THW 3
Montag, 26. März 2007

Ungewöhnliches Tandem: Marienthals geheimer Außenposten

Zugang zum Außenposten Marienthals. Auch hier hatte man stark dimensionierte Drucktore eingebaut, die eine Einsatzbereitschaft des funkenden Bunker-Ablegers unter allen Bedingungen sicher stellen sollten.

Da hatten Matthias Wildenburg und Paul Elbern aber eine ganz blöde Idee, als sich die beiden Redakteure der "Kölnischen Rundschau", Ausgabe Euskirchen, hinaus ins Land begaben. Ziel war der kleine Ort Kirspenich, wenige Kilometer von der Heimatredaktion entfernt. Jemand vor Ort hatte informiert: Ungewöhnliche Bauaktivitäten seien im Gange. Ein vermeintlicher Fall für die Lokalredakteure, das geheimnisvolle Treiben zu hinterfragen.

Eine blöde Idee, wie gesagt. Denn die Recherche sollte Wochen dauern, beiden spannende Dienstreisen nach Bonn bescheren, sie dort mit nicht weniger spannenden Personen in verschiedenen Ministerien zusammen bringen. Der blöden Idee folgte ein entschlossenes Handeln. Das war im März 1964.

Wildenburg kann sich an die Story bis zum heutigen Tag erinnern. Der Traum eines Journalisten: Da ist etwas Spannendes, bisher nicht Erklärtes. Groß und offensichtlich mit viel Aufwand betrieben, fordert es geradezu die berufsbedingte Neugier.

Und dann das. Jemand sagt, pass auf, was du hier machst. Der Albtraum: Versehentlich ist man mitten auf der streng geheimen Baustelle des Regierungsbunkers gelandet - ohne es zu wissen. Zwar ein gutes Stück von der Ahr entfernt, hat sich dieser Platz allerdings auf der nach oben offenen deutschen Geheimhaltungsskala noch ein kleines Stück weiter abgesetzt - eben weil kein Mensch, selbst wenn es sich um neugierige Journalisten handelt, ahnen konnte, was er hier, weit ab vom eigentlichen Geschehen, vor der Nase hat.

Es ist das THW 3.

Nach den Nummern 1 und 2 am Hauptschauplatz im Ahrtal die dritte Baustelle.

Seine Geschichte beginnt in der Zeit, als die Ausbauüberlegungen in Marienthal noch unter dem Namen "Befehlsstelle" und nicht "Anlagen des THW" laufen. Dieser Befehlsstelle "gehören zwei Außenbauwerke" an. Eines heißt zwar schon Funkstelle Kirspenich, doch ihre Erstellung an dem kleinen Ort, nicht ganz 30 Kilometer von Marienthal entfernt, gestaltet sich dann weitaus schwieriger, als vom Bund erwartet.

Klingelknopf zum Bunker: Nach der Meldung sollte der Ankömmling den Kasten wieder mit der Panzerplatte verschließen. Ob er dann rein durfte, darf für den Kriegsfall bezweifelt werden: In Kirspenich hatte man auf den Dekontaminierungsbereich verzichtet.

Es ist der 3. Januar 1961. In den Ahrbergen werden noch Trümmer verschoben, in Bonn Pläne. Ein Ministerium schickt einen "Schnellbrief" auf die Reise. Empfänger ist die Oberfinanzdirektion Köln, die für den "Grunderwerb für Anlagen des THW" gefordert wird. Die Bonner Regierungsbeamten haben ihre sekundäre Traumliegenschaft ausgemacht und wollen eine Flakstellung aus dem letzten Weltkrieg erwerben. "Höhe 300, zwischen Kirspenich und Kirchheim, 7 km südlich Euskirchen und 3 km nordwestlich der Steinbachtalsperre" ist dieser Flecken Heimaterde "für den Bund erforderlich". Der Gesamtumfang "der zu erwerbenden Grundstücke wird 1,5 bis 2 ha betragen". Es gibt ein wenig Nachdruck, denn das Schreiben schließt mit der nicht gerade alltäglichen Formulierung für deutsche Beamtenstuben: "Ich beauftrage Sie hiermit mit der Durchführung des Grunderwerbs für den Herrn Bundesminister des Innern." In Köln geht man der Sache nach und darf sogar in "eigener Zuständigkeit entscheiden". Klein aber fein: Der Bund schreibt vor, wie die Ankaufmodalitäten auszusehen haben. "Von einer näheren Bezeichnung des Berechtigten ist kein Gebrauch zu machen." Das Wort "kein" ist unterstrichen. Man hat inzwischen eine Schwachstelle im innerdeutschen Amtsverkehr ausgemacht, dem die Spionage des Feindes ungehindert nachgehen kann: Es ist die Eintragung ins Grundbuch.

