Ziel des Zorns
Montag, 10. August 2015

Protestmeile Regierungsbunker: Ab 1981 rückt die Friedensbewegung in Marienthal vor

30 Jahre nach der letzte Bunker-Demonstration mit Alfred Kerger kehrt der Bonner zurück nach Marienthal. Der Bunker ist längst weg, alle anderen Demonstranten auch.

Der Regierungsbunker als „Aufmarschgebiet“ der Friedensbewegung: lange, bevor sich im Bonner Hofgarten Hunderttausende gegen atomare Aufrüstung und für Frieden formieren, wird das kleine Eifel-Örtchen Marienthal zum Ziel von Friedensdemonstrationen. „Es war wohl das Pfeifen im Wald und sich Mut machen“, erinnert sich Alfred Kerger an jenen 4. April 1981, als ein kleiner Trupp bei neblig-kaltem Wetter erstmals auf dem Bunker-Plateau zwischen den beiden Haupteingängen Plakate ausrollt und Protestsprüche skandiert. „Das Wetter passte zur Stimmungslage“, erzählt Demonstrant, Grünen-Mitglied der ersten Generation und Künstler Alfred Kerger.

„Der NATO-Doppelbeschluss bestimmte unsere Wahrnehmung und löste Ängste vor einem Atominferno aus. Das wollten wir artikulieren, dagegen wollten wir etwas unternehmen“, beschreibt er jene Phase im Frühjahr 1981, in der die Großdemonstration im Bonner Hofgarten (Oktober 1981) mit 300.000 Menschen noch nicht angedacht ist. Nach Marienthal zum Bunker kommen am 4. April 1981 etwas mehr als 100 Menschen. Die prominentesten Teilnehmer sind Joseph Beuys und Petra Kelly.

4. April 1981. Bei neblig-kaltem Wetter demonstrieren Friedensaktivisten vor dem Regierungsbunker, darunter Alfred Kerger, der mit seinen Fotografien Zeitgeschichte um dieses Kapitel Bunkergeschichte und Entwicklung der „Grünen“ festhält.

Dann verlieren sich die Friedensaktivisten um Alfred Kerger und der Regierungsbunker aus den Augen. Erst im August 1985 – der NATO-Doppelbeschluss ist längst Geschichte und Bundeskanzler Helmut Schmidt nach einem Misstrauensvotum durch Helmut Kohl abgelöst – formieren sich abermals Demonstranten. Das freundliche Sommerwetter bestimmt die Stimmung mehr, als die politische Lage. Vom Bahnhof in Dernau macht sich ein bunter Zug auf den Weg zum Bunkerhaupteingang und der Marsch erinnert eher an eine Karnevalsgesellschaft. „Satirische Themenwagen, Theaterinszenierungen und einige Reden bestimmten die Veranstaltung“, beschreibt Alfred Kerger. „Eine bestellte Musikkapelle aus Holland hatte sich verfahren und traf erst zu Veranstaltungsende ein, spielte schließlich am Dernauer Bahnhof zum Tanz auf.“

Großes Theater am Regierungsbunker im August 1985: Weiß gekalkte Menschen sterben den Atomtod, während ihre „Ätzzelenz Weihbischof Wolli I.“ (links) tröstende Worte für die letzte Reise findet.

Zuvor liegen weiß gekalkte Menschen als Leichen hergerichtet vor dem Hauptportal des Bunkers und es gibt sogar eine „Ätzzelenz Weihbischof Wolli I. vom Kriegsbistum Düren“, der den atomar Dahinsiechenden tröstende Worte für die letzte Reise spendet. Mitarbeiter des Bundesgrenzschutzes halten das Treiben in Film und Foto fest. Der Staatsschutz zeigt Präsenz – wie auch die Friedensaktivisten, die sich an ihrem Feindbild abarbeiten: der Regierungsbunker gilt als verlängerter Arm einer atomkriegsbereiten Bundesregierung. Das war am 25. August 1985.

30 Jahre später. Der Bunker ist längst weg, die Demonstranten auch. Wenige Tage nach dem 70. Jahrestag der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, kehrt Alfred Kerger dorthin zurück, wo die Friedensbewegung der Bonner Republik vor drei Jahrzehnten den Bunkervorplatz einnahm und sich substanzielle Grünen-Politik der Ursprungsgeneration formte. Kerger, seit Gründung der Grünen 1980 Mitglied und als Künstler in permanenter Auseinandersetzung mit dem Atomzeitalter, hält Ereignisse wie die Demonstration am Regierungsbunker nicht nur im Foto fest und schafft so zeitgeschichtlich einmalige Zeugnisse. Zusammen mit Joseph Beuys macht er den Regierungsbunker als Künstler auch zu einem öffentlichen Thema – gerade in der Zeit, als die Bundesbunkerverantwortlichen gute Chancen sehen, den Bunkerkomplex mit neuen Geheimhaltungsprogrammen zu belegen und ihn zu tabuisieren.

