Papa starb "Vertraulich - nur für den Dienstgebrauch"
Dienstag, 22. Januar 2008

Am 25. Januar 1965 hinterließ Gerhard Wentzek seine Frau und vier Kinder

Gerhard Wentzek kam auf der Baustelle Regierungsbunker um. Sein Tod wurde zur Verschlusssache deklariert, die Familie nicht näher informiert.

"Es war ein Montag, das werde ich nie vergessen. Morgens setzte sich Papa in den Fiat 500 und fuhr zur Arbeit ins Ahrtal. Am Nachmittag standen mehrere Herren in schwarzen Anzügen in der Küche und hatten ihre Hüte abgenommen, als sie uns mitteilten, dass er tot sei. Es war der Tag, an dem meine Kindheit zu Ende war". Erinnerungen von Monika Jenny Stelz an jenen Januartag vor 43 Jahren. Mit seinem Tod hinterließ Gerhard Wentzek, ein 39-jähriger Bergmann aus Hachenburg im Westerwald, Ehefrau Jenny und die vier Kinder im Alter zwischen 2 und 14 Jahren.

Für die Familie brach eine Welt zusammen. "Wenn man das nicht selbst erlebt hat, kann man sich nicht vorstellen, was einem im Kopf umgeht," denkt Monika, die Älteste der Kinder, zurück und erinnert sich. "Die Herren in Schwarz brachten seine persönlichen Sachen in einer Tasche zu uns. Was genau passiert war, wurde nicht gesagt. Es hieß nur, er sei an seinem Arbeitsplatz aufgefunden worden - bewusstlos. Ihm konnte nicht mehr geholfen werden."

Ein Bild aus besseren Tagen: Familie Wentzek unter dem Weihnachtsbaum. Am 25. Januar 1965 hinterlässt Gerhard Wentzek mit seinem Tod vier Kinder und Ehefrau Jenny.

Dass es kein gewöhnlicher Todesfall sein konnte, wurde der Familie einige Tage später klar. "Die Tasche mit Vaters Sachen stand unberührt in einem Zimmer, als Herren der Kriminalpolizei vor der Haustür standen und sehr unfreundlich eine Durchsicht dieser Tasche verlangten. Sie wühlten in den Sachen und fanden offensichtlich, was sie gesucht hatten".

Mit einigen Papierunterlagen verschwand das Kommando. Ein mysteriöser Fall. "Wir wussten nicht, was hier vor sich ging, doch es musste wohl etwas mit seiner Arbeit zu tun haben", erzählt Monika Stelz. Woran er aber arbeitete, wusste Gerhard Wentzek wie auch seine Kollegen selber nicht. Ihr Einsatzort: Das Stollensystem im Trotzenberg. Was unter "Ausbau Anlagen des THW" lief, wurde den Bauarbeitern als Zivilschutzanlage des Hilfswerkes verkauft. Ein Zusammenschluss von mehreren Bauunternehmen, unter ihnen der Arbeitsgeber von Gerhard Wentzek, die Erzbergbau Siegerland AG, hatte als Arbeitsgemeinschaft ARGE Blau den Zuschlag für die Erstellung des Westbauwerkes erhalten. Zwar hielten sich Gerüchte, dass die Anlage wohl für Zwecke des Technischen Hilfswerkes etwas überdimensioniert und auch zu aufwendig erschien. Da aber an die Bauleute nur Pläne mit dem Sektor verteilt wurden, an dessen Erstellung sie unmittelbar eingesetzt waren und ein ständiger Personalaustausch stattfand, fehlte dem Einzelnen eine Übersicht über die wahre Dimension der Anlage.

Bergmann Gerhard Wentzek arbeitete 15 Jahre für die Erzbergbau Siegerland AG, die beim Ausbau des Westtunnels in der ARGE Blau zum Zuge kam. Der Ausbau steht unter keinem guten Stern. Reihenweise brechen Bauwerke ein, gibt es mehrere tödliche Arbeitsunfälle an einer Baustelle, die unter erheblichem Zeitdruck fertig gestellt werden muss.

Seinen Plan hatte Gerhard Wentzek, wie vorgeschrieben, bei der Arbeit am Mann. Nach seinem Tod wurde der Familie u.a. die Arbeitskleidung überlassen - mit den staatsgeheimen Plänen in der Tasche. Doch die waren durchnummeriert und fehlten bei der Bestandsaufnahme in Marienthal. Ein Fall für das Bundeskriminalamt, dass mit einer Außenstelle Räume in der Bauleitung der Anlage - sie war inzwischen als schutzbedürftig eingestuft und streng bewacht - besetzt hatte. Also reiste man von der Ahr in den Westerwald und holte ab, was dort eigentlich gar nicht sein durfte.

