„Reisen, reden, lesen, schreiben“
Mittwoch, 14. September 2011

Autorentreffen in Marienthal: Gemeinsame Zeitreise fließt in neues Buch ein

Autorentreffen im Garten der ehemaligen Dienststelle Marienthal. Hier schließt sich der Kreis aus verbunkerter Kriegsvorbereitung der 60er Jahre und der Aufarbeitung des Kalten Krieges.

2012 wird ein neues Buch über Bunkeranlagen erscheinen. Die Nachricht an sich ist weder spannend noch fördert sie die Lust am Lesen. Was das Projekt heraushebt: Es wird eine ausgesprochen umfangreiche redaktionelle und fotografische Zeitreise durch Bunkeranlagen in beiden deutschen Staaten und beantwortet auch Fragen, die bislang historisch nicht aufgearbeitet wurden. Was zum Beispiel wusste die Bundesrepublik über die Bunkeranlagen der DDR-Führung, welche Unterlagen dazu existieren in den Geheim-Archiven des Bundes? Fünf Verfasser haben sich auf Zeitreise begeben und bearbeiten gemeinsam das Buchprojekt, dessen Koordination von historischem Boden aus erfolgt. Die ehemalige „Dienststelle Marienthal“ ist literarische Kommandozentrale und Treffpunkt für Autoren, Zeitzeugen und Projektmitarbeiter.

Feldversuch: Mit der Stasi-Akte erfolgreich auf Bunkersuche bei Dernau (Sommer 2011).
Feldversuch: Mit der Stasi-Akte erfolgreich auf Bunkersuche bei Dernau (Sommer 2011).

„Reisen, reden, lesen, schreiben, fotografieren“ – so lässt sich die redaktionelle und bildliche Aufarbeitung für das Buchprojekt unter dem Arbeitstitel „Deutschland einig Bunkerland – die geheimen Festungen im Kalten Krieg“ zusammen fassen. Die Bearbeitung findet nicht hinter einem Schlussstrich statt, sondern ist ein fließender Prozess zwischen laufender Recherche und dem Zusammenfassen von Ergebnissen. Da kann es auch passieren, das nach einem Autorentreffen in der ehemaligen Dienststelle Marienthal die Suche einer bisher nicht bekannten Bunkeranlage in der Nähe des Nachbarortes Dernau folgt … weil Stasi-Unterlagen eindeutig beschreiben: Dort gibt es einen Versorgungsbunker. Der dann auch gefunden wurde. Die redaktionelle Zuarbeit - eine spannende Mischung aus Theorie und Praxis.

Beschreibungen von bisher nicht gekanntem Ausmaß

Der Aufbau des Buches verspricht eine Mischung aus fachlicher Darstellung, Reportage und Bildband zu werden: Mehr als 50.000 Fotos werden ausgewertet und so zusammengestellt, dass bildlich eine hochqualitative Sammlung von ca. 100 Bunkeranlagen diesseits und jenseits des ehemaligen Eisernen Vorhanges vorliegt. Allein das ist ein Novum, größtenteils erstellt von einem Fotografen, der seit Jahren tausende Kilometer zurückgelegt hat und immer mit der gleichen Technik und der gleichen Machart Bunkeranlagen im Bild festhielt. Mit überraschenden Einblicken und nicht weniger beeindruckenden Übereinstimmungen in der deutsch-deutschen Bunkerbaukultur.

Neben der redaktionellen Aufarbeitung steht die Fotodokumentation im Mittelpunkt des Buchprojektes. Mehr als 100 Bunkeranlagen wurden dafür in den vergangenen Jahren im Bild festgehalten – von der Zivilschutzanlage bis zu Regierungsbunkern.

Die Existenz dieser Anlagen schließt natürlich auch Fragen nach den politischen Rahmenbedingungen ein, unter denen sie im Kalten Krieg errichtet wurden – einer von vier redaktionellen Fachbereichen. Auch hierbei wurden die für sich betrachteten roten Fäden der Politik in Ost und West über Kreuz verbunden, in ihrer Tragweite ausgewertet und „bunker-historisch“ eingeordnet.

Organigramm für den Kriegsfall

Ein weiteres Kapitel widmet sich dem Gesamtkonzept der bundesdeutschen Zivilverteidigung, das analysiert und beschrieben wird – ebenfalls in Text und Bild. Dabei gibt es Einblicke in Anlagen und ihre Aufgaben, die in dieser ausführlichen Form bisher nicht veröffentlicht wurden. Auch hierfür wurden über Jahre Anlagen in ganz Deutschland besichtigt, im Bild festgehalten und in Archiven und mit Zeitzeugen zusammen recherchiert. Was entstanden ist, gleicht einem Organigramm für den Kriegsfall, in dem alle Verwaltungsbereiche der Bundesrepublik Deutschland – von der Gemeinde bis zur Bundesregierung - ihren Platz haben.

Lesestunde in einer Bunkeranlage, die Marienthal als Regierungssitz im V-Fall folgen sollte. Bis heute sind die Planungen zum Bunker der Berliner Regierung „Geheim“, bzw. „Streng Geheim“ – und werden erstmals in „Deutschland einig Bunkerland“ beschrieben.

Das Fachgebiet des Nachrichtenwesens schließt sich an und beschreibt technisch und organisatorisch einen der wichtigsten Bereiche im Kriegsfall: Die Sicherstellung der Kommunikation. Welche Lösungen für welche Bedingungen gefunden wurden, ist nicht zuletzt deshalb spannend und aufschlussreich, weil hierfür zum Teil Unterlagen mit dem Stempel „Streng Geheim“ erstmals ausgewertet und Pläne veröffentlicht werden. Beeindruckend ist dabei nicht zuletzt die technische Absicherung über verbunkerte Vermittlungsstellen und den redundanten Aufbau von Mehrfachnetzen – ein unsichtbares Netz, das die unterirdischen Strukturen miteinander verband.

Schließlich geht es um das weite Feld von Spionage und Spionageabwehr in Ost und West und auch um die weitere Planung eines Regierungsbunkers nach dem Fall der Mauer im nun wiedervereinten „Deutschland einig Bunkerland“.

Damit schließt sich der Kreis der Bunkerbaukultur nach Ende des 2. Weltkrieges, über die Jahre des Kalten Krieges bis zum deutschen Einheitsstaat nach 1990, der mit ganz neuen Vorzeichen der Sicherheitssicherstellung seiner Regierung konfrontiert wurde und nun nur noch einen Regierungsbunker benötigte.

„Gartenarbeit“ in der THW-Bundesschule (1954), die die Grundlage legte für den Ausbau des Regierungsbunkers (West). Genau hier wurde jetzt die „literarische Kommandozentrale“ für das Buch „Deutschland einig Bunkerland“ aufgeschlagen.

Ein halbes Jahrhundert nach dem spannungsreichen Jahr 1962, das mit der Kuba-Krise in die Geschichtsbücher einging und in dem der Startschuss zum Bau des Bonner Regierungsbunkers an der Ahr fiel, in dem mit weiteren Bunkeranlagen die beiden deutschen Staaten mit Beton unterkellert wurden, legen die Autoren und der Verlag (Verlagsanstalt Handwerk, Düsseldorf) ein Buch auf, das sich so komplex mit dieser Seite des Kalten Krieges auseinandersetzt, wie keines zuvor. Eine anspruchvolle Aufgabe, historische Herausforderung und auch ein Riesenvergnügen, wenn man gemeinsam auf Zeitreise geht – ab Sommer 2012 gemeinsam mit den Lesern.