Unverkäuflicher Steinbruch

Mit einer anderen Schwachstelle hatte man nicht gerechnet. Es ist der Bundesbürger, der nicht verkaufen will. Bereits am 29. März 1961 teilt die Kölner Oberfinanzdirektion mit: "Der Eigentümer ist an einem Verkauf des Grundstücks nicht interessiert, da er sie für seinen Gewerbebetrieb (Steinbruch) benötigt." Es wird nicht die letzte Erfahrung des Bundes mit der Rechtsauslegung hinsichtlich der gewerblichen Nutzung einer vermeintlich brachliegenden Fläche sein, auf der seit Wochen, Monaten, Jahren oder Jahrzehnten kein Mensch angetroffen wurde.

Die Bonner rücken aus. Eine Gruppe Ministerieller macht sich auf den Weg in die Provinz und bereist Kirspenich. Wer suchet, der findet: Es wird eine geeignete Stelle im Staatlichen Forst ermittelt. Am 4. April geht der Kölner Oberfinanzdirektion zu. "Wenn (...) weitere Verhandlungen über den Erwerb des ursprünglich vorgesehenen Geländes keine Aussicht auf einen befriedigenden Vertragsabschluss erkennen lassen sollten, bitte ich, die erforderlichen Maßnahmen für den Erwerb des Ersatzgeländes in eigener Zuständigkeit zu veranlassen."

Unterirdische Überraschung: Was man von außen nicht vermutet, die Technik - im Bild die Notstromerzeugung - ist in einem erstklassigen Zustand und wurde noch Mitte der 90er Jahre umfangreich erneuert.

Auf dem "Ersatzgelände" treibt sich Ende März 2007 Hund Robin herum. Er streift durch seinen Bunker und weiß inzwischen sogar im Halbdunkel der Anlage, ob er rechts oder links abbiegen muss. Ihn interessiert herzlich wenig, welche Rolle der Betonklotz im Kalten Krieg spielte und was da die Menschen unter der Erde stehen lassen haben. Würde er denken wie ein Mensch, würde er sich sicher wundern - und freuen. Er braucht nie mehr eine Wasserrechnung zu bezahlen, weil er einen eigenen Tiefbrunnen hat. Und natürlich ein Klärwerk. Sollten alle Lichter ausgehen, schmeisst er den großen Stromerzeuger an. Mit dem ließe sich nicht nur das unterirdische 2000 Quadratmeterareal wieder wunderbar ausleuchten, Kirspenich eingeschlossen. Wären die werten Nachbarorte an dieses Notstromnetz angeschlossen, könnten sie alle so tun, als ob nichts wäre.

Einer, der den Außenposten von früher kennt, geht mit Hund Robin auf die Reise durch den gut geschützten Eingeschosser. Und ist überrascht: Die Versorgungsanlagen sind modern, bestens in Schuss - und das, obwohl seit Jahren niemand in der Anlage gewesen sein soll. Heizung, Klima, Belüftung erneuert in 1994. Eine perfekte Brandschutzanlage, Melder sogar im Notausgang alle fünf Meter.

Allein in den Räumen der Fernmeldetechnik herrscht Chaos: Da sind armdicke Leitungsstränge gekappt, schauen die Enden von diversen Kabeln aus dem Fußboden, aus den Wänden heraus. Die meisten Gerätschaften der Nachrichtentechnik fehlen - sie waren das Herz dieses Bunkers, der offiziell als Polizeihauptfunkstelle geführt wurde.

