Vor 10 Jahren
Freitag, 07. Dezember 2007

Und dann war plötzlich Schluss ...

Ein Gehemnisträger mit neuer Aufgabe: Der inzwischen verstorbene ehemalige Leiter Maschinentechnik, Werner Czeratzki, öffnet Medienvertretern im Herbst 1998 die Tür zum einst gut gehüteten Staatsgeheimnis.

Mit reichlich Verspätung zog das Ende des Kalten Krieges im staatsgeheimen Teil des Ahrtals ein. Es ist der 9. Dezember 1997, als in Bonn das Bundeskabinett zusammenkommt und beschließt, seinen Ausweichsitz samt Dienststelle Marienthal dicht zu machen. Das gigantische Röhrensystem war mit Verlauf dieses Dienstagvormittags vor 10 Jahren plötzlich ohne Aufgabe. Doch mit dieser Entscheidung ging nicht nur der Bunker ungewissen Zeiten entgegen. Betroffen waren auch die noch 180 Mitarbeiter vor Ort und zahlreiche Unternehmen, die diesen Auftraggeber fest auf ihrer Rechnung hatten. Längst hatte die Anlage eine wirtschaftliche Ausstrahlungskraft und von ihr hingen mehr Arbeitsplätze ab, als die unter Tage oder in der Dienststellenverwaltung.

Am Ende des langen Schweigens

Sie hatten immer geschwiegen, die vergatterten Mitarbeiter. Zuhause durfte man nichts über die Arbeit erzählen, Freunden, Bekannten, Verwandten nicht sagen, wo man seit Jahren, Jahrzehnten beschäftigt ist. Doch nun gab es eine neue Situation: Mit der Entscheidung für die Schließung des geheimen Bunkerkomplexes und dem damit verbundenen Eingriff in die Biografie jedes einzelnen Mitarbeiters war nicht nur das Bedürfnis da, eine eigene Meinung zu artikulieren - auch die Weisung zum Schweigen um ein nicht mehr existentes Staatsgeheimnis verlor ihre Logik. "Ich kam nach Hause und sagte meiner Frau nur: Schöne Bescherung zu Weihnachten. Sie machen den Bunker zu!", erinnert sich Mitarbeiter Peter Bläser an den Tag vor 10 Jahren. Vielmehr hatte er damals nach 36 Dienstjahren nicht zu berichten. Gerade war sein bombensicherer Arbeitsplatz als verzichtbarer Bestandteil der deutschen Politik ausgemustert worden.

Zugang zum Osttunnel des Regierungsbunkers in Marienthal, durch den bis 1997 die Masse der Regierung im Kriegsfall verschwunden wäre.

Die Vorzeichen im Jahr 1997 waren flatterhaft. Am 19. Februar schaute der zuständige Bundesinnenminister Manfred Kanther in Marienthal vorbei und machte den Mitarbeitern Mut. Auf den Bunker verzichten, das sei für die Regierung unvorstellbar. Zumal die NATO-Auflage für dieses Schutzbauwerk immer noch zu erfüllen sei. Regierungsumzug nach Berlin? Kein Problem, so Kanther, denn mit Blick auf die Sicherheitslage seien "Überraschungsschläge mit knappester Vorwarnzeit derzeit nicht wahrscheinlich." Also hätte man genug Zeit, die neue Bundeshauptstadt Richtung Westen zu verlassen, sollte es brenzlig werden.

Intern lässt Kanther im Bundesinnenministerium nach seiner Marienthal-Visite nachrechnen, was es kosten würde, wenn man die Nutzung des Bunkers ganz aufgeben würde. Er formuliert es als Argumentationshilfe, genau das mit Blick auf die Kosten zu verhindern. Und doch wird über die Beschränkung auf einen Teil der Anlage nachgedacht, darüber, dass ausscheidende Mitarbeiter (deren Durchschnittsalter beträgt gerade einmal 44 Jahre!) nicht durch neue ersetzt werden und "wesentliche Investitionen" vorerst nicht getroffen werden.   

Für Paul Groß, wie Bläser technischer Mitarbeiter, ist es zu dieser Zeit unvorstellbar, dass der Ausweichsitz des Bundes aufgegeben wird. "Ich habe immer wieder gesagt: Wenn es einen sicheren Arbeitsplatz gibt, dann haben wir ihn." Ein Irrtum, bei dem er, denkt er über alles nach, was nach dem Dezember 1997 kam, nur den Kopf schütteln kann. Er und Peter Bläser werden die letzten Bunkermitarbeiter sein. "Dem Beschluss der Stilllegung folgte der Rückbau. Immer habe ich bei dem gedacht, was angekündigt wurde, das geht doch gar nicht." Schließlich marschiert Paul Groß als letzter Mitarbeiter im April 2006 letztmalig durch seine Arbeitsstätte: Ein karges Monstrum aus leergeräumten Tunnelröhren.

