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Brauner Bretterzaun (ergänzt am 5.12.2009) PDF Drucken E-Mail
Mittwoch, 04. November 2009

Theo Saevecke: Vom NS-Kriegsverbrecher zum Sicherheitschef im Regierungsbunker

Selten hat ein Beitrag auf dieser Internetseite ein so starkes Echo ausgelöst, wie der um Theo Saevecke. Selbst Mitarbeiter des Bunkers, die 1972 die Anlage verließen, meldeten sich mit ihren Erinnerungen und Fotos – darunter das aktualisierte Bild der Startseite, das den Sicherheitschef des Bunkers vor dem Dienstellengebäude in Marienthal zeigt. Eines der ganz wenigen Bilder aus der Epoche „Saevecke-Regierungsbunker“.

Der Aktenfund im Koblenzer Bundesarchiv ist ein Schwergewicht, der Inhalt hat es in sich: Hat das Bundesinnenministerium schwer NS-belastete Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes auf der Baustelle des Regierungsbunkers, später „Dienststelle Marienthal“, in leitender Funktion eingesetzt? Jetzt erstmals im Bundesarchiv ausgewertete Akten des Bundesministerium des Innern (BMI) belegen: Mindestens zwei Mitarbeiter in der Leitung des Referates Sicherheit des Regierungsbunkers waren während der NS-Zeit aktiv in SS, SD, Gestapo bzw. Geheimer Feldpolizei an Kriegsverbrechen beteiligt. Die Recherchen, in die sich auch ehemalige Mitarbeiter der „Dienststelle Marienthal“, ein leitender BKA-Mitarbeiter a.D., Krimi-Autor Jacques Berndorf (Eifel-Krimis) sowie die Staatssicherheit (Hauptverwaltung Aufklärung) der DDR einbrachten, geben Einblicke in ein bislang völlig unbekanntes Kapitel um das „Staatsgeheimnis Nummer 1“.

Es ist sicherlich eine der ungewöhnlichsten Biografien, die ein Mensch in den vergangenen 100 Jahren schreiben konnte: Ein Kriminalbeamter, der 1938 die erste Verbrechensfahndung im Fernsehen mitinitiiert und da schon SA-Mitglied ist, anschließend NSDAP, SS, SD und Gestapo. Der Polizei-Einsätze in Libyen und Tunesien leitet und „mit großem Erfolg die Judenfrage bearbeitet“, wie es in einer dafür verliehenen Auszeichnung heißt. Als Gestapo-Chef im italienischen Mailand wird er zum öffentlichen Mörder: Als Vergeltungsmaßnahme für Anschläge auf Wehrmachts-Soldaten lässt er 15 Geiseln auf einem großen Platz im  Mailänder Stadtzentrum vor Publikum erschießen, schickt mit seiner Unterschrift mehr als 700 italienische Juden kurz vor Kriegsende in die Vernichtungslager. Die Italiener nennen ihn ab nun „Mörder von Mailand“. Dann kriegsgefangen, anschließend Mitarbeiter der CIA, schließlich Mitarbeiter im Bundeskriminalamt. Eng dran an den Bundesinnenministern Schröder und Höcherl, dem Verteidigungsminister Strauß und mitten drin in der „Spiegel“-Affäre. Doch in der bislang bekannten Biografie des Theo Saevecke steht für die letzten Berufsjahre ein großes Fragezeichen. Bis jetzt ...

Ein Sichtschutzzaun schützt die Baustelle vor neugierigen Blicken – im Bild der Hauptzugang West in Marienthal. Doch der „braune Bretterzaun“ verbirgt auch ein ganz anderes Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte, denn das BKA mustert „Kriegsverbrecher im kriminologischen Sinne „ (BKA-Direktor Dieter Schenk) nach hierher systematisch aus.

Was dem bisher bekannten Wirken folgt, ist nicht weniger spektakulär. Saevecke ist für die Sicherheit in einem hochsensiblen Bereich der Bundesregierung tätig – das geht aus jüngst freigegebenen Unterlagen des Bundesarchivs und Zeitzeugenaussagen hervor. Von 1964 bis 1971 ist er im Auftrag des Bundeskriminalamtes zuständiger Sicherheitschef im Regierungsbunker, Deutschlands Staatsgeheimnis Nummer 1. Eine Ideallösung, um den umtriebigen Kriminalisten aus allen Schusslinien öffentlicher Kritik zu ziehen, denn den Bunker gibt es offiziell nicht – und damit auch keinen Theo Saevecke. Gut versteckt auf einer „schutzbedürftigen Baustelle“ des Bundes mit hohen Sicherheitsauflagen, die von Staats wegen durch niemanden hinterfragt werden dürfen, verschwindet Saevecke im Ahrtal hinter einem – nun – braunen Bretterzaun.

