Bunkerknacker Preute
Mittwoch, 16. November 2005

Mit Zettel und Bleistift dem Staatsgeheimnis auf der Spur

Foto: Erfolgsautor Jacques Berndorf, alias Michael Preute, recherchierte in den 80er Jahren alles Wissenswerte über den Regierungsbunker im Ahrtal

„Ein guter Mann“ heißt sein jüngstes Werk, in dem es um einen BND-Mann und das geheimdienstliche Treiben auf internationalem Parkett geht. Ob der BND im Umkehrschluss von Jacques Berndorf immer als „gutem Mann“ gesprochen hat, darf bezweifelt werden. Denn der Erfolgsautor aus der Eifel schrieb nicht immer Bücher, in denen die Handlung um Ermittler Siggi Baumeister im Kopf des heute 70-Jährigen entstanden ist ...

Heute lebt Michael Preute, so der „bürgerliche“ Name von Berndorf, in einem kleinen Eifelort bei Daun. Er selber nennt es „den Arsch der Welt“ – wer sich auf den Weg zu ihm macht, beginnt bald, diese Meinung zu teilen. „Hier habe ich die Ruhe, um meine Schmöker zu schreiben“ sagt er und zieht genüsslich an seiner Pfeife – ein Exemplar aus einer ganzen Sammlung, die in einer großen Schale auf dem Tisch ihr Zuhause hat.

Ruhe und Michael Preute – das sind zwei Dinge, die nicht immer in seinem Leben zueinander fanden. Genauso wenig hat er andere in Ruhe gelassen. Eine Berufskrankheit, sagt Journalist Preute, der vor über 20 Jahren u. a. für den „Spiegel“ und den „Stern“ arbeitete. Diese Unruhe hat dem deutschen Staat, denen, die meinten, sie müssten etwas „ganz Besonderes“ für ihr Land leisten, manch schlaflose Nacht beschert. Denn Preute, in einer tiefen privaten Lebenskrise, macht sich in den 80iger Jahren zur Aufgabe, „alles über dieses merkwürdige Ding in der Eifel heraus zu bekommen“.

„Meine Ehe ging gerade den Bach runter. Alles lief irgendwie schief, da kam der Hinweis eines Bekannten in München, dass die Bundesregierung wohl einen riesigen Atombunker besitze, es aber keinerlei Informationen dazu gäbe.“ Also habe ich mich auf den Weg in die Eifel gemacht und so auch Abstand zu dem geschaffen, was mich privat belastete.“ In dieser Lebenssituation gehört die Recherche über ein gut gehütetes Staatsgeheimnis sicher zu den besseren Ablenkungsmanövern, stellt Preute heute lachend fest. Das der Regierungsbunker aber sein Leben grundsätzlich in neue Bahnen lenken würde, daran war nicht zu denken. Und so beginnt der Journalist mit seinen Recherchen - sehr zum Unmut vieler im beschaulichen Ahrtal.

„Wo fängst Du an zu fragen, wenn keiner antworten will?“ Michael Preute, der von sich weiß, nicht immer nach allen menschlichen Tugenden zu handeln, setzt seinerseits auf menschliche Schwächen. In den zahlreichen Kneipen zwischen Mayschoss, Dernau, Marienthal und Ahrweiler wird viel Rotwein getrunken, der in den benachbarten Weinbergen seinen Ursprung hat. Die Kombination aus Mensch und Wein liefert die ersten Hinweise auf und über den Bunker: Groß muss er sein, liegt in einem ehemaligen Eisenbahntunnel, wurde über mehr als 10 Jahre von rund 20.000 Bauarbeitern errichtet. So etwas bleibt nicht unbemerkt. Und bald stellt sich Preute eine wichtige Frage, die er noch heute als Kernaussage formuliert: Warum und wie soll über so etwas der Mantel absoluter Geheimniskrämerei gedeckt werden? „Bei der Masse an Menschen, die damit zu tun hatten und haben unmöglich! Zumal das Ding mitten in einer touristischen Hochburg, mitten auf dem bekannten Rotwein-Wanderweg liegt.“ Ein Widerspruch, der Preute allerdings jahrelange „Ermittlungsarbeit“ beschert. Und immer zwei Standardantworten: „Ach ja, das ist der Bunker der Bundesregierung. Peinlich ist das“ sagen die einen, die anderen „keine Ahnung, das ist streng geheim“. Und so lebte das Ahrtal mit und vom Bunker, und Preute unter ihnen.

„Schlimm wurde die Sache, als ich herausfand, dass direkt an den Tunnels gegen Ende des zweiten Weltkrieges Außenlager des KZ´s Buchenwald eingerichtet wurden. Die Häftlinge mussten im Berg Waffen montieren. Ich dachte, ich werde bekloppt: Da baut sich die Regierung ihren Bunker auf den Resten eines KZ´s!“ Eine Erkenntnis, die den „inneren Frieden“ der Dernauer in arge Schieflage bringt. „Natürlich war das bekannt, aber keiner redete darüber. Und nun kam ich, 40 Jahre später, und bringe das gutbürgerliche Leben, dass sich mit seiner Vergangenheit arrangiert hatte, durcheinander.“ Mit der Folge, dass Michael Preute zwei mal verprügelt wird.

Doch der Journalist steckt den körperlichen Schaden weg, die auf seine Kopfarbeit ohnehin keinen Einfluss hat, und sammelt fleißig weiter Informationen. „Ich hatte bald ein Bild von dem, was da unter den schönen Weinbergen lag. Wenn schon keine Zeitung, kein Magazin darüber schrieb, wollte ich wenigstens von denen wissen, für die das Ding gebaut wurde, was das soll.“ Also macht sich Preute auf den Weg in die nahe Bundeshauptstadt Bonn und trifft sich – was dank seiner Kontakte und seines Rufes möglich war - mit Willy Brandt. „Es hat sich verselbstständig“ lautete die lapidare Erklärung auf den Bunker-Wahnsinn, der pro Jahr allein 12 Mio. Mark für die Sicherheit verschlang.