Der kleine Vor-Alarm

Erste Vorzeichen, dass irgendetwas nicht stimmen konnte, erkannte er im Sommer 1997. "Wir mussten in Erfassbögen festhalten, welche Aufgaben wir ganz genau haben und welche Kosten bei jeder Tätigkeit im Bunker anfallen." Zu dieser Zeit widmete sich das Bundesinnenministerium einem äußerst ungewöhnlichen Vorgang: Unter "BMI OI 4a-33/97g" wurden ab Mitte Juni 1997 Akten kopiert, die in Zusammenhang mit der Anlage und einer Struktur ziviler Notstandsplanung in den Jahren 1960 folgende erstellt wurden. Interne, fast 40 Jahre alte Geheim-Unterlagen wurden damit erneut "Geheim" klassifiziert und verschwanden in der Verschluss-Registratur des Ministeriums. Sie werden im Jahr 2027 wieder freigegeben - vielleicht.

Heinz Gasper, Mitarbeiter im Regierungsbunker von 1969 bis 1999. Im Sommer 1998 begann der große Kehraus im ausrangierten Staatsgeheimnis.

Die Debatte um den Bunker war längst auch dort angekommen, von wo ursprünglich die Insassen nach Marienthal abgereist wären: Im Deutschen Bundestag. Bereits im Februar 1995 ging es im Rahmen einer Haushaltsdebatte um den Kostenfresser, dessen Sinnhaftigkeit von Uta Titze-Stecher (SPD) hinterfragt wurde. "Warum müssen - ich greife hier den Antrag der Grünen auf, der heute morgen vorlag - z. B. beim Objekt Marienthal/Eifel - besser bekannt unter Regierungsbunker - 11 Millionen DM allein angeblich für die Unterhaltung angesetzt werden? Oder ist die Zahl von 200 Bewachungskräften für den Ausweichsitz der Bundesregierung gerechtfertigt? Die Frage ist, ob das Ganze überhaupt noch notwendig ist."

Rein rechtlich gesehen hätten solche Details selbst im Bundestag gar nicht ausgeplaudert werden dürfen, für die es auf innenministerieller Ebene sogar eine neue Empfehlung bei der Einstufung von Verschlusssachen gab: Eine interne Untersuchung empfahl die Heraufsetzung von "Geheim" auf "Streng Geheim". Mehr Geheimhaltung gibt es von Amts wegen nicht. Zurück zu den Ursprüngen, denn diese Klassifizierung gab es bis Ende der 70er Jahre um den Krisen- und Kriegsbunker schon einmal.

Kurz vor dem Aus, am 24. Oktober 1997, sprach der SPD-Abgeordnete Hans Wallow letztmalig das Thema im Bundestag an. Zu dieser Zeit war die Aufgabe der Anlage längst beschlossene Sache. "Seit wann liegen die Brandschutzgutachten der Firmen W. und C. zum "Ausweichsitz der Verfassungsorgane des Bundes" in Bad Neuenahr-Ahrweiler vor, und gehört nach Kenntnis der Bundesregierung auch die sich eventuell anschließende Planung von Brandschutzmaßnahmen zu den geschäftlichen Aufgabenfeldern dieser Firmen?", will der Abgeordnete wissen, der von 1974 bis 1981 Referatsleiter und Regierungsdirektor im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung war. Eine Stelle, die traditionell gut unterrichtet war über alles Unterirdische an der Ahr und dort für den Krisenfall im Bauwerk 22 ihren Platz hatte. Für die angesprochenen Gutachten - die Namen der Unternehmen werden aus dem Bundestags-Protokoll gestrichen - hat die Bundesbaudirektion Aufträge an die "Corall Ingenieure GmbH" in Meerbusch sowie die "Weidleplan Consulting GmbH." in Stuttgart vergeben. Im Fokus stand die Überprüfung des Brandschutzes, die vernichtend ausfällt.

Doch neu ist das Problem nicht. Gutachten mit ähnlichem Inhalt und der gleichen Empfehlung, entweder umfangreich in den Brandschutz zu investieren oder alles dicht zu machen, gab es bereits seit Jahren beim Bund. Allein eine Weisung durch das BMI, etwas zu unternehmen, blieb beständig aus. 

So wurde zwar 1994 kräftig in die neue Ausrüstung der Stromerzeugung investiert, die Brandschutzmaßnahmen aber wurden zurück gestellt. Die Kosten dafür beliefen sich inzwischen - je nachdem wer intern nachrechnete - auf 280 bis 350 Mio. DM!

Visite auf der Baustelle: Paul Groß, letzter Mitarbeiter des Regierungsbunkers (links) zusammen mit seinem ehemaligen Kollegen, Bernd Schröder, am Bunkerzugang, hinter dem der Abriss auf vollen Touren läuft (Sommer 2003).