Rückblick

Theo Saevecke auf einem Bild aus der Vorkriegszeit, das dem DDR- Archiv (ADN; Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst) entstammt und in einem polnischen Aktenbestand der GESTAPO gefunden wurde.
Theo Saevecke auf einem Bild aus der Vorkriegszeit, das dem DDR- Archiv (ADN; Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst) entstammt und in einem polnischen Aktenbestand der GESTAPO gefunden wurde.

Theo Saevecke. Er habe „bei fast allen Einsätzen an vorderster Linie im Kampf gestanden“, wird sein Vorgesetzter noch kurz vor Kriegsende über den Polizisten sagen, dessen Biografie in den Jahren 1939 bis 1945 um diverse Kriegsverbrechen bereichert wird.

Doch mit der Gefangennahme im April 1945 wird die Vita Saevecke zur wahren Wundertüte. Zwar sitzt er im alliierten Internierungslager ein, wird von den Amerikanern an die Briten für Befragungen überstellt, dann zurück überstellt; doch eine Bestrafung oder Verurteilung für sein Handeln als Polizist im 3. Reich erfolgt nicht. Stattdessen beschließt der US-Geheimdienst CIA, die Talente, das Wissen und die Fähigkeiten Saeveckes zu nutzen. Der – immer noch überzeugte - Nazi ist ein Wunschkandidat der Geheimdienstler und wird als CIA-Mitarbeiter in ihren Reihen aufgenommen.

Das allerdings ist dem Bundesinnenministerium bei der Einstellung Saveckes im gerade gegründeten Bundeskriminalamt 1952 nicht bekannt – und wird es auch nie werden. Saevecke ist gegenüber den deutschen Behörden zugeknöpft, was seine transatlantische Partnerschaft angeht. Auf Nachfrage des Bundesinnenministeriums zu seiner Vergangenheit verschleiert Saevecke die Jahre 1948 bis 1952 und gibt gegenüber dem BKA an: „Bediensteter der Neu-Kölln-Mittenwalder Bahn“ bzw. „arbeitslos“ (1950-52; Quelle: Bundesarchiv Koblenz, BArch, Koblenz, B 106, 111 / 110).

Das Bundeskriminalamt selbst bietet Sicherheit mit Blick in Saeveckes NS-Lebenslauf: Die meisten der leitenden BKA-Beamten (1959 sind es 45 von 47) haben eine nationalsozialistische Vergangenheit, „ungefähr die Hälfte, darunter auch Saevecke, seien als NS-Verbrecher im kriminologischen Sinne zu betrachten“, stellt Dieter Schenk fest, der als ehemaliger leitender BKA-Beamter die braunen Wurzeln des Bundeskriminalamtes in seinem Buch „Auf dem rechten Auge blind“ untersuchte. Und Saevecke hat gewichtige Fürsprecher: Seine Einstellung findet Unterstützung durch Bundesinnenminister Gerhard Schröder und Staatssekretär Hans Ritter von Lex. In kürzester Zeit nimmt die Karriere Saeveckes im BKA Fahrt auf, denn nach seiner Anstellung im Januar 1952 ist er ein halbes Jahr später bereits Kriminalkommissar. 1953 wird er zum Kriminalrat befördert, 1956 zum Regierungskriminalrat  - und zum Leiter des Referats Hoch- und Landesverrat bestellt. Da stört es nicht einmal, dass die kurz zuvor nach der italienischen Forderung auf Verhaftung wegen Kriegsverbrechen eingeleitete Untersuchung des Bundesinnenministeriums eine zeitweise Suspendierung einschließt. Unverhofft tauchen im Bundesinnenministerium Unterlagen auf, die Saevecke entlasten. Herbeigeschafft wurden die durch seinen heimlichen Zweit-Arbeitgeber CIA und gelangen über Umwege ins BMI – ohne dass das deutsche Ministerium wissen kann, woher die Akten stammen. Ein Poker auf höchstem Niveau zwischen dem US-Geheimdienst und dem Bonner Innenministerium, und Saevecke mittendrin. Der Kriminalpolizist ist für die CIA längst eine wichtige Quelle im deutschen Regierungsapparat.

