Geisterschiff des Kalten Krieges
Donnerstag, 14. Mai 2009

Deutschlands luxuriösester Ausweichsitz, den keiner kennt

Unheimlich: ABC-Schleuse im Notausgang des Ausweichsitzes der Landeszentralbank Rheinland-Pfalz.
Unheimlich: ABC-Schleuse im Notausgang des Ausweichsitzes der Landeszentralbank Rheinland-Pfalz.

Es ist eines jener Dörfer – irgendwo im Hunsrück – an deren Ortsausgangsschild man immer noch Tempo 80 hat, wenn man am Ortseingangsschild nicht sofort auf die Bremse gegangen ist. Was zwischen den beiden Schildern liegt, erinnert an ein Heimatmuseum. Und auch um das Häufchen Häuser gibt es nichts, was rasante Entwicklungen der vergangenen 100 Jahre verrät. Baumgruppen und Ackerflächen, durch die sich die einzige Straße ihren Weg bahnt. Die führt hinter dem Ort steil bergab in eine lang gezogene Rechtskurve, in der die Leitplanken wegen eines kleinen, unscheinbaren Wirtschaftsweges unterbrochen sind, der ins Irgendwohin der Felder führt.

Nichts an diesem Landschaftsbild ist ungewöhnlich oder gar spektakulär. Wenn nicht diesen unscheinbaren Wirtschaftsweg mitten im Feld Leitplanken und die typischen Straßenlaternen der 60er Jahre säumen würden. Hier beginnt eine Geschichte, die sehr wohl in den vergangenen 100 Jahren geschrieben wurde. Fast wäre sie in Vergessenheit geraten.

Die Suche nach dem Bunker-Phantom

Die Reste der Vermittlungstechnik aus dem Ausweichsitz des Landesregierung im Lager eines Alzeyer Elektrounternehmens: Hier taucht das geheime „Fernschreib-Buch“ des Bunkers auf, das über 15 Jahre lückenlos dokumentiert, wer mit wem in verbunkerter Verbindung stand.

Ganz woanders und Jahre vorher wird ein Kapitel dieser Geschichte geschrieben – über eine Verkettung von Zufällen und im Ergebnis schier unglaublich.

Ein Freitagnachmittag im Oktober 2007. Im muffigen Lager eines Alzeyer Elektrounternehmens arbeiten sich einige wühlende Hände durch einen Haufen Technikschrott und Unterlagen. Alles stammt aus dem Ausweichsitz der Landesregierung Rheinland-Pfalz und markiert im Kern die Fernemeldeeinrichtung, die demontiert einem örtlichen Handwerker überlassen wurde.

In diesem Haufen aus Kabeln, kleinen Blechkästen und Firmenbroschüren kommt ein Buch zum Vorschein, das mit seinem grau-weißen Einband eigentlich unscheinbar wirkt. Doch es ist handgebunden und auf dem handgeschnittenen Deckblatt steht handgeschrieben „Fernschreib-Betriebsbuch“. Darunter wurden akkurat handschriftlich Daten vermerkt: „1. Fallex 66 vom 17. – 21.10.66“. Es folgen die Jahrgänge 71, 73, 75, 77. Allein das verrät einiges. 1968 hat man keine Fallex-Übung bestritten. Und die Übungen 1966, 1971 und 1973 wurden vom gleichen Schriftführer vermerkt, der also mindestens acht Jahre über dieses „heiße“ Papier seine schützende Hand hielt. Das Buch endet auf Seite 400 mit dem Eintrag vom 13. März 1981, 19.53 Uhr. Die erste von exakt 10.000 Zeilen wurde am 17.10.1966 um 8.57 Uhr beschrieben. Der Inhalt aber hat es faustdick in sich. Es ist die unheimliche Bunkerfibel des Kalten Krieges, die alles festhält, was im geheimen Ausweichsitz von Rheinland-Pfalz in 15 Jahren Fernschreibverkehr zu den NATO-Übungen ein- und ausging.

