Als die Wucht der Einheit einschlug |
Freitag, 01. Oktober 2010 | |
Deutsch-deutsche Bunkergeschichte: Was aus den Kommandostellen in Prenden und Marienthal wurde
Über den Farbfernseher der Kommandozentrale im Bauteil 2 flimmerten die Bilder aus Berlin: Feuerwerk und deutsche Hymne vor dem Reichstag, Helmut Kohl Seite an Seite mit Willy Brandt, alles in allem ein Stück Zeitgeschichte. Während sich die beiden deutschen Staaten mit großem Pathos wieder zu einem vereinten, drehten die Fische im Aquarium der Dienstelle Marienthal 100 Meter unter der Erdoberfläche ihre Runden und lieferten zusammen mit der Live-Übertragung vom Reichstag etwas Abwechslung in der Monotonie jener Nachtschicht am 3. Oktober 1990. Wie auch in den zwei Jahrzehnten vor dieser Nacht gab es keine besonderen Vorkommnisse im Atombunker der Bundesregierung.
Etwas anders sah es bei den ostdeutschen Kollegen 511 Kilometer entfernt in ihrem Regierungsbunker in Prenden aus. Hier wurde in jener Nacht vor 20 Jahren alles auf den Kopf gestellt: Die Uniformen wechselten, die Kommandogewalt auch. Und eine Regierung, die als atomarer Nutznießer in Frage käme, gab es nicht mehr. Wegen Feindbildaufgabe geschlossen – das galt bald für beide Bunkeranlagen. Was von ihnen blieb im 20. Jahr der Einheit? Eine Reise an jene Orte, die im Kalten Krieg Kommandozentralen des deutsch-deutschen Atominfernos waren, gibt Antworten – von beeindruckend bis bedrückend. Der „Honecker-Bunker“, den man amts-ostdeutsch „Objekt 17/5001“ nannte, ist verschlossen und nicht mehr zugänglich.
Der „Regierungsbunker“, den man amts-westdeutsch „Dienstelle Marienthal“, auch mal „Rosengarten“, „Anlagen des THW“ oder „Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes“ (AdVB) nannte, wurde größtenteils abgerissen.
Die Wucht der Einheit hat beide Anlagen getroffen – und entbehrlich gemacht. Ein Paarlauf durch die Einheitsgeschichte, was das Schicksal der deutsch-deutschen Kommandozentralen betrifft. Ein kleiner Teil, der gleichermaßen für die Idee geschützter Regierungssitze in Ost und West steht, ist heute das Museum im Bunker/West. 200.000 Menschen aus aller Welt zählte die dortige Dokumentationsstätte nach 936 Museumstagen am 22. September 2010. Der Besucheransturm ist beeindruckend – wie die Bunker-Idee an sich. 2010: Besuch in den VerwaltungszentralenWas aber diese Besucher nicht erfahren und wo die Geschichte beider Verteidigungsbauwerke gravierend auseinander klafft, ist das Schicksal der Führungsstellen über den unterirdischen Bauten in Ahrweiler und Prenden. Denn das Kommando über den Bunker an sich wurde aus dem Stabsgebäude – so die Bezeichnung in der DDR, bzw. der Dienstellenverwaltung (West) ausgeübt. Und da, wo der Kopf auf dem unterirdischen Bunker-Torso saß, ist im 20. Jahr Einheitsdeutschlands ein gravierendes Ost-Westgefälle feststellbar: In Marienthal blühende Landschaften, in Prenden Tristesse.
Dabei ist bereits der Ansatz von Stabsgebäude, bzw. Dienststelle grundverschieden. In Prenden verwaltete man die unterirdische Führungsstelle aus einem verspiegelten und von Stacheldraht umzäunten Plattenbau, in Marienthal richtete man sich in einer Luxusvilla ein, die um die Jahrhundertwende aufwendig errichtet wurde. Allein die Auswahl der Liegenschaften spricht Bände für deutsch-deutsche Polit-Mentalitäten und ihre Eigenwahrnehmung: Im Osten der Weg in die Provinz, der Bunker abgelegen in einem Waldgebiet und mit Starkstromzaun gesichert - alles gut versteckt vor dem Rest der Welt. Im Westen baute man das Staatsgeheimnis hinein ins gut frequentierte Ahrtal und die Nachbarschaft in gleich drei Ortschaften konnte vom Küchenfenster zusehen, wie der unterirdische Betonkoloss über Jahre wuchs. Größer konnten die Unterschiede im äußeren Erscheinungsbild der Sache an sich und ihrer Erstellung wohl kaum sein. Intern gab es – neben funktioneller Technik – jedoch durchaus Parallelen, so bei der Einrichtung eines Partyraumes, auf den man in Prenden und Marienthal nicht verzichtete.