Doch die Geheimniskrämerei, die gezielte Desinformation, das große Schweigen, fingen nun erst an.

Die Heimatzeitung der Familie, die "Westerwälder Zeitung", veröffentlichte in der Woche des Todes einen 10-Zeiler - immerhin. In dem wurde mitgeteilt, dass "der Hauer Gerhard Wentzek bewusstlos an seiner Arbeitsstelle, einem Nebenschacht der Erzbergbau Siegerland AG, gefunden wurde. Trotz sofortiger Wiederbelebungsversuche starb Wentzek. Die Todesursache ist noch nicht restlos geklärt. Der Tote hinterlässt Frau und vier Kinder". Mehr war der Redaktion nicht bekannt - und sollte ihr wie den Lesern auch gar nicht bekannt sein. Denn es gab einen über die gesamte Baumaßnahme verhängten Verschlussgrad: Von "Offen" (1959) war dieser auf "Geheim" (1962) rapide heraufgesetzt worden. Insofern wurde der Tod - und nicht nur der von Gerhard Wentzek - als Verschlusssache (VS) deklariert, weil er in einem Verschlussbereich eingetreten war. Mit allem was dazu gehörte: Auf die Baustelle und zum Ort des Unglücks durften nur Ärzte, die vorher vergattert und durch die Sicherungsgruppe des BKA überprüft wurden. Das Gleiche galt für Vertreter von Gewerkschaften oder dem Gewerbeaufsichtsamt. Mit der Folge, dass auch die Untersuchungen zum Unfallhergang, zur Todesursache - kurzum alles zu diesem Fall und anderen vergleichbaren - unter Verschluss genommen wurde. Zwar wurde gründlich und penibel ermittelt, sogar Skizzen wurden angefertigt - allerdings nur für die eigene Aktenlage. Und die war "VS - Nur für den Dienstgebrauch".

Eine totale Informationsblockade, die vielleicht gerade einmal durch ein paar persönliche Sätze von Arbeitskollegen "aufgehoben" wurde. So bei der Beerdigung am 30. Januar 1965, als auch ein Bergmann-Chor singt und einige Vertreter der ARGE Blau am Grab des Kollegen stehen um ihm das letzte Geleit zu geben.

So weiß Monika Stelz damals immerhin, wo die Anlage liegt und kann Jahre später die Bauerei aus den 60er Jahren mit dem real existierenden Regierungsbunker zusammenbringen. Doch ihr Versuch, die Anlage zu betreten, scheitert - selbst nach der Außerdienststellung. Vor Ort - inzwischen wird in der Anlage wieder gearbeitet, diesmal am Rückbau - bleiben die Tore verschlossen. Bis zum Dezember 2004. Im Zuge eines Fototermins mit ehemaligen Bunkermitarbeitern taucht sie ein in diese unheimliche Welt des Kalten Krieges und trifft sogar auf Menschen, die bereits im Todesjahr des Vaters hier beschäftigt waren. Es gibt erste, vage Informationen.

Am 21. Juni 2007 ist Monika Stelz Ehrengast während der feierlichen Eröffnung zur Fotoausstellung im ehemaligen Regierungsbunker und hält endlich die Unterlagen in Händen, die ihr und der Familie über mehr als 40 Jahren vorenthalten blieben. Einblicke in seitenweise VS-Papiere, die ein genaues Bild von den Ereignissen jenes 25. Januar 1965 zeichnen, wie sie sich nicht einmal 500 Meter weiter in einem Seitenstollen (bei der Erstellung eines Querganges zum Bauwerk 251) abgespielt haben. Es war eine Verkettung mehrerer unglücklicher Umstände, die schließlich zum Tod durch eine Kohlenmonoxidvergiftung führten.

Monika Stelz und Schwester Beate bieten sich an diesem Tag die Möglichkeit, zusammen mit den eigenen Kindern nach der feierlichen Eröffnung den Weg in das Tunnelsystem jenseits der hell erleuchteten Ausstellungsfläche anzutreten. Ein schwerer Gang in einen Teil des endlos scheinenden Labyrinths, in dem Familiengeschichte geschrieben wurde.

"Es war gut für mich, endlich die Wahrheit zu erfahren und auch dort zu sein, wo es geschah", sagt sie heute. Es sind jene Tage des 43. Todestages.

Mutter Jenny lebt heute 83-jährig in Hachenburg, die vier Kinder in der Westerwälder Nachbarschaft. Bereits zwei Tage nach dem Tod von Gerhard Wentzek gab es in Marienthal den nächsten Todesfall. Ein Wachmann, geboren am 25.10.1925, starb nach einem Verkehrsunfall. Der Geburtstag von Gerhard Wentzek war der 7.11.1925. Beide Biografien trennen - über ihren Inhalt - nur wenige Tage.