, Treibstoffen und Ersatzgeräten besteht auch weiterhin ein hoher Bedarf. Sabotageakte von „Orange“ gehen zurück, weiten sich aber auf die Sondermunitionslager (SAS) aus.

Die Verkehrsabläufe sind weiterhin durch Schäden an den Verkehrsnetzen erheblich behindert. Die Beunruhigung der Bevölkerung steigt weiter an, die Bevölkerungsbewegungen ebenfalls.

Besprechungssaal für das Bundeskabinett, in dem täglich die Lagesitzung im Regierungsbunker stattfindet und auf höchster demokratischer Ebene das militärisch-zivile Zusammenspiel gestaltet wird (im Bauwerk 6 am östlichen Ende).

Mit diesem letzten Lagebericht endet die Übung „WINTEX 79“ am Nachmittag des 23. März 1979. In einer letzten Protokollnotiz geht die Übungsleitung auf „Simulierte extremistische Organisationen“ in der Bundesrepublik ein, legt aber auch fest, dass keine realen Bezeichnungen von „derzeit in der BRD vorhandenen Organisationen verwendet werden dürfen“. Auch hier gilt „übungshalber“ und wird in der inhaltlichen Ausrichtung, politischen Zielrichtung und Mitgliederstruktur beschrieben: „Nationaler Bund für Freiheit“ (in Klammern, wer real gemeint ist: NPD, Nationaldemokratische Partei Deutschlands), „Revolutionäre Partei Deutschlands“ (KPD, Kommunistische Partei Deutschlands oder eine andere sogenannte K-Gruppe), „Revolutionäre Arbeiterbewegung Deutschlands“ (DKP, Deutsche Kommunistische Partei), „Internationale Gegner des Imperialismus“ (KBW, Kommunistischer Bund Westdeutschland oder eine andere sogenannte K-Gruppe), „Bund der Friedensfreunde“ (DFG/VK, Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen), „Organisation der Atomwaffengegner“ (Ostermarsch-Bewegung), „Gruppe Irreversibler Marxisten“ (GIM, Gruppe Internationaler Marxisten).Die beschrieben Gruppierungen spielen in der Übung insofern eine Rolle, dass sie die innenpolitische Lage destabilisieren (Proteste, Kundgebungen, Ausschreitungen).

Aus dem Abschnitt des NATO-Drehbuchs für „Auswärtige Verstärkungen“ geht hervor, dass eine Zuführungsplanung über den Tag „E+17“ besteht. So reichen die Einbindungen der 194. Panzer-Brigade bis „E+18“, die der 25. Infanterie-Division und 101. Luftangriffsdivision bis „E+23“. Mit der langfristigsten Planung schickt die NATO die 2. Panzer-Division und 4. mech.Infanterie-Division („Round out“) bis „E+28“ in den Kampf.

Mit dem 1. Kernwaffeneinsatz ist wieder Frieden auf dem bundesdeutschen Kriegsschauplatz (üb). WINTEX 79 endet fünf Wochen nach dem ersten Übungstag „E-20“ und wird zwei Jahre später im März 1981 dort wieder beginnen.

Ende des Kalten Krieges musste der Westen feststellen, wie naiv man drei Jahrzehnte den Spannungsfall bearbeitet hatte.
Ende des Kalten Krieges musste der Westen feststellen, wie naiv man drei Jahrzehnte den Spannungsfall bearbeitet hatte.

Nachbetrachtung. „Wer sich die letzten Maßnahmen (der Übung) vorstellte, konnte sie mit apokalyptischen Szenen vergleichen“, stellte Waldemar Schreckenberger, als Staatssekretär und Chef des Bundeskanzleramtes drei Mal WINTEX-Bundeskanzler, nach Ende des Ost-West-Konfliktes fest.

Noch 1989, im Jahr als der Eiserne Vorhang fiel, ging man im Bunker bei WINTEX 89 davon aus, das „nach drei Tagen der Abwehr die Waffen zu Ende gingen“, so Schreckenberger.

Ein Zeitfenster, das auch 1979 so definiert war. Dann schlug unabwendbar und über Jahrzehnte so festgelegt die Stunde der Atomwaffen.

