Marienthals (un)heimliche Fotografien
Sonntag, 29. Juli 2007

Hommage an Herbert Hennig, den Bauingenieur hinter der Kamera

Baufortschritt am Zugang: Rechts die Einfahrt durch das spätere Außentanklager, links die vorbereitenden Arbeiten für den Bau des Zugangsbauwerks 201, das vollständig unter Tarnnetzen verschwinden soll, für die bereits die 20 Meter hohen Gerüste aufgestellt sind.

Es ist der 18. März 1959. Ein Jahrhundertsommer kündigt sich mit einem warmen Frühjahr an. In Marienthal scheint die Sonne. Doch das Wetter kann den beiden Gruppen um Herbert Hennig, Jost Klose und Ingenieur Parthesius eigentlich egal sein. Da, wo sie seit Tagen unterwegs sind, scheint keine Sonne und beträgt die Temperatur konstant 12 Grad. Mit Maßbändern, Notizblöcken, Messbechern- und Eimern, Zeichenbrettern und Lampen geht es durch eine Landschaft, in der das Frühlingswetter keine Rolle spielt. 

Das Tunnelsystem zwischen Dernau und Ahweiler wird seit Anfang März vermessen. Bis auf 5 cm genau. Schrittweise geht es vorwärts. Da, wo die Lichtkegel der Lampen hinfallen, ist man vielleicht in ein, zwei Stunden. Alles wird protokolliert: Der Zustand der über 40 Jahre alten Tunnelverkleidung, die Schäden an den Sprengstellen, die genauen Querschnittsmaße, der Wassereintritt.

Wichtiger Bestandteil dieser Tunnelaufnahme als Vorarbeit für das Projekt "Regierungsbunker": Fotografieren. Einer, der sich der Kameraarbeit annimmt, ist Herbert Hennig, Diplom-Ingenieur und Bauexperte. Er ist Mitarbeiter der "Deutschen Societät Beratender Ingenieure" unter Chef Dr. Paul Walter. Dessen Firma wird den Zuschlag für die Bunkerprojektierung und die Bauleitung erhalten. Ein Projekt, dass Hundertschaften von Mitarbeitern über Jahrzehnte an das Marienthal-Projekt binden wird. Hennig, Klose und ein paar andere sind die ersten.

Offener Tunnel vor Beginn der Bauarbeiten am Eingangsbauwerk.
Offener Tunnel vor Beginn der Bauarbeiten am Eingangsbauwerk.

2001 steht Herbert Hennig wieder im Bunker. Diesmal vor einer Kamera. Es ist die des Norddeutschen Rundfunks. Er ist ein wertvoller Ansprechpartner für die Nachwelt, die nun versucht herauszufinden, wie dieses schier unglaubliche Staatsgeheimnis seinen Weg nehmen konnte - so unsichtbar in der äußeren Wahrnehmung wie auch dem Verlauf unter den Ahrbergen. Irgendwann wird der fast 80-jährige Wahlkölner sagen: "Hätten wir es nicht gemacht, hätten 10 andere Firmen mit Kusshand diesen Auftrag übernommen." Alle weiteren Erklärungen zu Sinn und Zweck einer solchen Anlage klingen sachlich und abgeklärt. Offensichtlich gibt es da auch nicht viel zu erklären, was nun - mit Blick auf den Abriss des einstigen Vorzeigebunkers - noch sinnvoll klingen mag.

Was zwischen der Erstbegehung im Frühjahr 1959 und dem Blick zurück liegt, ist nicht nur der Wechsel vom Blick durch den Sucher - hinter der Kamera - zum Objekt vor der Linse. Es ist Hennigs Biografie, die durch den Bunker geprägt wurde. Herbert Hennig war nicht nur stellvertretender Oberbauleiter des Projekts Regierungsbunker, er hatte während der Bauzeit eine "Exklusiv-Lizenz" von Staats wegen zum Fotografieren. Dabei wurde er stets durch einen Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes begleitet, wurde die Kamera nach dem Filmeinlegen versiegelt und verschwand nach den Fotoeinsätzen in einem BKA-Panzerschrank. Natürlich wurde die Filmentwicklung und das Abziehen der Bilder von einer BKA-Filmstelle übernommen. Staatsgeheimnis ist Staatsgeheimnis. Und doch hat es Hennig geschafft, der Nachwelt seine eigene Botschaft vom Bunkerbau zu hinterlassen und das Bildmaterial zu bewahren. Wenn er auch lange vor Bauende keinen Zugriff darauf mehr hatte - aus den Augen verloren hat er es nie.

Herbert Hennig, stellvertretender Oberbauleiter, Diplom-Ingenieur und Fotograf auf Deutschlands geheimster Staatsbaustelle.
Herbert Hennig, stellvertretender Oberbauleiter, Diplom-Ingenieur und Fotograf auf Deutschlands geheimster Staatsbaustelle.