10.000 Eintragungen auf 400 Seiten im „Fernschreib-Buch“ informieren auch über Anlagen des Kalten Krieges, die bisher unbekannt sind. Im Laufe der Jahre sind einige Objekte aus den Übungsszenarien verschwunden, andere tauchen neu auf. Mindestens fünf Bunkeranlagen unter rheinland-pfälzischer Heimaterde sind verschollen – so wie bisher der Ausweichsitz der Landeszentralbank Rheinland-Pfalz.

An jenem Freitag im Oktober 2007 wirbelt es mit dem Herausrütteln aus einem großen Haufen Bunkerschrott etwas Staub auf und geht auf Reisen. 

Es beginnt die Auswertung der teils kryptischen Eintragungen. Nüchterne Empfangslisten und Sendeprotokolle. Wer mit wem fernschreibt, welche Nachrichten über den Bunker der Landesregierung weitergleitet werden. Auffällig: Immer dann, wenn eine neue Übung beginnt, melden sich die gleichen rheinland-pfälzischen Unterwelten in chronologischer Reihenfolge - die es aber eigentlich gar nicht gibt.

So steigt am 12. März 1979 um Punkt 8 Uhr der Ausweichsitz der Landesregierung in das laufende Geschehen der Kriegsübung "Wintex 79" ein. Eines der ersten Fernschreiben kommt um 9.30 Uhr von „LZBLRG“ und wird weitergeleitet an „zbmz“. Die Landeszentralbank der Landesregierung (mit Sitz in Mainz) funkt die Zentralbank Mainz an? Über die „Zwischenstation“ an der Mosel?

Schnell wird klar: „LZBLRG“ ist nicht in Mainz. Der Landeszentralbank wurde ein verbunkerter Ausweichsitz spendiert. Wo der liegt, wie er aussieht, ob er überhaupt noch da ist – alles ist unbekannt. Die Suche nach einem verschollenen Geisterschiff, von dem das Bunker-Logbuch der Landesregierung nur berichtet, das es als intaktes U-Boot im Kalten Krieg auf Tauchfahrt geschickt wurde, beginnt.

Reise hinab in ein idyllisches Hunsrück-Tal. Unter den letzten Metern des Weges liegt bereits das Bunkerareal.

Und endet am Ende des beschriebenen Ortes – irgendwo im Hunsrück. Unter den Straßenlaternen der 60er Jahre vorbei geht es über den unscheinbaren Wirtschaftsweg mit seinen weniger unscheinbaren Leitplanken hinein in einen Wald.

Dort wacht in einer engen Linkskurve ein Straßenspiegel über das Wohl der seltenen Autofahrer. Soetwas stellt man dort auf, wo Verkehr ist. Oder Sicherheit oberstes Gebot hat. Die Linkskurve mit ihrem Spiegel, längst zugemoost, führt in eine neue Landschaft – die mit drei Garagen im Berg beginnt. Es geht weiter abwärts auf einen blauen Zaun zu, der früher einmal grün war. Beton rechts und links. Und unten drunter. Was man weder ahnt noch sieht. Das U-Boot der Landesbank liegt längst unter den Füßen. Es ist auf Schleichfahrt mit seinen Technikräumen, 40 Betten und riesigem Tresortrakt. Und ohne Besatzung.

Schleusenbereich hinter dem Hauptzugang. Geradeaus geht es in den Dekon-Bereich, links direkt in den Hauptflur der unterirdischen Anlage.
Schleusenbereich hinter dem Hauptzugang. Geradeaus geht es in den Dekon-Bereich, links direkt in den Hauptflur der unterirdischen Anlage.

Hinter dem Dekontaminierungsbereich hängt das Schild „Ankleideraum“ als vergessenes Relikt einer Zeit, in der man aus der ABC-Dusche herausstieg und froh sein durfte, dem Atomkrieg entschlüpft zu sein – über eine Kellertreppe, hinab in das Unterreich der Landeszentralbank. Es riecht nach Kaffee, der Diesel der Stromerzeugung rattert und die Kollegen weisen ein Bett im Labyrinth der Zimmer zu. Alles ist gut.