All das war dem Ostblock bekannt. Die Inhalte der NATO-Übungen waren Monate vor ihrem Beginn „beschafft“ und ausgewertet – so auch für WINTEX 79. Als die NATO Ende Juni 1978 zur Planung für die nächste Übung in ihr Hauptquartier nach Brüssel einlädt, geht das Schreiben in Bonn auch über Schreibtische, an denen Mitarbeiter mit mehreren Arbeitsverträgen sitzen. Ost-Berlin, und damit die verbündeten Waffenbrüder des Warschauer Vertrages, sind informiert – auch über die Inhalte der eigentlichen Sitzung in Brüssel am 18. Juli 1978.

Lustige Spionagewelt hinter den Kulissen des Eisernen Vorhanges: Hatte die NATO ihr Strategiepapier zu WINTEX 79 am 21. Juni 1978 mit der geringen Geheimhaltung „NATO RESTRICTED“ versehen, wurde es bei der Staatssicherheit der DDR am 1. Oktober 1978 mit „Streng Geheim“, der höchsten Geheimhaltung, gestempelt. Das galt auch dem Schutz der Quelle, die es für den Osten „besorgt“ hatte. Der Westen sollte so verschont bleiben über den Wissensstand in Ost-Berlin. Wäre hier ein Leck aufgetreten, hätte es zwangsläufig die Suche nach dem Maulwurf ausgelöst.
 

Inhaltsverzeichnis zu WINTEX 79: Alles schön gegliedert und übersichtlich für die DDR-Genossen. Ganz oben auf dem Verteiler der DDR-Staatssicherheit stehen die Kürzel von Verteidigungsminister Heinz Hoffmann und seinem Nachfolger (ab 1985) Heinz Keßler – beide Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates der DDR. Am 1. Oktober 1978 – und damit fünf Monate vor Beginn von WINTEX 79 – gehen ihnen 103 Seiten ausführlicher NATO-Informationen zu. Drei Wochen später wird die Sammlung um 59 Seiten hochbrisanten Materials ergänzt. Der Ostblock wusste so frühzeitig, wie der Feind im Westen eine Krise und den Krieg selbst erwartet. Auf höchster Ebene hatte man allerdings die Spielregeln längst geändert und plante selbst den Ersteinsatz von Kernwaffen.

Inhaltsverzeichnis / Ost für ein standardisiertes Kriegsschauspiel / West. Der Vorteil: Würde man beim Warschauer Pakt eine Spannung fühlen, konnte man im Drehbuch nachblättern, welches Stadium erreicht war und wie es bei der NATO weitergeht. Der Nachteil: Der Osten setzte der bekannten NATO-Planung eigene militärische Überlegungen entgegen.

Bereits am 1. Oktober 1978 sind alle Unterlagen ins Deutsche übersetzt, um weniger relevante Inhalte bereinigt und auf 103 Seiten übersichtlich für die DDR-Spitze zusammengestellt. Ganz oben auf dem Verteiler des „Streng Geheim“en Papiers finden sich die Kürzel von Verteidigungsminister Heinz Hoffmann und seinem Nachfolger (ab 1985) Heinz Keßler – beide Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates der DDR. Drei Wochen später wird dieses Werk um weitere 59 Seiten ergänzt.

Neu ist die Sucht nach Informationen bei den Genossen um Mielke und Wolf aber nicht. Es gibt zwischen 1966 und 1990 keine einzige NATO-Kommandostabsübung, deren Drehbuch nicht schon Monate vor Übungsbeginn komplett im Osten vorlag.

Eigentlich eine günstige Ausgangslage für Stabilität zwischen den Blöcken, denn so konnte der Osten im Falle einer Eskalation nachblättern, wo man sich befand, wie ernst die Sache ist und wie es weitergeht. Und „Orange“ wusste auch, wie der Gegner ihn erwartet und konnte sich gegebenenfalls in einem verlässlichen Verhaltensmuster bewegen.

Doch hier scherte der Warschauer Pakt aus und plante neu. Damit wurden die Spielregeln mit der NATO verletzt, ohne dass die es wusste / wissen sollte.

