Vor 50 Jahren
Freitag, 30. November 2007

Deutschlands heimlicher Atomtest

In den frühen Morgenstunden des 31. August 1957 zünden die USA „Smoky“. Während der Atompilz in den Himmel über der Wüste Nevadas aufsteigt, erreicht nach wenigen Millisekunden die Druckwelle die verbuddelten deutschen Bunker. Foto: U.S. Department of Energy, National Nuclear Security Administration.

Flughafen Köln-Wahn, 1.12.1957. In den diesigen Dezemberhimmel hebt um Punkt 11.45 Uhr eine Maschine der skandinavischen Fluggesellschaft SAS ab, Reiseziel Kopenhagen. An Bord sitzen in der 1. Klasse einige Deutsche mit einem Endziel, dass garantiert kein anderer Passagier teilt. Am 2.12., 6 Uhr morgens, erreichen sie Winnipeg in Kanada, dann um 11 Uhr Los Angeles, USA. Schließlich um 16.30 Uhr Las Vegas. Am nächsten Morgen um 8 Uhr verlassen sie mit einem Bus den Ort, der noch längst kein Spielerparadies ist, Richtung Nordwesten. Es geht 100 Kilometer durch unbewohnte Wüste. Nach zwei Stunden hält das Fahrzeug, eingesetzt zu einer Sonderfahrt von der amerikanischen Regierung, an einem Posten. Sicherheitsüberprüfung. Es geht weiter zum "Camp Mercury", in dem die Gäste aus good old germany für eine Woche einchecken. Kein gewöhnliches Hotel, sondern die Siedlung amerikanischer Atomforscher. Das Ziel ist erreicht: Das streng abgeschirmte US-Atomtestgelände in der Wüste Nevadas.

Am 3. Dezember geht es früh morgens weiter. Es ist noch dunkel, als die Fahrt durch eine unwirtliche Mondlandschaft beginnt, zerpflügt von der atomaren Kraft einiger Bombentests. Am "Groom Lake" in Area 2 endet der Ausflug. Die neun Deutschen und ihr Dolmetscher sind am Ziel. Unter ihren Füßen liegt das, was Monate zuvor durch amerikanische Experten im Auftrag der deutschen Regierung verbuddelt wurde: Bunker-Knowhow "made in germany". Es sind neun Schutzbauten, durch deutsche Fachleute verschiedener Unternehmen entworfen, gebaut, schließlich in Kisten verpackt Richtung USA verschifft.

Im Frühjahr 1957 errichten amerikanische Bauleute die deutschen Bunker. In Kisten verpackt, kommen alle Bauteile aus Deutschland. Das US-Testgelände betreten und an ihren Bunkern mitbauen - das dürfen die deutschen Auftraggeber nicht. Foto: U.S. Department of Energy, National Nuclear Security Administration.

Das Testgelände betreten und die Bunker bauen - das durften die Deutschen nicht! Das blieb dem US-Unternehmen "Smith & Ammann" als Empfehlung der US-Regierung an die Deutschen vorbehalten. Die Amerikaner organisieren den Bau und halten Kontakt zur US-Atomkommission als Hausherr.

Zwischen die Bauzeit im Frühjahr 1957 und die nun stattfindende Dezembervisite fällt "Smoky" im Rahmen des amerikanischen Testprogramms "Plumbbob". Am 31. August 1957 erschüttert in den frühen Morgenstunden die stärkste bis dahin über dem amerikanischen Festland gezündete Atombombe die Wüste Nevadas. Mit 43 Kilotonnen (Sprengstoff TNT) entspricht "Smoky" der fast 4-fachen Kraft, die Hiroshima in Schutt und Asche legte. Der erste deutsche von neun vergrabenen Bunkern befindet sich exakt 252 Meter von dem Punkt, an dem der 213 Meter hohe Mast mit der Kernwaffe steht (Abstand zum sogenannten Bodennullpunkt). Von dem Gittermast sind nur noch einige Stahlstücke übrig, quer verteilt über die Wüste Nevadas. Doch die haben es in sich: Nicht umsonst mussten die Deutschen bis zu dieser Visite drei Monate warten. Es strahlt, was die Dosimeter hergeben. Im Schnitt, und das Protokoll verharmlost es später durch die Durchschnittsberechnung, nehmen die Teilnehmer etwa 430 Millirad Kernstrahlung auf. Ein imponierender Wert, mit dem aber vor 50 Jahren noch recht locker umgegangen wurde.

Nach der Zündung der Atombombe am 31. August 1957 untersuchen amerikanische Experten noch lange bevor die Bonner Runde eintrifft die Bunker der Deutschen. Die Amerikaner sind beeindruckt von den Ergebnissen, denn hinter den Schutztüren der Firma Mannesmann Stahl gibt es im Inneren kaum Beschädigungen.

Unabhängig (und unwissend) davon dürften die Teilnehmer der Delegation, die sich aus hochkarätigen Mitarbeitern des Bundesfinanzministeriums, des Bundesverteidigungsministeriums, des Bundeswohnungsbauministeriums, der Bundesbaudirektion und zwei "Sachverständigen" sowie eines Vertreters der deutschen Botschaft in Washington zusammensetzt, sehr zufrieden an diesem 3. Dezember 1957 mitten in der atomar stark belasteten Wüste Nevadas ins Bett gestiegen sein. Die deutschen Bunker hatten besser den Test überstanden, als man das erhofft hatte. Einige leichte Beschädigungen im Außenbereich, nur Haarrisse innen. Probleme gab es nur mit den Notausstiegen, deren Treppen aus der Verankerung gerissen sind. Die 30 Mäuse, durch US-Experten in jeden deutschen Bunker "exportiert", hatten bis auf einen Schutzbau die Detonation unbeschadet überlebt. Im Todesbunker war aber nicht die Atombombe Schuld, sondern die versehentlich eingeschaltete Stromerzeugung eines benzinbetriebenen Generators. Die Nager erlitten eine Kohlenmonoxidvergiftung im Abgasstrahl.

