BND plante mit deutscher Exilregierung
Sonntag, 05. Oktober 2014

Geheimarchiv des Nachrichtendienstes liefert neue Informationen zur Kriegsfallplanung

„Geheimobjekt Pullach“ nennt erstmals konkrete Evakuierungsplanungen einer Bundesbehörde für den Kriegsfall – ins Ausland.

Die Bundesregierung und ihr Verbleib im dritten Weltkrieg: Ausgerechnet der Bundesnachrichtendienst (BND) heizt Spekulationen um die Evakuierung der Bonner Regierung ins Ausland wieder an. Im aktuell erschienenen Buch „Geheimobjekt Pullach“ beschreibt Dr. Bodo Hechelhammer, Leiter der Forschungs- und Arbeitsgruppe Geschichte des BND: "Für den unmittelbaren Verteidigungsfall war eine Weiterverlegung des BND ins westliche Ausland vorgesehen." Spanien und sogar die USA werden genannt. Die Vereinigten Staaten als Evakuierungszone für die gesamte Bundesregierung wurden bereits 1984 durch Journalist Michael Preute "enttarnt". Seitdem dementieren hochrangige Regierungsmitglieder der Bonner Republik vehement solche Notfallpläne.

Staatssekretär Lothar Rühl (links) im Regierungsbunker (militärisches Lagezentrum bei WINTEX 87): Es gibt keine Evakuierungsplanung für die Bundesregierung – außer die in den Ausweichsitz.

Lothar Rühl, Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung und militärischer Kopf bei Wintex/Cimex 1987 nannte, angesprochen auf eine mögliche Evakuierung der Regierung ins Ausland, solche Denkansätze eine "Desinformation", die ihm weder bekannt seien noch etwas mit der geübten Praxis für den Notstandsfall im Regierungsbunker zu tun habe. Auch Wolfram Dorn und Ernst Benda, beide hochrangige Mitarbeiter im Bundesinnenministerium, verneinten. Benda, als Bundesinnenminister immerhin Mitglied des Bundesverteidigungsrates, schränkte ein, dass eine solche Möglichkeit „grundsätzlich Sinn mache, aber nicht vorgesehen sei“. Und nun das: Der BND plante ab seiner Gründung die Verlegung ins Ausland. Die Evakuierungsabsichten, durch Hechelhammer (auf den Seiten 228 und 229 seines Buches) präzise zusammengefasst, wechseln, nennen aber immer eine Kernbotschaft: Das Funktionieren der Geheimdienstler werde nur dann sichergestellt, wenn man Deutschland im Kriegsfall verlasse. Noch in den 1970er Jahren wird dieses Szenario bestätigt und blieb bis zum Ende des Kalten Krieges bestehen.

Da der BND grundsätzlich dem Bundeskanzleramt unterstellt ist, steht automatisch die Frage im Zentrum: Wird der Kopf ebenfalls in Sicherheit gebracht und bleibt die Nähe zwischen übergeordneter Behörde und BND erhalten, oder agiert der Dienst selbstständig aus dem Ausland und wird sogar "temporär in den US-Dienst CIA eingegliedert", wie BND-Präsident Reinhard Gehlen 1953 notierte. Dabei nimmt er auch einen Begriff in den Mund, den spätere Politiker strikt ablehnen: Koordiniert wird über eine deutsche "Exilregierung".

Fakt ist: Im Regierungsbunker an der Ahr waren in den Bauwerken sieben bis zehn neben dem Bundesinnenministerium Räume für das Bundeskriminalamt wie auch den Bundesnachrichtendienst vorgehalten. Doch wer hier einziehen sollte, ist nicht beschrieben. Offenbar sollte es nicht die Spitze um den BND-Präsidenten sein, folgt man den Ausführungen des BND-Historikers Hechelhammer. Denn in einem Zweistufenplan wollte sich der Nachrichtendienst in den 70er und sogar 80er Jahren zunächst von Pullach nach Achern in Baden-Württemberg zurückziehen, mit Ausbruch von Kampfhandlungen dann ins westliche Ausland verlegt werden.

Der Regierungsbunker für die zweite Garde?

BND-Präsident Gerhard Schindler verordnet seinem Geheimdienst mehr Transparenz – punktuell zu Lasten anderer Bundesbehörden, deren Aussagen nun in Frage stehen.

Für den Regierungsbunker im Ahrtal wirft das eine entscheidende Frage auf: Wer wäre hier im Kriegs- und Krisenfall überhaupt eingezogen? Ist es, wie bei den NATO-Übungen Fallex, Wintex und Cimex ab 1968 bis 1989 Realität, die zweite Bonner Garde? Staatssekretäre vertraten ihre Minister und waren somit besser auf Notstandsabläufe vorbereitet und in geheime NATO-Szenarien eingebunden, als ihre Vorgesetzten. Was das personell für den Ernstfall bedeutet hätte, zählt zu den gut gehüteten Staatsgeheimnissen der Bonner Republik. Doch bereits Mitte der achtziger Jahre erhielt der damalige Journalist Michael Preute (und heutige Krimiautor Jacques Berndorf) Hinweise aus Reihen der Bundeswehr, die Regierung verlasse das Land mit Ziel Orlando in Florida. Der Informant war nicht irgendwer, sondern ein General names Werner Nürenberg, der die entsprechenden Evakuierungsplanungen der Bundesregierung samt Familien mit der Lufthansa-Flotte kannte. Seitdem steht Preutes Orlando-Theorie im Raum – und wichtigen Bundespolitikern als unbequem im Weg. Der Gedanke, man steige ins Flucht-Flugzeug und ließe das Heimatland in seiner Not hinter sich, verstärke ja nicht unbedingt das Vertrauen der Bevölkerung in seine Regierung. Insofern muss Michael Preute beim Lesen der aktuellen BND-Ausführungen lachen, "auch wenn es ja eigentlich nicht zum Lachen ist. Es klingt eher hämisch."

Überrascht von der durch den BND vorgelegten Absetzplanung zeigt sich Prof. Dr. Waldemar Schreckenberger, in der Regierung Kohl Kanzleramtsminister und Koordinator aller deutscher Geheimdienste. "Von einer solchen Planung weiß ich nichts", bringt es Schreckenberger auf den Punkt – der es eigentlich wissen müsste. Im "Friedensfall" führte Schreckenberger die BND-Fachaufsicht, als "Bundeskanzler üb" hat er im Rahmen von drei NATO-Übungen den Kriegsfall durchexerziert – ohne das ihm der BND dabei je abhanden gekommen ist.

BND-Historiker Bodo Hechelhammer veröffentlicht ein Gehlen-Dokument von 1953, das eine Koordinierung des Geheimdienstes über eine deutsche Exilregierung beschreibt.

Ob der BND-Historiker Hechelhammer weiß, was er mit seiner Aufarbeitung losgetreten hat? Mit Prof. Dr. Jost Dülffer ist am 22. November ein Mitglied der "Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes" im Ahrweiler Regierungsbunker, der das Geheimarchiv des Nachrichtendienstes seit Jahren aufarbeitet. Im Rahmen der Veranstaltung "Geheimes Deutschland: Geheimhaltung vs. Geschichtsschreibung" gibt es nun ein neues, ganz heißes Thema, das perfekt in den Bunker und den Kalten Krieg passt.

Anmeldungen zur Veranstaltung "Geheimes Deutschland" am 22. November per Mail: Diese E-Mail Adresse ist gegen Spam Bots geschützt, Sie müssen Javascript aktivieren, damit Sie es sehen können