50 Jahre: Ein großes Stück vom Nichts
Donnerstag, 05. November 2009

Am 9.11.1959 begann die Bundesregierung mit dem Bau ihres Bunkers

Vor 50 Jahren. Zugang zum Eisenbahntunnel über Ahrweiler. Es gibt weder einen Bunker, noch eine Dokumentationsstätte.

Es ist Mittwoch, der 9. November 1959. Es ist strahlendblauer Himmel über der Eifel, von Westen ziehen Wolken auf. In die aufgehende Sonne dieses Morgens hinein marschiert eine Handvoll Bauarbeiter über das Gelände des Bahndamms zwischen dem Kuxberg und dem Trotzenberg, oberhalb des Eifelortes Marienthal. Ihr Ziel: Ein schwarzes Loch - der Zugang eines ehemaligen Eisenbahntunnels. Eigentlich ist es ein Tag, wie andere zuvor auch. Die Arbeiter verschwinden in der Öffnung des Berges. Die unterirdische Eisenbahnstrecke zwischen Dernau, Marienthal und Ahrweiler wird da repariert, wo sie nach dem zweiten Weltkrieg durch alliierte Sprengkommandos zerstört wurde.

Vor einem halben Jahrhundert begann die Bundesregierung mit dem Bau ihres Bunkers für den Kriegs- und Krisenfall. Mit einem Monat Verspätung laufen die Arbeiten zur Trümmerräumung im Kuxberg an, die als „Ausbau Anlagen des THW, 1. Teil“ im geheimen Aktenwerk geführt werden. Den Auftrag zur Beseitigung der Gesteinstrümmer sowie zur statischen Stabilisierung der Sprengstellen erhält die Firma Thyssen Schachtbau. Die Vorgabe des Bundes: Am 15. März 1960 sollen diese Arbeiten abgeschlossen sein. Anschließend soll ausgebaut werden und der Bunker im Juni 1962 – also nach 27 Monaten Bauzeit - bezugsbereit sein. Adenauer hätte, so erzählen uns heute die Geschichtsbücher, pünktlich zur Kuba-Krise ein atombombensicheres Dach über dem Kanzlerkopf gehabt.

Der Start zum Bunkerbau im November 1959 ist der Einstieg in ein Milliardenprojekt, in dessen Verlauf Kosten und Bauzeit völlig aus dem Ruder laufen. Über 12 Jahre wird schließlich an der unterirdischen Anlage gebaut. Mehr als 20.000 Bauleute kommen zu Einsatz. Alle namhaften deutschen Bauunternehmen schicken ihre besten Leute, ihre modernsten Maschinen in das malerische Ahrtal. Dort wird eine riesige Seilbahn für den Transport der Materialien errichtet, werden bald die Baracken der Bauleitung aus Platzmangel übereinander aufgestellt, werden Patente entwickelt, die wegen der Geheimhaltung nicht genutzt werden dürfen, ganz neue Arbeitsverfahren umgesetzt und hochmoderne Maschinen eingesetzt, verschwindet ein riesiges Tal aus dem Landschaftsbild, weil der Felsausbruch für die Erweiterung der unterirdischen Wege irgendwo hin muss. Aus drei Kilometern Eisenbahnstollen werden nicht, wie vom Bundesinnenministerium geplant und vom Bundesverteidigungsrat um Adenauer im Oktober 1960 beschlossen, drei Kilometer Bunker.

Die Anlage wächst, weil man mehr Platz für den Kriegsfall braucht. Denn die Stäbe bauen ihre Personalpräsenz auf, nicht wie gewünscht ab. Die Technik muss in allen Bereichen dafür sorgen, dass dieser unterirdische Apparat 30 Tage funktioniert. Luft, Essen, Strom – bis hin zur Toilettenkapazität – alles muss für 3.000 Menschen einen Monat lang reichen.

Im Nebel der Geschichte untergetaucht: Eingangsbauwerk in den ehemaligen Regierungsbunker. Vor 50 Jahren fiel auf dem Platz davor der Startschuss für den Bunkerbau (9.11.1959).

Am Ende sind es 17.336 Bunkermeter. Alles hier ist gigantisch, und während 20 Tonnen schwere Tore im Millisekundenbruchteil zufahren, um die Regierung vor einem Atomtod zu schützen, Drucktore mit 100 atü Festigkeit den Krieg mit seinen hässlichen Auswirkungen vor der Tür halten sollen, muss die deutsche Bevölkerung mit Bunkern aus dem zweiten Weltkrieg planen, in denen gerade einmal zwei Prozent der Bundesdeutschen rechnerisch einen Platz finden. Diese Anlagen sind für einen Luftdruck von 3 atü ausgelegt ... sagenhafte 3 Prozent des Schutzgrades, den sich die Regierung spendiert und von dem sie ausgeht, dass man ihn braucht um zu überleben.

Von 1966 bis 1989 probt die Bundesregierung alle zwei Jahre im NATO-Verbund im Regierungsbunker den 3. Weltkrieg. Sie bettet das Geschehen ein in ein demokratisches Korsett, macht es kompatibel mit dem Grundgesetz. Im Bunker wird deutsche Nachkriegsgeschichte geschrieben: Hier werden die Notstandsgesetze zwei Jahre vor ihrer - von öffentlichen Protesten begleiteten – Verabschiedung im Bundestag erprobt. Hier übergibt die Bundesregierung das Land der atomaren Apokalypse – ein Land, auf dessen Verfassung sie einen Eid abgelegte, der besagt, dem deutschen Volk zu dienen und Schaden von ihm abzuwenden. Der Bunker – ein großes Stück vom Nichts. Mit erheblichem Aufwand errichtet, würde seinem Einsatz der atomare Weltuntergang folgen.