So grundverschieden beide Verwaltungsbauten der Bunker immer wirkten, so weit gehen ihre heutigen Erscheinungsbilder auseinander: In Prenden ist längst die Bombe eingeschlagen, in Marienthal sieht es in einigen Räumen aus, als wenn gleich die nächste Schicht beginnt. Die Schreibtische stehen an ihren Plätzen, die Teppiche sind pikobello, die Fenster geputzt. Keine Leuchtstoffröhre flackert, der Rasen im Garten ist gemäht, die Bäume der Allee akkurat geschnitten. In der Zufahrt zu dieser Traumimmobilie, die inzwischen privatisiert ist, steht noch immer das Schild. „Betreten der Anlage verboten! Dienststelle Marienthal“.
In der Marienthaler Villa richtete das THW 1953 seine Bundesschule ein – und blieb ein Jahrzehnt. Nachmieter wurde die Dienstelle des Bunkers - bis 1998. Nach dem Aus des Regierungsbunkers und seiner Dienststelle war das mondäne Verwaltungsgebäude Anlaufstelle in Sachen Bunkerrückbau. Während einige Meter weiter im Berg gesprengt, gebaggert und geräumt wurde, saß der Kopf der ungewöhnlichen Baumaßnahme dort, wo man sich vorher mit viel Sorgfalt und Gründlichkeit um das westdeutsche Staatsgeheimnis Nummer 1 gekümmert hatte.
Geschichte mit VerfallsdatumSo gut geordnet vollzog sich der Rückzug aus dem ostdeutschen Regierungsbunker (im Ernstfall Sitz des Nationalen Verteidigungsrates mit seinem Vorsitzenden, Staatsratsvorsitzender Erich Honecker an der Spitze) in Prenden offenbar nicht. Die Masse der verspiegelten Fensterscheiben – in der DDR immer ein teuer erkaufter Hinweis auf Sicherheitsbelange – ist zerstört. Wind und Wetter - und wohl auch einige zerstörerische Hände - haben dem Stabsgebäude und seinem Inhalt zugesetzt. Eine Bauruine, die mit buntem Absperrband und Warntafeln „Betreten Verboten!“ scheinbar ein real existierendes Verfallsdatum vor sich her zu schieben versucht. Auf den Fluren liegen Scherben und Trümmer der Einrichtung, Stromkabel hängen von der Decke herab. Die Tapeten suchen in langen Bahnen vornüber kippend Bodenkontakt. Selbst diejenigen, die ohne festen Wohnsitz hier hin und wieder übernachteten, sind – verständlicherweise – längst ausgezogen. Im Keller ist noch die Tür zu sehen, die einen Eingang bot in Honeckers Kriegsrefugium – inzwischen alles gut verschweißt und gründlich verrammelt.
In Honeckers Ex-Bunker sollte mit der deutschen Einheit und dem Hauptstadtumzug Bundeskanzler Helmut Kohl im Ernstfall in Sicherheit gebracht werden – hieß es in Gerüchten, die sich zum Teil noch immer wacker halten. Die Berliner Regierung, wurde gemunkelt, habe nach der Wiedervereinigung den Weiterbetrieb des „Objektes 17/5001“ als Regierungsbunker kalkuliert. Tatsächlich gab es eine Prüfung aller DDR-Bunkerliegenschaften durch den Bund, die bereits 1991 mit der Feststellung abschloss: „Die in den neuen Ländern vorhandenen Führungseinheiten der ehemaligen DDR, die über viele Objekte verteilt waren, stellen von der Größe, vom baulichen Schutz und insbesondere auch von den Sanierungs- und Betriebskosten keine vergleichbare Alternative zum AdVB Marienthal dar.“ Der Anfang vom Ende – sowohl für den ostdeutschen wie auch den westdeutschen Regierungsbunker, dem wenige Jahre später genau die gleichen Kriterien zum Verhängnis wurden: Zu teuer, technisch überholt und „aufgrund der aktuellen Bedrohungslage nicht mehr zeitgemäß“. Ein Fall für die Halde der Geschichte. Dass man mit der Bunker-Entsorgung auch einen markanten Teil deutscher Geschichte zerstörte, die in zwei ganz unterschiedlichen deutschen Staaten geschrieben wurde, ist bedauerlich. Und leider auch irreparabel.
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