Ging es um die Verbindung der abgetauchten Regierung nach draußen, setzte man für den Kriegsfall auf Nummer Sicher und spendierte der hauseigenen Marienthaler Sendetechnik ein Tandem. Ein funkendes Rettungsboot, das gut ausgerüstet und ständig besetzt war. Mehrere Antennenmasten, riesige Kabelnetze in 15 Metern Höhe, Dipolanlagen - das alles steht bis zum heutigen Tag auf dem eingezäunten und mit Nato-Draht gesicherten Areal, dass nun seit einigen Wochen Hund Robin und seiner menschlichen Familie gehört.

Beziehungskiste: Noch heute gibt die Beschriftung auf den Mülleimern in Kirspenich Aufschluss, wie die Verbindung des Bunkerpaares aussah. Von der ersten Stunde gehörten beide Anlagen zu einem Projekt - in Planung, Umsetzung und Finanzierung.

Der Außenposten hat sein Mutterschiff überlebt, nicht nur technisch: Die letzten Eintragungen in einem der herumliegenden Funkbücher datieren aus 2001 - dem Jahr, als in Marienthal der Rückbau begann.

Da war Paul Elbern bereits seit langem tot. Das galt auch für den geplanten Zeitungsbericht, erstellt durch ihn und Kollegen Wildenburg im Frühjahr 1964.

Sie handelten schließlich entschlossen. Und warfen alles in den Mülleimer.

Vorausgegangen war eine Anhörung durch das Bundesinnenministerium. Es folgte eine Vorladung in das Ministerium der Verteidigung. Mehrere hochdekorierte Soldaten warteten dort auf eine Begründung, warum dies ein Thema für die Öffentlichkeit sein sollte. Schließlich handele es sich um eine "Verlegung der Polizeihauptfunkstelle vom Stadtrand Bonn in eine Lage, die geografisch und elektrotechnisch weitaus besser den Zwecken des Polizeischutzes dienen kann". Auf diese Version hatte man sich in mehreren Sitzungen vor dem Treff mit den Journalisten geeinigt. Und auch den Namen "Polizeihauptfunkstelle" kreiert. An dieser Schöpfung hält der Bund fest - über Jahrzehnte. Selbst im Staatshaushalt 1998, der im entsprechenden Kapitelansatz - so ganz im Gegensatz zu den Vorjahren - recht redselig wirkt, findet sich neben der Dienststelle Marienthal die "PHFS Kirspenich" wider. Kosten für Reinigung, Müllabfuhr, Heizung gibt es da, und auch für die 24-Stundenbewachung. Eine halbe Million Mark ließ sich das Bonn kosten. Ein Beweis der gegenseitigen Zuneigung dieses Bunkertandems steht bis zum heutigen Tag im Kirspenicher Flur: Die Mülleimer sind mit "THW 3" beschriftet.

Funkendes Bunkertandem: Über dem Bunker in Kirspenich stehen bis heute zahlreiche Antennenmasten. Über sie sollte eine Verbindung der in Marienthal eingerückten Bundesregierung in alle Welt sichergestellt werden - auch dann, wenn das Antennenfeld auf dem Kuxberg an der Ahr zerstört sein sollte.

Auf den Weg dorthin machen sich am 7. Februar 1964 einige der Bonner Herren. Aus Marienthal kommt die Bauleitung. Es geht um Fertigstellungstermine. "Nach Mitteilung der Lieferfirma kann (...) die Fertigstellung der Antennen erst im Oktober /November 1964 beginnen. Die Notantenne (Papstfinger) kann erst später fertig gestellt werden. Für die Inbetriebnahme der Sendestelle ist die Notantenne zunächst ohne Bedeutung".

Auch Hund Robin kennt die Notantenne inzwischen. Sie hat ein eigenes Dach, über das weiter unten am Bedienpult der Menschen steht: "Achtung! Vor Öffnen des Antennendeckels Wetterschutzhaube entfernen!" Auch das galt es zu beachten am "Tag X".

Aber darum brauchen er und sein Herrchen sich ja keine Gedanken mehr machen. Wenn sie auf den Knopf drücken, passiert nichts mehr. Und der Kalte Krieg ist ja auch vorbei.