Die US-Militärs schicken nicht zuletzt wegen dieser geringen deutschen Verluste in ihrer Wüste reihenweise Experten Richtung "german shelter" als dort noch alles atomar verseucht ist. Lange bevor die Bonner Runde im Dezember eintrifft, ist man brennend interessiert am deutschen Bunker-Knowhow - einem Gebiet, in dem die Entwickler einen Vorteil dank umfangreicher praktischer Erfahrungen aus dem letzten Weltkrieg haben. Was sich zynisch anhört, wird unter Diplomaten sehr sachlich gesehen und öffnet den Deutschen die Tür Richtung USA in ein Testprogramm, auf das deutsche Bunkerkapazitäten so sehr gehofft hatten. Die Amis selber sind allerdings nicht sonderlich daran interessiert, ihren deutschen Kollegen alle Messergebnisse zu überlassen. Also untersucht man die Bauwerke bereits Wochen vor der Ankunft der Delegation, nimmt die Mäuse wie auch die eigenen Instrumente wieder mit und begründet den mangelhaften Informationsaustausch mit einer Klausel aus dem umfangreichen Test-Vertrag: Der abnormalen Zündung einer Forschungsbombe, die mit ihrer Wirkung als "Top Secret" eingestuft wird. Die Unterlagen bleiben unter Verschluss.

So haben die Deutschen ihren national "Streng Geheimen" Atomtest, die Amerikaner die Ergebnisse.

Im Bunker „CAa“ (cylindrischer Schutzbau A), vergraben 270 Meter vom Mast mit der Atombombe entfernt, hinter dessen Zugang es eine Schikane gibt, die Druckwellen und radioaktive Strahlung brechen soll. Foto: U.S. Department of Energy, National Nuclear Security Administration.

Doch unter den deutschen Gästen sind durchaus Experten, die nicht nur auf Erfahrungen zurückgreifen können, sondern eigene, unscheinbare Messgeräte in den Anlagen installieren ließen und nun aus den Ergebnissen umfangreiche Rückschlüsse ziehen können. Einer der unangefochten Kapazitäten ist Prof. Dr.-Ing. Hubert Schardin, der einen Lehrstuhl an der Universität in Freiburg hat sowie Leiter eines Instituts in der Nähe von Bern (St. Louis) in der Schweiz ist. Er und sein wissenschaftliches Umfeld nehmen die "bescheidenen" Ergebnisse des Atomtests unter die Lupe und gleichen diese mit den Versuchsaufbauten im Institut und den dort gewonnenen Ergebnissen ab. Dabei geht es in erster Linie um Belastungskurven und Schwingungsauswirkungen. Was sie sehen: Es gibt eine Vorlastkurve nach der Zündung dieser Bombe. Dem großen Hyperknall geht eine Welle voraus, die alles in Stimmung bringt.

Ein Fall interessiert das Gremium besonders: Der Versuchsaufbau "CAa" (cylindrischer Schutzbau A), vergraben 270 Meter vom Mast mit der Atombombe entfernt. Dieser Bunker berechnet sich physikalisch aufgrund einer "Röhre mit unendlicher Länge" und schneidet in der Beurteilung besonders gut ab. Die gewonnenen Ergebnisse werden dem Wohnungsbauministerium sowie dem Bundesverteidigungsministerium vorgelegt. Im Querschnitt entspricht der Versuchsaufbau frappierend dem späteren Regierungsbunker.

Fast fünf Jahre später. Im Frühjahr 1962 interessiert sich das Bundesministerium für wirtschaftlichen Besitz des Bundes sowie die Bundesbaudirektion ganz besonders für Schardin und seine Untersuchungen. Der Fachmann wird nach Bonn eingeladen. Es geht um einen wissenschaftlichen Forschungsauftrag. Alles ganz normal, wäre da nicht ein ungewöhnlicher Aktionismus: Gleich mehrere Gutachten und ähnliche Aufträge werden angefordert. Eine ganze Reihe von Experten - sowohl von wissenschaftlichen Einrichtungen wie auch aus anderen Ministerien - werden im Mai 1962 eingeladen und geben sich in Bonner Ministerien die Klinke in die Hand. Diejenigen unter ihnen, die "VS-tauglich" sind (berechtigt zum Umgang mit Verschlusssachen), werden zu einem Ortstermin gebeten. Es geht auf die streng geheime Großbaustelle Regierungsbunker. Hier beschäftigen sich inzwischen nicht nur einige Hundert Bauarbeiter mit dem Ausbau des Osttunnels und treiben das Labyrinth unter dem Kuxberg im Akkord voran. Auch in der Bauleitung und den angeschlossenen Architektur-Büros in Köln und Essen wird unter Hochdruck auf Anweisung des Innenministerium an einer unglaublichen Idee gearbeitet ... ("Die VS-Akte Marienthal")