Ironie der Geschichte: Ausgerechnet im letzten Jahr des Kalten Krieges veränderte auch das westliche Militärbündnis seine „treuen Drehpläne“ und verschärfte die Dramaturgie. Dem Ersteinsatz von Kernwaffen sollte der Zweitschlag folgen. Die Angriffsziele lagen zwar im Osten, doch auch auf deutschem Boden. Spätestens, als die NATO ein atomares Dickschiff auf einen russischen Truppenstandort südlich von Berlin losschicken will, bei dem auch Ost- und Westberlin stark beschädigt werden (übungshalber), schert die Bunkermannschaft um ihren obersten Dienstherren Waldemar Schreckenberger aus - mit dem Segen des echten Bundeskanzlers Helmut Kohl.

Die Bundesregierung – und mit ihr die NATO – beenden WINTEX 89 vorzeitig. „Auf diese Weise wurde der einvernehmliche Verteidigungswille der Allianz gewahrt“, so Schreckenberger, der über eine enge Absprache zwischen Bundeskanzleramt und Verteidigungsministerium künftig mehr Einfluss auf die Planung solcher Übungen bei der NATO nehmen will. Deren Generalsekretär ist der ehemalige deutsche Verteidigungsminister Manfred Wörner. Einer seiner engsten Vertrauten ist Hans Rühle, über Jahre Chef des Planungsstabes im Bundesverteidigungsministerium und bestens im Bilde über alle WINTEX-Inhalte. „Wie einige andere Militärexperten auch, sah ich in den Übungsverläufen ein längst überholtes Denkmodell der NATO, was sich nicht an realistischer Handlungsfähigkeit und -bereitschaft des Ostens orientierte.“ Was Rühle damals vermutet, hat er 2008 nach umfangreichen Recherchen mit seinem Sohn Michael Rühle, Leiter des Planungsstabes der politischen Abteilung der NATO, schwarz auf weiß vorgelegt: Seit 1961 plante der Warschauer Vertrag selbst den Ersteinsatz von Atomwaffen. Damit waren die NATO-Drehbücher über drei Jahrzehnte idealisiert und nicht an der Praxis des 3. Weltkrieges orientiert. Während man mit einem strategischen Vorgeplänkel rechnete, überraschte der Osten seinen wartenden Feind im Westen mit 500 nuklearen Gefechtsköpfen, Zielgebiet BRD.

„Bereits ab etwa 1964 plante der Warschauer Vertrag den Ersteinsatz von 1.000 Kernwaffenangriffen auf Westeuropa. Anschließend sollten Landstreitkräfte diese Gebiete besetzen. Den Ausfall der 1. Welle hätte man in Kauf genommen“, fanden Rühle sen. und jun. heraus.

Was zu keiner Zeit in einem NATO-Drehbuch Berücksichtigung fand, wurde dann Ende 1989 auch im östlichen Bündnis zu den Akten gelegt. „Die letzte Übungsentscheidung“, so stellte Waldemar Schreckenberger nach WINTEX 89 fest, „bewegte sich bereits in einem internationalen Übergangsstadium zu allgemeinen offenen Friedensbemühungen“. Ein Irrtum, denn die Übung „WINTEX 91“ war bereits schon wieder terminiert. Und auch die DDR-Staatssicherheit sammelte im Sommer 1989 - wie eh und je – eifrig Informationen dazu. So wusste der untergehende Ostblock, dass die NATO vom 22. Februar bis 7. März 1991 wieder einmal „die Führungsfähigkeit bei eingeschränkten Fernmeldeverbindungen“ überprüfen werde und irgendwann im letzten Teil der Übung ein „nukleares Konsultationsverfahren“ im Drehbuch stehen hat.

Als Bundeskanzler hatte bereits Helmut Schmidt die „nicht wirkliche Flexibilität“ der NATO-Drehbücher moniert und seinem Generalinspekteur Ende der siebziger Jahre vertraulich erklärt, dass er nach der „ersten Atomexplosion in Deutschland die Einstellung der Kampfhandlungen“ befehlen werde. Das stand in keinem NATO-Drehbuch und wusste auch die Staatssicherheit nicht.

Zwei deutsche Bundeskanzler und ihre ganz eigenen Einlagen im Kriegsfall (üb): Die Regierung Schmidt wollte ihre zivilen Stäbe nicht mehr in den WINTEX-Krieg schicken, die Regierung Kohl stieg dann mitten im Procedere ganz aus.