Keine „Frankensiedlung“ am Bunker Marienthal!
Montag, 10. Juni 2013

Kritik zu Umgang mit Geschichte / Gemeinderat vertagt Entscheidung zu Flächennutzung

Erinnerung verblasst: Das Bunkerareal in Marienthal und seine Geschichte schließt Aufbau und Betrieb eines KZ-Außenlagers (1944) ein, was offenbar in Vergessenheit geraten war. Dem soll künftig ein Kontrapunkt gesetzt und vor Ort nicht nur an die Geschichte des Regierungsbunkers (1962 – 1998) erinnert werden.

Es geht um den sensiblen Umgang mit Geschichte: Der Verein „Frankensiedlung Nithrindorp" will im Zugangsbereich des ehemaligen Regierungsbunkers in Marienthal Teile einer Siedlung nach Vorbild des 500. Jahrhunderts aufbauen. Doch das Areal selbst steht für markante geschichtliche Ereignisse im Zusammenhang mit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg wie auch mit einer sich entwickelnden Bundesrepublik Deutschland. Die Fläche wurde bereits als Außenlager des KZ Buchenwald genutzt, später als Eingangsbereich für den Bunker, aus dem die Bundesregierung Kriegs- und Krisenszenarien bearbeiten wollte und dies im zweijährigen Turnus auch übte. In die Planungen zur Umnutzung "Frankensiedlung" greifen die Entscheidungen mehrerer Instanzen, darunter die der "Bundesanstalt für Immobilienaufgaben" und der Gemeinde Grafschaft.

Es scheint, dieser geschichtsbesetzte Ort kommt nicht zur Ruhe: Das kleine Seitental der Ahr bei Marienthal hat bereits einiges erlebt. Hier wurde an Szenarien für den Ersten, Zweiten und Dritten Weltkrieg gearbeitet. Für kaum einen anderen Ort der Bundesrepublik gilt diese Abfolge in dieser Intensität. Gebaut als strategische Eisenbahnlinie im Rahmen des Schlieffen-Plans, sollten hier Züge mit wichtigen Kriegsgütern durch die Eifelberge rollen. Dafür wurden mehrere Tunnelanlagen gebaut. Doch der Erste Weltkrieg war schneller, der Bau nicht beendet und die Eisenbahnstrecke ging nicht in Betrieb. Im Zweiten Weltkrieg nutzten deutsche Raketenbauer die Stollen und ließen hier Abschussrampen montieren. Als Arbeitskräfte wurden auch Häftlinge des Konzentrationslagers (KZ) Buchenwald nach Marienthal und Dernau in das dafür aufgebaute Außenlager „Rebstock“ deportiert.

Beim Bau ihres Bunkers ab 1962 ging die Bundesregierung eher von Notwendigkeiten aus und zeigte wenig Sensibilität im Umgang mit der Vorgeschichte der Tunnelanlagen und ihrer Außenbereiche. Auf der Suche nach geeigneten Möglichkeiten für einen schnellen Bunkerbau boten die bereits vorhandenen Stollen eine ideale Ausgangslage. Bauaufträge gingen sogar an Unternehmen (wie Huta-Hegerfeld), die ihrerseits schwer vorbelastet aus der Zeit des Nationalsozialismus ins deutsche Wirtschaftswunder aufgebrochen waren. Huta (Hoch- und Tiefbau AG) errichtete zuvor die Krematorien in Auschwitz-Birkenau.

Die politische Spitze in Bonn wurde mit solchen Zusammenhängen nicht konfrontiert und bewusst wurde dieses schwarze Kapitel deutscher Geschichte ferngehalten vom Regierungsbunker. Unvorbelastet zogen namhafte Politiker wie Ludwig Erhardt, Helmut Schmidt, Annemarie Renger, Ernst Benda, Paul Lücke, Kai-Uwe von Hassel oder Wolfram Dorn in den Regierungsbunker ein – und auch wieder aus. Kanzler, Minister, Staatssekretäre, Mitarbeiter der Ministerien und ranghohe Vertreter des Militärs übten regelmäßig zwischen 1966 und 1989 den Dritten Weltkrieg und benutzen für die Anreise auch die Straße, die nun über das ehemalige Barackenlager des Konzentrationslagers führte. Im Zugangsbereich Marienthal wurde geparkt und mit dem Hubschrauber gelandet – dort, wo 1944 Türme der KZ-Wachmannschaften standen. Eine Gedenktafel, die über all das informierte? Fehlanzeige. Die wurde weitab des Staatsgeheimnisses an einer Weinbergsmauer über Dernau installiert.

Mit dem Aufbau des Museums 2007 komprimierte sich Geschichte in und um den Regierungsbunker. Die Bundesbaudirektion selbst gab den Auftrag zur Aufarbeitung, in der auch das KZ seinen Platz fand. Der Bund war es dann auch, der im Zugangsbereich der Dokumentationsstätte eine Gedenktafel aufhängen ließ, die seit der Eröffnung des Museums 2008 über 400.000 Besucher passiert haben. Die Geschichte des Bunkers im Kalten Krieg wird heute selbst in höchsten nationalen und internationalen Kreisen von Historikern oder Denkmalschützern herausgehoben. Teile des ehemaligen Regierungsbunkers stehen seit 2008 unter Denkmalschutz, die Dokumentationsstätte erhielt 2009 mit „Europa Nostra“ eine der höchsten Auszeichnungen des internationalen Denkmalschutzes.

Doch offenbar ist die intensive historische Aufarbeitung und deren Vermittlung, sind die längst umfangreichen Veröffentlichungen zum Regierungsbunker und seiner Geschichte nicht überall verstanden worden. Denn eine Umnutzung der Bunkerbereiche wie aktuell zur "Frankensiedlung" angedacht und ohne fachliche, historische oder geografische Zusammenhänge, ignorieren und beschädigen die historische Rolle wie auch die Arbeit rund um die Dokumentationsstätte, die deutliche Kritik äußert und die sofortige Einstellung aller Überlegungen zur Umnutzung fordert.

Gemeinderat Grafschaft: Sitzung am 20. Juni vertagt Entscheidung

Mit ihrer Entscheidung zu Annahme oder Ablehung des Bauleitantrages als Voraussetzung für den Aufbau einer Frankensiedlung ist der Gemeinderat Grafschaft erheblich in das aktuelle Verfahren um das Bunkerareal involviert. Bei der Ratssitzung am 20. Juni 2013 hat man keine endgültige Entscheidung getroffen und wird zunächst alle Planungen gründlich prüfen. Das schließt eigene Nutzungskonzepte und Gespräche zur Übernahme der Flächen mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben ein.

Inhaltlich verbinden dabei die „Bunker-Dokumentationsstätten, Marienthal", die ebenfalls bei der Bundesanstalt als zuständigem Verwalter und Verwerter ein Nutzungs- und Kaufkonzept eingereicht haben, und die Gemeinde Grafschaft ähnliche Betrachtungsweisen und künftige Nutzungsvorstellungen. Dabei geht es um die Darstellung von Geschichte an diesem Ort, die in den vergangenen 100 Jahren geschrieben wurde.