„Der Spiegel“: Große Worte
Freitag, 17. April 2015

Das Nachrichtenmagazin und der Regierungsbunker schreiben neues Kapitel

„Der Spiegel“ (17/2015 vom 18.4.2015) im Regierungsbunker mit einer Rede des „Bundespräsidenten üb.“ für den Ernstfall im Regierungsbunker.

Das Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ und der Regierungsbunker im Ahrtal: Seit dem ersten Bericht 1966 haben sich die Hamburger Blattmacher regelmäßig am Bunker abgearbeitet. Dabei sind beide Protagonisten mit ganz unterschiedlichen Ausgangslagen in diese Beziehung gestartet: Der eine (Bunker) hatte, eingebettet in Geheimhaltungsvorschriften, wenig Interesse an einer öffentlichen Darstellung. Der andere („Der Spiegel“) wollte hinter die Kulissen schauen und das Staatsgeheimnis durchleuchten. Über Jahrzehnte ein klar definiertes Verhältnis, das sich nun markant verändert - ausgerechnet über das Thema „Fallex 66“: Am 17. Oktober 1966 geht „Der Spiegel“ unter „Bier im Berg“ (Ausgabe 43, Seite 27) auf Inhalte der NATO-Übung im Bunker ein. Am 18. April 2015 ist unter der Überschrift „Große Worte“ (Ausgabe 17, Seite 18) der Regierungsbunker und auch „Fallex 66“ nun wieder ein Thema. Was aber ganz anders ist: Die Initiative für den Beitrag kam aus dem Regierungsbunker in seiner heutigen Verwendung als Dokumentationsstätte.

Die „Dokumentationsstätte Regierungsbunker“ in Bad Neuenahr-Ahrweiler: Ihre Mitarbeiter erledigen seit dem Museumsstart 2008 technische Aufgaben vom Wechsel defekter Leuchtmittel bis zum Abpumpen eindringenden Bergwassers, organisieren den Besucherbetrieb und erklären Gästen die unterirdische Festung in Funktion und Aufbau. Außerhalb des Ahrtales ackern sich einige Mitarbeiter in ihrer Freizeit durch Archivbestände, beackern Zeitzeugen, Orte und Menschen, die helfen können, mehr Licht in das Dunkel dieses Bauwerk zu bringen. Gefühlt steht man dabei irgendwo auf einer Startgeraden, die eine phänomenale Eigenschaft besitzen zu scheint: Bei jedem Schritt vorwärts zieht sie sich scheinbar endlos weiter in die Länge. Wann der Prozess der Aufarbeitung mit welchem Ergebnis einen Abschluss finden kann – sofern es den überhaupt gibt – vermag niemand zu sagen. Allein die Aktenlage im Bundesarchiv macht das Malheur deutlich. Wieviel Hundert oder gar Tausend wichtige Dokumente wegen Geheimhaltung nicht gelesen werden dürfen, lässt sich nicht beziffern. Ob sie jemals offen gelegt werden, ebenso wenig. Immerhin weiß man, dass es sie gibt – was für sich genommen kaum gute Laune verbreiten kann.

Doch im dunklen Dasein der Aufarbeitung verschafft gerade das Bundesarchiv immer wieder Lichtblicke. Das „Kriegstagebuch III. Korps“, angelegt im Rahmen der NATO-Übung „Fallex 66“, ist so einer. Vom Ablassen ganzer Stauseen (um den Feind bei seinem Vormarsch in gefluteten Landstrichen aufzuhalten) bis zur vorbereiteten Rede des Bundespräsidenten für den Kriegsfall (siehe Beitrag „In dieser schweren Stunde“ unter www.ausweichsitz.de) gibt dieses Tagebuch hochinteressante Einblicke in das Übungsszenario.

Für eine Einschätzung des Aktenfundes „Rede des Bundespräsidenten üb.“ sprechen die Ahrweiler Bunkerbetreiber Dr. Klaus Wiegrefe vom „Spiegel“ an und bitten den Experten (Zeitgeschichte) um eine Beurteilung. Für das Hamburger Nachrichtenmagazin ist das Redemanuskript dann thematisch so bizarr und in seiner historischen Rolle außergewöhnlich, dass es seinen Platz im „Spiegel“ findet.

Üben für den Ernstfall

Erstmals lässt sich über das Dokument in etwa nachvollziehen, was die Regierung im Kriegsfall ihrem Volk rhetorisch mit auf den Weg gegeben hätte – auch wenn es „nur“ eine Übung ist, die einen „Bundespräsident übungshalber“ einsetzt auf dessen Bunker-Schreibtisch Dokumente landen, die zigfach mit „EXERCISE“ (Übung) gekennzeichnet sind.

Doch für alle, die das bisher geheimgehaltene zweiseitige Redemanuskript auswerten, stellt sich eine entscheidende Frage: Was soll diese Rede unterscheiden vom Ernstfallszenario? Es gibt keine „Übungsbefindlichkeiten“, die auf „Fallex 66“ zugeschnitten sind und die Inhalte mit ihrem Appell an das Durchhaltevermögen der Bevölkerung und den Kampfeswillen der deutschen Soldaten und ihrer Verbündeten sind allgemein gehalten – und damit übertragbar auf eine tatsächliche Konfliktsituation.

So ist das Dokument knapp 50 Jahre nach seiner Erstellung aus mehreren Gründen besonders: Die Geheimhaltung darum wurde aufgehoben, die Inhalte spiegeln ein Stück Zeitgeschichte wieder und die seit 1966 gepflegte Verbundenheit zwischen Regierungsbunker und „Spiegel“ wird neu und nun ganz anders belebt.

„Spiegel“-Beitrag „Große Worte“: Die Rede des Bundespräsidenten, Mischung aus Durchhaltepathos und Legitimierung eines Waffengangs, wurde durch Mitarbeiter der Dokumentationsstätte Regierungsbunker im Bundesarchiv Freiburg gefunden.