Saeveckes Abgang ist der „Spiegel“-Auftritt

Saeveckes Karriere ist blitzsauber und läuft störungsfrei – bis zum Oktober 1962. Er ist inzwischen stellvertretender Leiter der Sicherungsgruppe Bonn des Bundeskriminalamtes. Weil sein Vorgesetzter im Ausland ist, kommt ihm die Führungsrolle bei der polizeilichen Besetzung der „Spiegel“-Redaktion in Hamburg zu. Damit wird das beendet, was Wochen zuvor als „Spiegel“-Beitrag unter dem Titel „Bedingt abwehrbereit“ begann und die katastrophalen Ergebnisse der NATO-Übung „Fallex 62“ für eine alles andere als kriegstaugliche Bundeswehr beschreibt. Der Kopf der deutschen Regierung ist für diese Übung nach Mayen in die neugebaute General-Delius-Kaserne umgezogen. Verantwortlich hier ist das Bundesinnenministerium, namentlich Abteilungsleiter Walter Bargatzky und der ehemalige Wehrmachtsgeneral Theodor Busse – ein Tandem, dass auch für die Planung des Regierungsbunker im Ahrtal verantwortlich zeichnet.

Doch die „Spiegel“-Affäre hat Folgen für Theo Saevecke. Denn so wie Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß oder Staatssekretär Volkmar Hopf in die Schusslinie geraten, steht auch Saevecke im Kreuzfeuer der Kritik. Der Alptraum, sein Name geistere durch die Medien, wird wahr. Und das im Zusammenhang mit einer Affäre, die Bundeskanzler Adenauer als „Abgrund von Landesverrat“ zu einer staatstragenden Angelegenheit macht. Schnell greift der Journalismus Saeveckes NS-Vergangenheit auf – mit internationaler Ausstrahlungskraft, denn auch in Italien weiß man nun, was aus dem „Mörder von Mailand“ wurde. Erneut wird dort die Verhaftung und Verurteilung gefordert. Innerhalb des Bundeskriminalamtes wird Saevecke Anfang 1963 von Bonn nach Wiesbaden (Abteilung „Nachrichtensammlung“; 15.2.1963; Quelle Bundesarchiv Koblenz) versetzt.

Doch bereits drei Wochen später ist er wieder in Bonn ein großes Thema. Am 6. März 1963 dreht sich in einer Fragestunde des Deutschen Bundestages alles um den Kriminalisten und sein Treiben bis 1945. Zwar stellt sich Bundesinnenminister Hermann Höcherl in der Bundestagsdebatte vor Saevecke, an neuen Untersuchungen kommt er aber nicht vorbei.

Die DDR-Spionageelite im Regierungsbunker (West): Gotthold Schramm im Gespräch mit Gabriele Gast (ehem. Regierungsdirektorin im Bundesnachrichtendienst). Schramm war in der Hauptverwaltung Aufklärung der DDR-Stastssicherheit zuständig für Geheimdienstbearbeitung und Spionageabwehr – und kennt den „Fall S.“ aus dieser Zeit.

Der Druck auf Saevecke wird größer, als ihm zugetragen wird, dass geheimdienstliche Ermittlungen zu seiner NS-Vergangenheit angelaufen sind. Zunächst weiß er nicht, wer Initiator ist. Seine CIA-Verbindung soll bei der Beantwortung helfen. Der US-Dienst nennt die ostdeutsche Staatssicherheit, Hauptverwaltung Aufklärung. „Die Federführung lag bei der Abteilung X, „Aktive Maßnahmen““, erinnert sich Gotthold Schramm, in der Hauptverwaltung Aufklärung der DDR-Stastssicherheit zuständig für Geheimdienstbearbeitung und Spionageabwehr. „Wir stießen 1960 in Polen auf Dokumente über Saevecke. Soweit ich feststellen konnte, wurde das allerdings nicht vom Ministerium für Staatssicherheit direkt bearbeitet.“ Das heißt: „Es erfolgte keine direkte Personenbearbeitung und kein Einsatz operativer Mittel und Methoden. Auf die Anschleusung eines Agenten, den Einsatz von Technik, Ermittlungen bzw. Beobachtungen in der Bundesrepublik wurde verzichtet. In einem Dossier wurde vielmehr alles zur Person gesammelt.“ Wie die CIA von diesem internen Stasi-Vorgang, der ausschließlich in der Ostberliner Zentrale bearbeitet wurde, so schnell Wind bekommen konnte, bleibt eines der vielen Rätsel jener Jahre. Und auch die Untersuchungen der Stasi werfen die Frage auf, mit welchem Ziel sie eingeleitet wurden. Allein: Der erfahrene Kriminalpolizist Saevecke war nun – wissentlich - selbst Ziel zahlreicher Ermittlungen – im In- und Ausland, durch Freund und Feind.