Eine Leselampe überm Bett, den Arbeitsplatz einige Meter weiter. Eine Atmosphäre von Geborgenheit. Und die der Abschottung zum Rest der Welt. Auf der Telefonliste gibt es einen Anschluss „Präsidentenzimmer“. Oder „Tresorraum“. Denn auch das gibt es in der heimlichen Unterwelt der Landesbanker: Einen Panzerschrank voll mit Geld. Die Barschaft für den Kriegsfall liegt, gut gesichert, hinter einer 50 cm starken Stahltür, die es auf mehr als sechs Tonnen Gewicht bringt. Das alles riecht nach Geld.

Hauptflur in einem von zwei Bunkerbereichen. Hier lagen die Schlafräume, der Küchenbereich, aber auch Wasserwerk, Stromversorgung oder Sandfilteranlage.

Tatsächlich bringt der Ausweichsitz der Landeszentralbank Rheinland-Pfalz etwas mit, was andere Anlagen vermissen lassen: Einen Hauch von Luxus. Alles hier ist hochwertig. Es gibt Teppiche, im ABC-Duschbereich sogar einen ansehnlichen Lattenrost aus edlem Gehölz. Die Fußböden sehen alle aus, als ob sie gerade fertig gestellt wurden. Qualität, die auch 45 Jahre nach dem Bau des Bunkers noch etwas her macht. In den Schlafräumen hängen an einer Wand gegenüber der Doppelstockbetten kleine Verlängerungstreppen für die Bettleiter. Alles wirkt liebevoll durchdacht – bis ins letzte Detail.

An jeder Tür hängt eine teure Wechselsprechanlage, über der gesamten Anlage thront eine Kameraüberwachung auf ihrem drehbaren Mast – alles technische Extraklasse. Unten, im Raum des Kommandanten, steht der riesige Überwachungsbildschirm und zeigt noch immer in schwarz-weiß, was draußen, im traumhaften Tal mit seinen leuchtenden Frühlingsfarben los ist.

Die Kommandozentrale mit Überwachungsfernseher für den Blick ins traumhafte Tal. Hier gab es sogar ein Pult für die Strahlenmessung des Areals, für die an mehreren Stellen Messsonden im Boden eingelassen waren – ein Luxus der Extraklasse, den sich selbst der Regierungsbunker im Ahrtal nicht leistete.

In diese Bilderbuchlandschaft führen immerhin zwei Notausgänge aus dem Bunker wie auch ein Schacht samt Aufzugsanlage. Den Vergleich mit dem Ausweichsitz der Bundesbank, nördlich an der Mosel gelegen, braucht man nicht scheuen. Und auch den mit den Ausweichstellen der Landesregierungen nicht. Während einige Bundesländer mangels Finanzen auf den Bau verzichteten, hat die Landeszentralbank Rheinland-Pfalz aus dem Vollen geschöpft. Natürlich geheim und so, dass die Öffentlichkeit davon nichts mitbekam. Dem Neubau 1963 wurden 1972 und 1977 umfangreiche Modernisierungs- und Umbaumaßnahmen spendiert. Geld spielte dabei offensichtlich nie eine Rolle.

Die technische Inneneinrichtung ist weitestgehend identisch mit dem Ausweichsitz der Bundesbank in Cochem. Das Bunker-Knowhow stammte aus der gleichen Stadt, die auch für den Regierungsbunker im Ahrtal Planung und Bauleitung übernahm: Essen. Doch das Ingenieurbüro ist im Laufe der Jahre genauso untergegangen, wie der Bunker, den es baute. 1993 wurde das Objekt geräumt. Wie einen faulen Kredit ließ die Bank das Areal zurück und gliederte es aus. Wie immer, war auch das kein öffentliches Thema.

Der Zugang zur Tresoranlage, dem Herzstück des Ausweichsitzes. Hier lagerte man in mehreren Gitterboxen Bargeld für den Kriegs- und Krisenfall.

Das ist es heute auch nicht. Der Eigentümer lebt mit dem Stück Zeitgeschichte unter seinen Füßen – und ohne Besucher. Das 600 Quadratmeter große U-Boot hat angelegt, die lange Tauchfahrt durch den Kalten Krieg ist zu Ende – ohne das irgendjemand davon etwas mitbekam. Ein Geisterschiff, in einem wunderschönen Tal, irgendwo im Hunsrück.

(Im Interesse des Bunkers und seines Eigentümers wird der Ortsname nicht genannt. Besichtigungen sind nicht möglich.)