Als die Uhren stehen blieben
Montag, 01. Oktober 2007

Nordrhein-Westfalens vergessener Landesbunker

Jede Uhr trägt hier ihre eigene Botschaft vor. In der Stromerzeugung ist es fünf nach acht, im Sendestudio des WDR zehn vor zehn, in der Druckerei 17 vor neun. Ein Mal am Tag gehen alle Uhren im Bunker ganz genau. Es mag ein Trost sein für einen Zeitmesser, der seit 14 Jahren still steht.

Ein zweiter: Dass hier die Zeit stehen geblieben ist, kann die Nachwelt getrost als Segen empfinden. Die Anlage, für den Kriegsfall konzipiert, wurde zum einen nicht gebraucht. Zum anderen ist sie heute noch immer da und so, wie sie einmal errichtet wurde. Ein stummer Zeuge des Kalten Krieges mit einer großen Botschaft. Sogar die Namensschilder hängen noch an den Räumen der Landesführung, die diese Reise unter Tage für den Fall angetreten hätte, dass Draußen nichts mehr ginge. Das Zimmer mit der Nummer 330 war dem Ministerpräsidenten vorbehalten.

Dreibettzimmer im Obergeschoss des Bunkers. Die Mannschaftsräume ganz unten zählten bis zu 18 Betten in einem Zimmer.

Im sanitären Vorratslager liegt die Großkundenlieferung Klopapier vom 2. September 1966 noch immer einsatzbereit, hergestellt in einem Werk bei Nürnberg. Im Studio des WDR warten ganz andere Rollen auf ihren Einsatz. Eingelegt in der Technik eines kompletten, funktionsfähigen Sendestudios, gibt es hier fabrikneue Magnetbänder, die seit einigen Jahrzehnten aus dem Handel verschwunden sind. Durchmesser 30 cm, Bandbreite fünf Millimeter - ein Dinosaurier der elektronischen Kommunikation, der bis zu seinem Dienstende 1992 jederzeit startklar war - mit einer finalen Botschaft: Das Programm für den nächsten Weltkrieg hat sich erstaunlich gut gehalten.

Die Botschaft von Damals lautet hier an jeder Ecke: Es handelt sich um einen auf seine Aufgabe zugeschnittenen Funktionsbau mit teurer, grundsolider Technik "Made in Germany".

Ab 1962 baute das Land Nordrhein-Westfallen seinen Landesbunker. Administrativ gesehen nicht ganz freiwillig, denn die Bundesregierung forderte dies für jedes einzelne Bundesland wie auch die freien Hansestädte im Norden. Populär waren die Schutzbauten nicht. Der Bau kostete, die ständige Einsatzbereitschaft anschließend ebenfalls.

Zahnbürste vergessen? Damit die Hygiene in den Kriegsszenarien nicht zu kurz kommen würde, ist auch an einen solchen Fall gedacht worden. Im Bunker gibt es bis heute ein Lager, vollgestellt mit Reinigungsmitteln, Zahnpflegesets und sogar Rasierpinsel und Rasierschaum.

Auch die unterirdischen Übungen waren nicht sehr beliebt. Der Ministerpräsident wollte  nicht einrücken, die schlichte Nachbarsuite als bester Adresse vor Ort blieb einem "Dr. Middelhoff" vorbehalten, dessen Namenszug noch immer an seiner Zimmertür klebt.

Dr. Heinz Middelhoff, über 20 Jahre leitender Mitarbeiter im Katastrophenschutzreferat des Landes Nordrhein-Westfalen, ist heute Pensionär. An den Bunker und die Übungen kann er sich noch recht gut erinnern. "Die Übungen fanden parallel zu den Stabsübungen im Regierungsbunker statt und dauerten für uns in der Regel zwei, drei Tage. Die Anreise zum Landesbunker erfolgte mit dem Bus. 30 bis 40 Mitarbeiter verschiedener Landeseinrichtungen und Ministerien rückten dann in der Anlage ein und sollten eigentlich im Übungsverlauf auch nicht den Bau verlassen. Nachts haben wir dann aber trotzdem für ein paar Minuten frische Luft geschnappt." Die Kurzausflüge nur in der Dunkelheit erklärten sich darin, dass "die Leute im Ort nicht mitbekommen sollten, dass der Bunker belegt war." Schmunzelnd stellt Dr. Middelhoff fast 20 Jahre nach seiner letzten Übung fest: "Ich denke, die wussten schon vorher ganz genau, wann mit unserem Kommen zu rechnen war".