Aus dem Verkehr gezogen. 1964 wechselt Theo Saevecke aus der BKA-Zentrale Wiesbaden ins beschauliche Marienthal. Seinen neuen Einsatz koordiniert der Sicherheitschef aus der Baracke der Bauleitung, in dessen zentralen Mittelteil das BKA seine Räume einrichtet.

Im Bundesinnenministerium enden die Untersuchungen zum „Fall Saevecke“ am 24. April 1963. Er wird dienstenthoben. Doch, so geben 2002 freigegebene CIA-Unterlagen her, kann er sich mit dem Bundeskriminalamt auf eine außergewöhnliche Regelung verständigen: Saevecke gibt den Kampf in der vordersten Linie auf und wird auf einen unauffälligen Posten abversetzt. Hier soll er die letzten Jahre bis zu seiner Pensionierung (1971) weitab öffentlicher Aufmerksamkeit verbringen.

Mit dieser Regelung wird die Personalakte Savecke im BKA geschlossen. Bisher war – auch Fachleuten – nicht bekannt, wie sich der Lebenslauf zwischen 1964 und 1971 gestaltete.

Doch auch dieser – letzte berufliche – Abschnitt ist filmreif. Denn Saevecke verschwindet hinter dem Bauzaun von Deutschlands Staatsgeheimnis Nummer 1, dem Regierungsbunker im Ahrtal. Hier ist er verantwortlich für die Sicherheitsüberprüfungen der Bauarbeiter und künftiger Bunkermitarbeiter, die Abschirmung dieser Baustelle gegenüber feindlicher Spionage, die Aufklärung von Straftaten, die als Sicherheitsrisiko des Staatsgeheimnisses eingestuft werden.

Einer, den Saevecke eidesstattlich zur Geheimhaltung und damit zur absoluten Verschwiegenheit über seinen Arbeitsplatz verpflichtet, ist Peter Bläser aus Kesseling (anschließend über 30 Jahre technischer Mitarbeiter im Regierungsbunker), der den „Sicherheitschef“ als „zurückhaltenden und eher unauffälligen Beamten“ beschreibt. Dass der mit einer filmreifen Biografie ausgestattet ist, wer es überhaupt ist – das weiß damals kaum jemand auf dem Bundes-Bauplatz.

Braunes Führungsduo im Bunker-Referat Sicherheit

Eines von drei unter über 3.000 Fotos der Baudokumentation, auf dem ein BKA-Sicherheitsbeamter zu sehen ist (rechts): Theo Saevecke galt als sehr fotoscheu, und auch der für die Sicherheit der Bilddokumentation zuständige Georg Mody ging der fotografischen Arbeit von Herbert Hennig aus dem Weg – nicht immer erfolgreich, wie das Bild belegt. Zu sehen ist das Zugangsbauwerk Ost/Ost bei Ahrweiler, heute Dokumentationsstätte.

Saevecke agiert aus einem Zimmer der doppelgeschossigen Baracke der Bauleitung, zentral gelegen zwischen der Bundesbaudirektion und der privaten „Deutsche Societät Beratender Ingenieure“ (beide Teile bilden die Bauleitung). Damit sitzt der Bundeskriminalist im Zentrum bundesdeutscher Bunkerbauerei. Immer an seiner Seite: Georg Mody – nicht minder durch die Jahre des Nationalsozialismus vorbelastet und ebenfalls aus dem Bundeskriminalamt (Wiesbaden) nach Marienthal „abberufen“. „Ursprünglich hatte sich Mody für den Kolonialdienst beworben und als besondere Fähigkeit angegeben, dass er als Straßenbahnfahrer ausgebildet sei“, fand BKA-Kenner Dieter Schenk heraus. Doch dann machte Mody, seit 1937 NSDAP-Mitglied, als Angehöriger der Geheimen Feldpolizei Karriere, zunächst in Norwegen, ab 1944 als Chef der Gruppe GFP 13 in Russland. „Es ist schwer vorstellbar, dass Mody nicht in die Verbrechen der Geheimen Feldpolizei involviert gewesen sein soll, nach allem, was bekannt ist. Trotzdem bewies die Staatsanwaltschaft in den sechziger Jahren keinen tatsächlichen Willen zur Aufklärung“, wägt Schenk die Kriegszeit und ihre juristischen Folgen in der jungen Bundesrepublik ab.