„Kunst im Bunker“ nennen Beuys und Kergers Künstlergruppe „Klärwerk III“ ein Projekt von 1982, an dessen Ende die Werke zur Verschönerung im Bunker einziehen sollen. Das aber wird aus dem unmittelbaren Umfeld von Bundeskanzler Helmut Schmidt abgelehnt und im Antwortschreiben mit der Erkenntnis garniert: „Ihre verständliche stille Hoffnung, Ihr Werk werde damit vielleicht den nächsten Krieg überdauern, erscheint mir ohnehin illusorisch.“ Dieser Satz ignoriert nicht nur die amtlich vorgeschriebene Geheimhaltung um die Existenz des Regierungsbunkers, sondern thematisiert auch die im Bundeskanzleramt längst bekannten Sicherheitsmängel des Schutzbaus.

Bunker-Spagat: Geheimhaltung vs. Veranstaltungsort

Seit 1981 hat die Friedensbewegung den Regierungsbunker als Ziel ihres Protestes gegen Atomwaffen, Aufrüstung und Krieg auserkoren. Damit ist die Anlage nicht mehr nur verteidigungspolitische Rückzugsmöglichkeit der Bundesregierung, sondern auch Teil der Protestmöglichkeiten der Friedensbewegung und steht in Wechselwirkung mit dem Entwicklungsprozess einer jungen Partei mit radikal ökologischen und pazifistischen Denkansätzen (Die Grünen).

Für die Sicherheitsverantwortlichen ein Dilemma, die gerade zu Ende der 1970er intensiv versuchen, Geheimhaltungssünden der Vergangenheit zu korrigieren. Das „Staatsgeheimnis Nummer 1“ soll endlich das werden, was der Titel seit jeher beschrieb. Berichte in den Medien, öffentliche Aufmerksamkeit durch massive Baumaßnahmen, Spionageaktivitäten oder politische Debatten über Inhalte der im Bunker durchgeführten NATO-Übungen – all das sollte es nicht mehr geben und die Geheimschutzverantwortlichen waren auf einem guten Weg dahin. Bei seinen Recherchen zur WDR-Sendung „Geheimnis Regierungsbunker“ (Erstausstrahlung April 2015) hat Autor Dr. Florian Huber das Archiv des Westdeutschen Rundfunks ausgewertet und stellte dabei fest, dass Ende der 1970er Jahre der Regierungsbunker immer mehr zur Randnotiz verkümmerte – eindeutiger formuliert: sich zum Tabuthema entwickelt - und Beiträge, in denen er eine Rolle spielt, sogar aus dem Programm gestrichen werden. Das galt auch für andere Medien. „Spiegel“, „Stern“ wie auch große Tageszeitungen hatten sich am Reizthema Regierungsbunker abgearbeitet und allmählich legte sich ein Schleier des Vergessens und Bunker-Realitäten akzeptierende Unaufgeregtheit über die Unterwelt des Ahrtals.

Parallel wurden – natürlich geheim gehaltene – Sicherheitsstandards vor Ort angehoben: neue Zäune um die Außenbauwerke und das Antennenfeld, stärkere Schweinwerfer für die nächtliche Überwachung des Areals, Kameras, Einbruchmeldeanlagen und Gassensoren an den insgesamt 33 Zugängen oder die personelle Verstärkung der Bewachung zählten dazu. Sabotage oder Terrorattacken wurden nun in einem Atemzug genannt mit Schutz vor kriegerischen Auseinandersetzungen, wobei man durchaus die Sicherheitslage im Umfeld der Demonstrationen ähnlich einstufte wie Sabotageakte durch fremde Mächte. Vor diesem Hintergrund war der Aufmarsch der Friedensaktivisten im grünen Umfeld ein Kollateralschaden hinsichtlich Sicherheit und Geheimhaltung des Regierungsbunkers.

„Für mich sind die Grünen längst keine Friedenspartei mehr.“ Es klingt nach einem Schlussplädoyer, wenn Alfred Kerger heute auf die Entwicklung jener Partei sieht, deren Ideale er als Demonstrant auch zum Regierungsbunker trug. Längst ist er ausgetreten. Spätestens mit der rot-grünen Regierungsentscheidung 1999 zum Bundeswehreinsatz im Jugoslawienkrieg hat sich aus Kergers Sicht ein Paradigmenwechsel grüner Friedenspolitik vollzogen. Es waren jene Jahre, als sich auch für den Regierungsbunker alles änderte. Unter den Ahrbergen vergessen und längst aufgelöst, wurde nun draußen Krieg geführt und scharf geschossen, nicht mehr unten der Waffengang auf Karten und rein theoretisch geübt. „Sicherer“, lautet Kergers Fazit, „ist die Welt mit Ende des Kalten Krieges ohnehin nicht geworden.“

Am 16. August um 18.15 Uhr wird der Fernsehsender ARTE die Entwicklung der bundesdeutschen Friedensbewegung in der Dokumentation „Nie wieder Krieg!“ darstellen, wobei auch die Demonstrationen am Regierungsbunker eine Rolle spielen.