Bonns letztes Staatsgeheimnis?
Mittwoch, 27. Februar 2013

"Plan B.": DDR-Spionage informierte präzise über Verbindungsgang Kanzleramt-Regierungsbunker

Bonner Unterwelt im U-Bahntunnel vor dem Bundeskanzleramt: Genau für diese Stelle beschreiben Akten der DDR-Spionage 1967 einen geheimen Zugang zum Kanzleramt, der in den Verbindungsstollen zum 20 Kilometer entfernten Regierungsbunker mündet (Foto mit freundlicher Unterstützung durch die Stadtwerke Bonn).

Die DDR-Agenten hatten sich die tiefe Baugrube mitten in Bonn an der „Gabelung Reuterstraße/Koblenzer Straße“ ganz genau angesehen, von der sich mehrere Röhren als Teil eines Tunnelsystems unter der Stadt fortsetzten. Der gewöhnliche Bonner mochte ja glauben, es handele sich, wie offiziell erklärt, um eine Straßenbahnunterführung. Doch die Ost-Spionage war längst tiefer abgetaucht in dieser Sache und wusste, dass sich die „äußerst umfangreichen Baumaßnahmen bis unmittelbar an das Bundeskanzleramt erstrecken“. Am 23. Februar 1967 meldet die für Auslandsspionage zuständige Ost-Berliner Hauptverwaltung Aufklärung im Ministerium für Staatssicherheit als „Geheime Verschlusssache 75/67“: „Es gibt einen Zugangsstollen von Bonn zum Bunkersystem Marienthal“.

2011 tauchen die Unterlagen erstmals nach Ende des Kalten Krieges wieder auf und lösen eine umfangreiche Suche aus. Über die – zum Teil überhaupt nicht erwarteten – Ergebnisse berichtet das Buch „Plan B. – Bonn, Berlin und ihre Regierungsbunker“ (zu bestellen über www.plan-b-bunker.de).

Kanzler Kiesingers Fluchtpläne landen in Ost-Berlin

Stollensystem im Ahrtal, im Bild ein Teil des rückgebauten Regierungsbunkers (2005) im Bereich bei Dernau, wo laut DDR-Spionage der Verbindungsgang nach Bonn beginnen soll.

Februar 1967, Ost-Berlin: Generalleutnant Markus Wolf, Chef der DDR-Auslandsspionage, übergibt „dem Genossen Minister“ eine von vier Ausfertigungen des Geheim-Dossiers über „Bunkerbauten der Bundesregierung“. Mehrfach überprüft und mit zahlreichen detaillierten Beschreibungen garniert, ist dem Osten ein Clou gelungen. Stasi-Minister Erich Mielke hält den Fluchtplan von Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger und seiner Minister in Händen. Fotos beschreiben den Bunker im Ahrtal, der über einen 20 Kilometer langen Verbindungstunnel unauffällig, sicher und auf direktem Weg unterirdisch erreicht werden kann. Das 55 Seiten starke DDR-Geheimdokument enthält delikate Informationen zum Geheimstollen und informiert über weitere unterirdische Zuwegungen vom Hardtberg (Sitz des Bundesverteidigungsministerium) wie auch über Tarnbauwerke, aus denen der beim Bau anfallende Erdaushub unauffällig herausgeschafft wurde und die anschließend als geheime „Zugänge“ erhalten bleiben. Einer davon liegt in der Nähe von Röttgen bei Bonn – auch heute noch.

2013: Warnlampen, viele Gänge und keine Menschen

Ungewöhnlicher, unterirdischer Betriebsraum in Röttgen bei Bonn, den die DDR-Spionage als Teil des geheimen Verbindungstunnels ermittelt. Nicht alles hier ist normal – wie die zugemauerten Fenster zwischen zwei unterirdischen Gebäudeabschnitten oder die zig Versorgungsleitungen und Gänge, die einfach als Sackgasse enden – doch der Betreiber kann all das plausibel erklären.

Schilder warnen „Zutritt nur für Betriebspersonal“. Im Zugangsbereich hängt eine rote Warnlampe über einer der vielen Türen, gekoppelt an eine gebäudeweit installierte Überwachungsanlage. Rechts davor geht es ab zu einem riesigen Steuerpult, in dessen 1960er Jahre-Torso fast verloren wirkend eine hochmoderne, computergestützte Bedieneinheit implantiert ist. Treppen führen abwärts und es gibt viele Gänge. Einige sind zugemauert.

Menschen kommen nur selten hierher. Offiziell hat der Bau, ab 1962 projektiert vom Krefelder Ingenieurbüro Burdorf, nichts mit einem unterirdischen Fluchttunnel für die Regierung zu tun, auch wenn es weitreichende Verbindungen gibt, die unterirdisch über 25 Kilometer lang sogar bis auf die andere Rheinseite führen.

DDR-Spionage bestätigt bis zuletzt Verbindungstunnel, Bonn dementiert

Die DDR-Spionage überprüft jährlich ihre Dokumentation und hält an den gewonnenen Erkenntnissen fest. Die letzte Abzeichnung datiert von 1988. Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks verschwinden die Unterlagen und können bei einer ersten Recherche 2005 im Archiv des „Bundesbeauftragten für die Unterlagen der Staatssicherheit“ (BStU.) nicht gefunden werden. 2011 tauchen sie dann auf – und mit ihnen zahlreiche Fotos, präzise Daten und Koordinaten, sogar Kartenmaterial, in denen markante Baumaßnahmen und Sperrgebiete der 1960er Jahre eingezeichnet sind.

Daraus ergibt sich auch: Jahrelang hat die DDR-Spionage systematisch auffällige Bauaktivitäten in Bonn und Umgebung beobachtet, fotografiert und die gewonnenen Informationen nach Ost-Berlin gemeldet. Dort trägt man zusammen und wertet aus. Tausende Aktenseiten werden zwischen 1960 und 1990 angelegt und dokumentieren heute auch die Sammelleidenschaft der DDR-Staatssicherheit. „Plan B.“ hat die wichtigsten Unterlagen für den Regierungsbunker im Ahrtal analysiert und gibt einen Überblick zur Aufklärung im Kalten Krieg. Das schließt auch die größten Spionage-Pannen der DDR ein.

Um eine solche handelt es sich auch bei der DDR-Auswertung zum Verbindungstunnel, dementiert die Bundesregierung die Existenz eines unterirdischen Fluchtstollens zum Bunkersystem im Ahrtal. Doch Gerüchte darum gibt es seit fast 50 Jahren – auch in Bonner Kreisen. Und Zeitzeugen schwören, den Westteil des Regierungsbunkers durch einen Geheimausgang verlassen zu haben, um nach „einer gefühlten Ewigkeit“ in Bonns Innenstadt wieder aufzusteigen.

Über die Suche nach den Tunnelportalen, den von der DDR-Spionage genannten "Nebeneingängen" berichtet das Buch „Plan B. – Bonn, Berlin und ihre Regierungsbunker. Ein Ost-West-Dialog zum Kalten Krieg“, das ab sofort bestellt werden kann über www.plan-b-bunker.de.