Doch nicht alle Politiker marschieren so mental an dem vorbei, was im Kriegs- und Krisenfall knallharte Wirklichkeit – sprich ihre Unterkunft – werden würde. In Heide Simonis, SPD-Bundestagsabgeordnete, findet Preute eine Mitstreiterin, die tagelang die Etats der Bundesministerien durchackert, immer auf einer Spur, was der Bunker kostete und kostet. „Es war unglaublich, wie der Bundeshaushalt seine Top-Immobilie versteckte. Es war nichts zu finden!“ Schließlich wird das Duo im Etat des Bundeslandwirtschaftsministeriums fündig: 75.000 DM werden dort genannt zur Anschaffung einer Winterausrüstung. Noch heute muss Michael Preute herzhaft darüber lachen. „Die sitzen im Bunker und kaufen Schippen zum Schneeschaufeln!“ Der wahre Anschaffungsgrund setzt Galgenhumor voraus: „Die brauchten die Schippen, um sich nach einem Atomschlag durch die verschütteten Eingangsbereiche zu wühlen“. Viel Arbeit, um nach 30 Tagen den Fuß auf die atomar verseuchte Heimaterde zu setzen.

„Niemand hat an Lächerlichkeit gespart“, weiß Preute heute und zieht an seiner Pfeife. Und weil alles so schwer zu glauben war, gab es Probleme mit der Veröffentlichung. Henri Nannen, Herausgeber des Stern und Rudolf Augstein, Gründer und Publizist des Spiegel, antworten nach dem Lesen des Manuskripts unabhängig voneinander: „Das gibt es doch alles gar nicht!“ Und lehnen ab, das Gelesene zu veröffentlichen. „Zu heiß“ lautet die Begründung. Der Spiegel kann bereits auf „seine Affäre“ mit dem deutschen Staat – in Person mit Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß – zurückblicken. Einem neuerlichen Tête-à-Tête gehen die Hamburger Magazinmacher aus dem Weg, zumal nicht bekannt ist, in welchen politischen und sicherheitsrelevanten Bereichen Befindlichkeiten zu erwarten sind.

Überraschend erhält Michal Preute aus einer ganz anderen Richtung Unterstützung. „Bundeswehrgeneral Werner Nührenberg bat mich um ein Treffen. Ich fuhr zu ihm nach Münster. Er erzählte mir von einer Militärübung 1968 in Hamburg, in deren Verlauf er sich selber verlief und in einen Raum kam, in dem er eigentlich nichts zu suchen hatte. Dort wurde er auf ein 60 Seiten starkes Manuskript aufmerksam, dass unter dem Titel „Orlando/Florida und Lufthansa“ eine umfassende Evakuierungsliste aller Regierungsmitglieder und ihrer Familien enthielt.“ Ziel waren die USA, geflogen wurde mit der Lufthansa, die in Orlando nicht nur einen Ausweichflugplatz gefunden hatte. „Ein größeres Hotel in unmittelbarer Nachbarschaft wies einen deutschen Besitz aus und bot reichlich Unterkunft.“ Der Skandal war perfekt: Der Regierungsbunker war gar kein Regierungsbunker.

In zwei Büchern bringt Michael Preute sein Wissen zu Papier: 1984 erscheint „Vom Bunker der Bundesregierung“ - nach konservativen Maßstäben ein vertretbares Werk. 1989 und fünf Recherchejahre später kommt dann „Der Bunker: eine Reise in die Bonner Unterwelt“ in deutsche Buchläden. Spätestens jetzt ist der „Ausweichsitz der Verfassungsorgane“ auch für Jedermann kein Staatsgeheimnis mehr.

Der Weg dahin war lang. Auf die Frage, ob es jemals ernsthaften Druck von „Irgendwo“ gab, die Arbeit einzustellen, sagt Preute recht zügig: „Nein! Einmal wollte mir die Deutsche Bank keinen Kredit für den Kauf eines gebrauchten Autos geben. Leute, die sich so ihren Lebensunterhalt erwirtschaften, sollen sich Anschaffungen von eigenem Geld finanzieren“.

Auch auf dem Weg durch die deutsche Geheimdiplomatie eckte Preute mit beständiger Regelmäßigkeit hier und da an, gestolpert ist er aber nie. „Einmal rief der für die Sicherheit des Bunkers Zuständige mir nach einem trivialen Wortwechsel hinterher: Herr Preute, ich warne Sie. Wahren Sie die Interessen des Staates!“

All das ist in seinen Büchern nachzulesen, die damit ein Stück Zeitgeschichte konservieren. Will Michael Preute zitieren, muss er allerdings passen. „Ich habe beide Bücher nicht mehr“. Seit Jahren vergriffen, sind einige wenige Exemplare von Zeit zu Zeit Gegenstand von Internetauktionen. Wer die Werke sein eigenen nennen will, muss allerdings tief in die Tasche greifen, denn unter 70 Euro sind sie nicht zu bekommen. 12,80 DM und 19,80 DM lauteten einst die Preise.

Ohne seine Arbeit daran, sagt er, wäre er nie da angekommen, wo er heute ist: Jacques Berndorf hat das Genre gewechselt, doch der Schreibstil ist auch heute noch unverkennbar „Preute“. Was blieb, ist das Ergebnis: Spannende Literatur.