Die Feststellung des Bundesinnenministers vom 13. Januar 1993, man werde den Ausweichsitz für Verfassungsorgane in der Nähe von Bonn betriebs- und einsatzbereit halten, nicht zuletzt mit Blick "auf die hohen Kosten, die für ihn aufgebracht wurden", geriet nun in einen anderen Blickwinkel. Ein paar Milliarden der Erstellung und des Unterhalts standen einem stattlichen, dreistelligen Millionenbetrag für die Modernisierung gegenüber. Ein weiteres Problem ergab sich aus diesem Investitionsstau: Über Jahre wäre der Bunker mehr Baustelle als wirklicher Schutzbau. 10 Jahre sollte die Modernisierung dauern, die sich abschnittsweise durch den Tunnel bewegen sollte. In der Zwischenzeit aber, das hatte die 12-jährige Neubauphase schmerzlich bewiesen, würden sich die Technik wie auch die Vorschriften für eine solche Anlage weiterentwickeln.

Der Gordische Knoten wurde am 9. Dezember 1997 mit der Entscheidung des Bundeskabinetts zerschlagen. Unsanft und auch nicht wirklich logisch nach einem jahrelangen ministerialen Eiertanz - aber endgültig. Am 10. Dezember schrieb das BMI alle "Bunker-Koalitionäre" an - von den Ministerien über den Bundesgrenzschutz bis hin zum Kanzleramt - sie mögen diese Entscheidung quittieren und alle Verschlusssachen und sonstige Werte in Marienthal abholen.

Für die Mitarbeiter der Anlage begannen unsichere Zeiten. Von heute auf morgen zählten sie nicht mehr zu Deutschlands elitärsten Handwerkern oder verwalteten eine Dienststelle, um die es immer die Aura des Besonderen gab. Es folgen Vorschläge an die Bediensteten für neue Arbeitsplätze in anderen Bundeseinrichtungen. Die, die bleiben, erleben mit, wie sich ihr geheimer Arbeitsplatz wandelt. Menschen, die eigentlich in der Anlage nichts zu suchen haben, marschieren rein, Einrichtungsgegenstände, die seit 30 Jahren gehegt und gepflegt wurden, werden hinausgebracht. Im Herbst 1998 öffnete sich der ausrangierte Regierungsbunker den Medien.

Ehemalige Mitarbeiter aus dem technischen Personal des Regierungsbunker an ihrem inzwischen völlig rückgebauten Arbeitsplatz. Im Zuge einer Fotoausstellung im Bunker kehrten Heinz Gasper (Heizungsbauermeister, im Bunker von 1969-1999), Erich Pauly (Gas- und Wasserinstallateur, im Bunker von 1965-2002) sowie Karl-Heinz Knebel (Schlossermeister, im Bunker von 1963-2005) an ihren ungewöhnlichen Arbeitsplatz zurück - das erste Mal nach Ende der Abrissarbeiten.

Über seine dienstliche Existenz hinaus, war der Bunker im November 1998 nochmals Thema einer Bundestagsanfrage. Der örtliche CDU-Abgeordnete Wilhelm Josef Sebastian wollte wissen, wie die Personalfrage gelöst sei. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Fritz Rudolf Körper aus dem Innenministerium: "Von den ehemals 174 Beschäftigten der Dienststelle Marienthal sind bisher 65 Mitarbeiter zu anderen Dienststellen versetzt worden. Außerdem wurden 25 Mitarbeiter in andere Abteilungen des Bundesamtes für Zivilschutz (BZS) umgesetzt. Daneben sind zehn Beschäftigte aufgrund des Bezugs von Altersrente oder aus anderen Gründen ausgeschieden. Für die damit verbleibenden 74 Mitarbeiter konzentrieren sich die Bemühungen darauf, unter Nutzung der mit dem Bundesministerium der Finanzen abgestimmten Instrumentarien sozialverträgliche Unterbringungen im Köln-Bonner-Koblenzer Raum nicht nur bei Bundesbehörden sondern auch bei Landesbehörden zu erreichen. Für lebensältere Bedienstete ab dem 55. Lebensjahr soll Altersteilzeitarbeit ermöglicht werden."

Drei von ihnen werden miterleben, wie am 1. August 2001 die Bagger anrollen und mit dem Abriss beginnen. Es folgt die Tilgung eines historischen Bauwerks, die einmalig in der deutschen Geschichte ist. Wie das Bauwerk selber auch.

Der Tunnel wird Jahre und einige Millionen Euro später besenrein von einer Bundeseinrichtung an die andere übergeben und bietet heute einen Anblick, den niemand im Dezember 1997 für möglich halten konnte. Ein Anblick, der sich ab März 2008 auch Besuchern auf der Aussichtsplattform am Ende der "Dokumentationsstätte Regierungsbunker" bieten wird. Auf den exakt 203 Metern und 25 Zentimetern Weg dorthin wird im nicht abgerissenen Teil der Anlage aktuell ein Museum eingerichtet, das auf eine Zeitreise in den Kalten Krieg einlädt. Unter den Gästeführern, die hier ihr Publikum begrüßen werden, sind auch drei ehemalige Mitarbeiter des Ausweichsitzes der Verfassungsorgane, die über ihren Alltag, über das Leben und Arbeiten mit und in einem Staatsgeheimnis berichten werden.