Wie Westdeutschland den 3. Weltkrieg überleben wollte
Montag, 16. Dezember 2013

Buch von Christoph Lubbe beschreibt Notfallplanung / Vortrag am 15. März in Satzvey

Deutschlands teuerster Minigolf-Parcours: Hier versenkte die Landesregierung Niedersachsen über 800.000 DM!

Von ihrer „Stammkundschaft“ haben sie sicher schon einige Geschichten zu hören bekommen: Solche von Missverständnissen, falscher Einschätzung von „Wahrheiten“ oder von Dingen, die „einfach nur dumm gelaufen sind“. Aber das, was die Wachmannschaft an der Pforte der Justizvollzugsanstalt im niedersächsischen Lingen-Damaschke an diesem Vormittag zu hören bekommt, ist neu und passt in kein Muster. Denn erstens wollen da welche rein und nicht raus. Und zweitens geht es um geheime Pläne der Landesregierung, die Vollzugsanstalt zu besetzen.

Geht es um einen Knast, dreht sich normalerweise alles um die Frage: Wie kommt man da raus? Doch für die Recherche um den Ausweichsitz des Landes Niedersachsen heißt es über Jahre: Wie da rein kommen? Denn schon lange liegen Informationen ganz verschiedener Quellen zum Kriegs- und Krisensitz der Landesregierung Hannover vor, deren Evakuierungsort im Kalten Krieg Lingen hieß. Im Stadtteil Damaschke, so geben es die Unterlagen ab den 1970er Jahren her, soll oben die JVA ausgebaut werden, unten mit großem Aufwand ein geheimer Bunker. Christoph Lubbe recherchiert im Staatshochbauamt Lingen die dazugehörigen Baupläne. Mit 4.020 qm Grundfläche wäre das Bauwerk fast dreimal so groß ausgefallen wie der Ausweichsitz Rheinland-Pfalz. Und auch an den EMP-Schutz und eine „Schildplatte“ hatten die Planer gedacht, die das Bauvorhaben mit sagenhaften 40 Mio. DM veranschlagen.

Ehrgeizige Bunker-Pläne (rot) und Knastrealitäten in Lingen-Damschke.

Doch beim Weg über das „Bunkerareal“ in Damaschke 2011, den Anstaltsleiter Roland Schauer möglich macht, sind weder schwere Eingangsbauwerke oder getarnte Schächte der Zu- und Abluft zu finden. Eine Minigolfanlage lädt unter Kiefern zum Abschlag ein. Die einzige Immobilie ist ein kleines Gartenhäuschen für Gerätschaften der Landschaftspflege.

Immerhin 832.000 DM Planungskosten hat die Landesregierung Niedersachsen für dieses verbunkerte Luftschloss ausgegeben, das sogar Telefon- und Fernschreibanschluss hatte. 9.000 DM Leitungsmieten zahlte das Land jährlich an die Bundespost. Ein Phantomanschluss, den sogar das DDR-Ministerium für Staatssicherheit in seinen Akten zu „verbunkerten Führungsstellen auf dem Gebiet der BRD“ listete.

Verbunkertes Luftschloss und andere Realitäten

Das Buch von Christoph Lubbe „Bunker aus dem Kalten Krieg“ wird am 15. März ab 19 Uhr im Bunker Satzvey vorgestellt.

Die Geschichte um den Ausweichsitz Niedersachsen ist eines der Themen, auf das Christoph Lubbe in seinem Buch „Bunker aus dem Kalten Krieg – Wie Westdeutschland den 3. Weltkrieg überleben wollte“ (erschienen im Motorbuch Verlag, Stuttgart; Preis 24,90 Euro) eingeht. Auf 240 Seiten beschreibt er das komplexe „Notfallsystem Deutschland“ in den Jahren des Kalten Krieges. Ob Notbrunnen für die Wasserversorgung unter Kriegsbedingungen, verbunkerte Kraftwerke bis hin zu diversen Zivilschutzanlagen oder lazarettfähige Eisenbahnwaggons, die jahrzehntelang „unerkannt“ im DB-Alltag Fahrgäste über deutsche Schienenstränge chauffierten – nichts fehlt in diesem Buch. Mit beeindruckender Gründlichkeit und inhaltlichem Tiefgang gibt Lubbe einen bislang nicht da gewesenen Überblick zu einem Thema, das bewusst nie ins Rampenlicht öffentlicher Aufmerksamkeit gerückt wurde. Vieles war geheim oder wurde bewusst durch Anonymität in seiner Existenz geschützt.

Dabei existiert die Masse der beschriebenen und in einer umfangreichen Bildsammlung gezeigten Bauwerke auch heute noch. Doch entweder sind sie in Vergessenheit geraten oder die Betreiber nicht interessiert an einer Öffnung, oftmals auch im Umgang mit diesen sehr speziellen Hinterlassenschaften unsicher und ungeübt. Immerhin: Für die Recherchen von Christoph Lubbe öffneten sich viele Türen und Wege unter Tage. So ist sein Buch quasi ein Reisebericht durch die betonierte Unterwelt dieser Republik, der an der Nordseeküste beginnt und im Alpenvorland endet. Bei der Erklärung und historischen Einordnung kann Lubbe auf umfangreiches Hintergrundwissen zurückgreifen und ergänzt seine Beschreibungen durch historische Dokumente, Unterlagen, Zeitungsausschnitte, Karten oder auch Fotografien. Das Buch – ein Muss für alle, die sich für die westdeutsche Notfallplanung im Kalten Krieg interessieren.

Am 15. März 2014 um 19 Uhr stellt Christoph Lubbe sein Buch in der „Dokumentationsstätte Ausweichsitz der Landeszentralbank NRW“ in Mechernich-Satzvey vor. Sein Vortrag erklärt Inhalte, beschreibt aber auch Arbeitsweisen und Erlebnisse bei den Recherchen.

Ab 17 Uhr bietet die Dokumentationsstätte Sonderführungen an (Eintritt 8 Euro), nach deren Abschluss der Vortrag zum Buch „Bunker aus dem Kalten Krieg“ beginnt (Eintritt 2 Euro).

Infos und Anmeldungen unter www.bunker-satzvey.de, E-Mail: Diese E-Mail Adresse ist gegen Spam Bots geschützt, Sie müssen Javascript aktivieren, damit Sie es sehen können oder telefonisch bei der Stadt Mechernich, Tel.: 02443/ 494 410.