Bau der Baracke für die Bauleitung von Deutschlands Staatsgeheimnis Nummer 1 ab Anfang 1960. Hier saßen bis Frühjahr 1970 auch die Mitarbeiter des Architekturbüros der Familie Walter aus Essen, die sich nun am 8. November 2009 erstmals in der Dokumentationsstätte Regierungsbunker wieder sehen.

Vor 50 Jahren begann die Umsetzung jener atomaren Inszenierung zwischen Dernau und Ahrweiler. Für die Dokumentationsstätte Regierungsbunker, Bad Neuenahr-Ahrweiler, am Sonntag, 8. November 2009, ein wichtiges Ereignis, das am Originalschauplatz gebührend begangen wird: Mitglieder aus der ehemaligen Bauleitung und ihre Familien sind als Ehrengäste durch die Dokumentationsstätte eingeladen und haben ihr Kommen zugesagt. Unter ihnen ist mit Dr. Hans Walter einer der Architekten des Bauwerks, mit Lore Berthel seine Chefsekretärin, mit Reiner van Briel ein Mitglied der Bauleitung … ein Treffen unter Zeitzeugen, das so zum letzten Mal im Frühjahr 1970 zum Ende der Bauarbeiten stattfand. Am kommenden Sonntag wird es eine Neuauflage geben – und das eingebunden in das ganz „normale“ Museumsprogramm dieses Tages. Die Dokumentationsstätte Regierungsbunker lädt Gäste ein, die Chance zu nutzen und sich mit den Zeitzeugen auszutauschen: Wie nehmen sie heute ihre Arbeit für diesen Bau wahr, wie beurteilen sie den Bunker und seine neue Aufgabe als Museum, den Rückbau, mit dem ein großer Teil ihres beruflichen Wirkens wieder getilgt wurde? Und wie sah damals der Alltag aus auf der Baustelle von Deutschlands Staatsgeheimnis Nummer 1, welche Geschichten und Anekdötchen gab es, die wegen der Geheimhaltung niemals an die Öffentlichkeit gelangen sollten?

Einmalige Erfolgsstory als Dokumentationsstätte wird fortgesetzt

Die Dokumentationsstätte ist nicht nur Betreiber eines Museums und betreut täglich bis zu 1.200 Gäste im Bunker, sondern arbeitet sich auch gründlich durch die Geschichte dieses Ortes und übernimmt damit Verantwortung in der Aufarbeitung.

Für die Dokumentationsstätte Regierungsbunker ist das 50-jährige Jubiläum ein Highlight in der noch jungen, nicht einmal zweijährigen Museumsgeschichte – und doch arbeitet sich der Museumsbetreiber in der Aufarbeitung der Bunkergeschichte sehr gründlich und umfassend durch ein halbes Jahrhundert bundesdeutscher Geschichte an diesem Ort. „Wir sind uns bewusst für die Verantwortung, die wir hier übernommen haben. Der geschichtlichen Aufarbeitung, Bewertung und Vermittlung an unsere Besucher gilt ein Hauptaugenmerk“, bringt es Dr. Wilbert Herschbach, Vorsitzender des Heimatvereins „Alt-Ahrweiler“ auf den Punkt. Diese Haltung findet sich auch im Alltag des „wohl merkwürdigsten Museums dieses Planeten“ (Zitat Jacques Berndorf, Krimiautor aus der Eifel zum wohl spannendsten Fall dieses Landstriches) wider. Ein passendes, kulturelles Begleitprogramm ist im Bunker eingezogen, Ferien-Workshops oder Familienführungen sind als Bestandteil eines umfangreichen und abwechslungsreichen Rahmenprogramms längst eine Erfolgsstory im unterirdischen Reich des Kalten Krieges, mit der „Eifel-Bunker-Tour“ gibt es inzwischen sogar die Zusammenarbeit mit einer weiteren Dokumentationsstätte im Ausweichsitz der Landesregierung Nordrhein-Westfalens.

32 Seiten stark, beschreibt eine Broschüre das Jahr des Bunkerbaus 1959 mit exklusiven Texten verschiedener Autoren und bisher nicht veröffentlichten Fotos.

Und auch für kommendes Jahr hat sich die Mannschaft der Dokumentationsstätte um Leiterin Heike Hollunder wieder einiges vorgenommen, denn „auf dem bisherigen Erfolg werden wir uns nicht ausruhen. In der kommenden Saison 2010 wird es wieder Ferienkurse und Projekte für Kinder und Jugendliche geben, außerdem sind Kunstausstellungen und Vorträge geplant. In diesem Jahr bildete die Kunstausstellung „Kansa“ des deutsch-finnischen Ehepaares Goller-Masalin den Auftakt in der Reihe der Ausstellungen, die sich in 2010 fortsetzen wird. Eindrücke vom sogenannten „Honecker-Bunker“, dem Gegenstück des Regierungsbunkers in der ehemaligen DDR, vermittelt ab Sommer eine Fotoausstellung, daneben werden Originalobjekte aus dem Postbunker des Ministerrates in Ostberlin gezeigt. Am Ende des Jahres 2010 wird die musikalische Lesung, die 2008 als Premiere auf der Plattform des Regierungsbunkers mit Christian Willisohn und Jacques Berndorf einen Höhepunkt im Rahmenprogramm bildete, eine Fortsetzung in Form eines politischen Kabaretts finden.“

Doch zunächst wird der „50ste“ gefeiert: Am Sonntag, 8. November, von 12 bis 14 Uhr stehen die Zeitzeugen Rede und Antwort und bringen sich mit ihren Erinnerungen in die Aufarbeitung der Bunkergeschichte ein.