Seine in gleich mehreren Übungen gesammelten Eindrücke beschreibt der einstige Katastrophenschutzreferent Middelhoff so. "Wir haben das alles ernst genommen, was aber auch einschloss, dass man sich mit der Frage, was wir hier im Ernstfall managen würden, nicht auseinander setzte. Das konnte man sich einfach nicht vorstellen. Da Draußen wäre ja nichts mehr gewesen, was man als ziviles Leben zu organisieren hätte. Im Übungsverlauf ging es bei uns um die Anforderung einer Hilfseinheit, die Verschüttete bergen sollte. Mit dem Ernstfall, das wusste jeder, würde das nicht viel zu tun haben. Und auch die Frage, was mit uns am Ende passieren sollte, wurde verdrängt".

Die Machtzentrale: Hier liefen alle Fäden der Nachrichtenverbindung zusammen und konnte auf direktem Draht auch mit den Insassen des Regierungsbunkers an der Ahr gesprochen werden.

Einer, der jederzeit einrücken konnte und kann, wandert auch heute noch von Zeit zu Zeit über die Flure. Er hat diesen und einige andere Bunker in der Nachbarschaft in deren Bauphase begleitet. "Wir haben hier fünf, sechs schöne Bunker." Wer die Straßen der umliegenden kleinen Ortschaften abfährt, sieht davon allerdings nichts.

Der Dornröschenschlaf ist eingekehrt in diesen unterirdischen Gepflogenheiten alter Zeit. Im Bunker der Düsseldorfer Landesregierung ist er in den Jahren seit der Außerdienststellung ganze vier Mal für wenige Stunden unterbrochen worden, mehr Besucher hat die skurrile Welt, die das Überleben in einem Atomkrieg sichern sollte, nicht gesehen.

Der irgendwo auf der Zeitreise ins Hier und Heute vergessene Bunker hat als wertvoller Zeitzeuge einen handfesten Teil des Kalten Krieges bewahrt. So geben immer noch Funkbücher präzise Angaben über Kontakte und Inhalte der Kommunikation, ist in den Betriebsbüchern der Telefonanlage vermerkt, wann mitten in der Nacht das Telefonnetz probehalber auf den Kriegszustand umgestellt wurde. So am 9. Januar 1985 über vier Stationen direkt ins Innenministerium Düsseldorf, "Fernsprecher 6 77 - 87 09". Leitungslänge: 163 km.

Die Fernmeldetechnik wurde - ein Ausnahmefall in geräumten Bunkeranlagen - auch nach dem Rückzug der Regierung an Ort und Stelle belassen. Mehrere Relaisschränke und ganze Regale voll mit Technik (inklusive Ersatzteile) zeugen vom ungeheuren technischen Aufwand, der seinerzeit hier verbaut wurde.

Nicht ganz so lang war die Standleitung zum Regierungsbunker im Ahrtal. Einer der zahlreichen Telefonapparate im Landesbunker verrät bis zum heutigen Tag, mit wem man im Ernstfall direkt verbunden war. Auf dem Gerät ohne Wahlscheibe steht: "Hörer abnehmen und nach Meldung der Vermittlung Teilnehmer verlangen. Es können erreicht werden: Bund, Land Hessen, Land Niedersachsen, Reg. Präs. Detmold". Auf einem Schrank daneben liegt "K 804". Gar nicht mal verstaubt und als Verschlusssache so zu lesen, als sei es gestern in die Folien eingelegt worden, gibt es interessante Übersichten zu den Anschlüssen an die "Befehlsstellen der Landesregierung und der Regierungspräsidenten, Warnämter und Fernmeldedienst der Polizei NW". Auf den letzten Seiten enthält das Werk sogar sämtliche landesseitige Organigramme für den Krisenfall.

Zusätzlich räumt es mit einigen bisher offenen Fragen auf. Der Bund war erreichbar über "Bad Neuenahr B 812", das Land Hessen über "Oestrich O 806", Niedersachsen über "Lingen L 801" und Rheinland-Pfalz hatte seinen finalen Knotenpunkt im Fernmeldesystem in "Traben-Trarbach T 803".

Einen Hauch von James Bond haben sich die Bunkerbauer beim ganz realen Zu- und Abgang gegönnt: Der erfolgt über eine Doppelgarage. Linkes Garagentor auf, durch die Trennwand durchgehen, und rechts hinten unter der Erde verschwinden. Das versprach bereits beim Betreten: Auf den Besucher wartet ein großes Erlebnis. Ab hier ist die Sache "ernst" ...