Die ersten Bilder sind in Schwarz-Weiß, viele unscharf. Sie zeigen die eher trostlose Einrichtung einer Baustelle. Doch schnell perfektioniert sich Hennigs Umgang mit der Kamera. Hin und wieder probiert er aus. Und hin und wieder ist er mit einem Apparat unterwegs, der nicht wirklich versiegelt ist. Man hat sich auf dieser geheimen Staatsbaustelle gewöhnt an den "Chef" mit dem Fotoapparat. So entstehen Bilder, die so gar nicht in das Bild des BKA passen würden. Die Bauleitung bei der Besprechung mit der Tasse Kaffee und der Zigarre, bei der eher familiären Suche im Gelände nach dem genauen Punkt eines neuen Außenbauwerkes. Hennig wird zum Zeitzeugen. Und er weiß um seine Arbeit in diesem Punkt. Mitten in den fast endlos scheinenden "offiziellen" Aufnahmen stehen einige Bilder "Kopf". Die (un)heimliche Botschaft des Fotografen, nicht nur am Auslöser frei zu agieren, sondern auch Dinge in die BKA-Dokumentation zu übernehmen, die da eigentlich überhaupt nichts zu suchen haben. So mischen sich zwischen die reine Baudokumentation (diese wurde auch für Gewährleistungsansprüche angefertigt) eigentlich peinliche Vorfälle des Bunkerbaus. Alles auf einem Film. Aber welcher Beamter fragt nach dem einem unter Hunderten Bildern, dass da falsch herum aufgenommen wurde und einen Bagger auf dem Kopf zeigt, der selber kopfüber im Gelände liegt.

Es sind schließlich 61 Bögen zu 36 Bildern, die Herbert Hennig der Nachwelt hinterlässt. Rund 2000 Fotografien. Ein unglaubliches Zeitzeugnis über ein nicht weniger unglaubliches Staatsgeheimnis. Dieses Werk wird ihn bis zu seinem Tod 2003 begleiten - auch aus Sorge über den Erhalt. Bereits 1970 hat er in einer Besprechung mit dem Bundesinnenministerium darum gekämpft. Und mit ihm seine Vorderleute Paul und Hans Walter. Mit Erfolg. Die Dienststelle Marienthal muss das Fotoarchiv in seinen Panzerschränken einlagern, auch weil es um langfristige Garantieansprüche der Bauleitung gegenüber den ausführenden Unternehmen geht.

Doch die wahren Interessenswidersprüche liegen längst wo anders. Bonn hat seinen Bunker, ohne darüber etwas preis geben zu wollen. Im Bundesinnenministerium hat man Angst vor der Spionage. Also soll die inzwischen belastende Fotoserie vernichtet werden. Hennig & Co. aber sehen im Bunker in erster Linie eine herausragende bautechnische Leistung. Der einzige Beleg außerhalb der nun auch für sie nicht mehr zugänglichen Anlage, und das bis ins letzte Detail: Hennigs Fotos.

Am Bunker-Ende

Mit dem Bunker-Ende 1997 ist Hennig, längst Rentner, wieder präsent und an dem interessiert, was er einst selber in Marienthal zurückgelassen hat: Einen Superbunker und die Baudokumentation. Doch der Wiedereintritt in beide Bereiche bleibt ihm selbst nach dem Beschluss des Eigentümers, alles aufzugeben, zunächst verwährt. Briefe sogar an das Bundesinnenministerium mit der Darstellung des eigenen Dazutuns helfen nicht.

Kurz vor dem Abriss der Anlage ist er dann wieder da, wo er bereits 1959 unterwegs war: im Bunker. Er darf sogar kurzfristig seinen Fotoordner in Händen halten.

Der dann eine eigenwillige Reise antritt. Die Bunkerleitung sucht kurz vor ihrer Auflösung nach einer Nachfolgeregelung. Der letzte Dienststellenleiter hat eine regionale, durchaus offizielle Stelle, im Auge. Doch die enttäuscht ihn.

Enttäuscht zeigt sich auch Herbert Hennig bei der ersten öffentlichen Präsentation einiger seiner Fotos im November 2001. Er wird namentlich weites gehend vergessen, obwohl er seine Bilder wiederfindet. Der gründliche Bunkerbauer zählt 25 Aufnahmen, bei denen er hinter der Kamera stand. Unter drei Bildern steht sein Name. Im Begleitheft zur Ausstellung fehlt er ganz.

Es klingt fast selbst unheimlich, was er nun mit seinem (un)heimlichem Vermächtnis erlebt, dass es offiziell gar nicht gibt: Man bedient sich gern, tut aber so, als habe das beerdigte Staatsgeheimnis hier flugs noch etwas ins Reich der Lebenden geschickt.

Das Durcheinander nimmt seinen Lauf, auch nach Hennigs Tod - bis heute.

Die ersten Fotos im Zugangsbereich zur Ausstellung im ehemaligen Regierungsbunker am 21. Juli waren von Herbert Hennig. Sie warteten dort auf ihre Besucher, wo er sie selbst vor über 40 Jahren aufnahm: Im Bunker.