Aktuelle Aktenlage im Bundesarchiv gibt bisher unbekannte Einblicke

Tatsächlich geben die Akten des Bundesinnenministeriums im Bundesarchiv, Koblenz, eindeutig her, das man im Umgang mit vorbelasteten Mitarbeitern im Bundeskriminalamt „einen tatsächlichen Willen zur Aufklärung“ durch den Schutz vor öffentlicher Diskussion ersetzte - am effektivsten über Anonymität. Doch die wird mit Zeitungsartikeln erstmals 1959 aufgehoben. In der Folge geht dem Innenministerium ein internes Schreiben aus dem Bundeskanzleramt mit eindeutigem Inhalt zu: „Das Bundeskanzleramt sieht es als notwendig an, die Diffamierungskampagne hinsichtlich der Verwendung von eigentlichen SS-Führern in der Kripo entgegenzutreten.“ (BArch, Koblenz, B 106, 111 / 110). So steht weniger die Personalpolitik in der Kritik, als vielmehr ihre öffentliche Diskussion. Doch die hatte - ausgerechnet als Kollege von BKA-Chef Dickopf auf Landesebene - der für Polizeipersonalfragen in Nordrhein-Westfalen verantwortliche Ministerialrat Dr. Sporrer über die Medien angestoßen (BArch, Koblenz, B 106, 111 / 110). Das Bundesinnenministerium entwirft Gegenmaßnahmen und erstellt einen ganzen Katalog von guten Argumenten, darunter „kalt geschriebene“, also am Schreibtisch entworfene Interviews, die nie stattgefunden haben. In ihnen wird plausibel erklärt, warum man auf SS-, SD- und Gestapo-Vorbelastete im Bundeskriminalamt nicht verzichten konnte. Der Mangel an geeigneten Fachkräften wird bemüht und die späte Gründung des BKA. Die guten Leute seien alle längst in Lohn und Brot – so bei den zuvor gebildeten Landeskriminalämtern. Und außerdem handele es sich bei den vermeintlich schwer NS-Belasteten um sogenannte „Dienstgradangleichungen“ – also die kollektive Übernahme von Polizisten in die SS. Damit wird sichtbar heruntergespielt.

Doch hinter den Kulissen legt man im Bundeskriminalamt zu den „schwierigsten Fällen“ im Personalapparat neue Akten an. Die enthalten u.a. Lebensläufe, die allerdings markante Lücken aufweisen. Fünf Namen rücken in den Mittelpunkt: Konrad Zimmer, Gustav Hein, Heinrich Erlen, Otto Scharbatke – und Theo Saevecke.

Am 17. Januar 1964 legt Bundesinnenminister Hermann Höcherl fest: „Die Beamten, die der Gestapo angehört und dort Dienst getan haben, sollen an andere Dienststellen, bei denen ihnen keine Vollzugsaufgaben obliegen, verteilt werden.“ (BArch, B 106, 111 / 110). Einer wird gar ins Bundesarchiv versetzt.

Für Theo Saevecke geht es nach Marienthal. Dort wird an der Fertigstellung des Abschnitts Ost als erstem Teilbereich des gigantischen, über 17 Kilometer langen Bunkersystems gearbeitet. Georg Mody ist bereits da und u.a. für die Überwachung der Fotodokumentation (durch den stellvertretenden Bauleiter Herbert Hennig) zuständig. Geheime Feldpolizei und Gestapo a.D. bilden nun die Rumpfmannschaft bei der Wahrung der Sicherheitsinteressen um den Regierungsbunker.

Seite an Seite mit dem Bundeskanzler und seinen Ministern

Schwachstelle Mannlochdeckel in den Außenbauwerken der Zu- und Abluft. Dieser Teil ist zwar als Durchgang nur sehr eng und liegt am Ende der Bauzeit tief unter der Erde, doch Saevecke moniert als Sicherheitschef, dass die Deckel auch von außen zu öffnen seien. Eine Schwachstelle für den Bunker, die auf seine Initiative beseitigt wird.

An der Seite von Dienstellenleiter Ernst Walker leitet Theo Saevecke die Geschicke im Schattenreich der Bundesregierung. Er nimmt an allen relevanten Sitzungen der Dienststelle teil, die dem Bundesamt für zivilen Bevölkerungsschutz im Bundesinnenministerium angegliedert ist. Zu seinen Aufgaben zählen auch die Vorbereitungen, Durchführung und Auswertung (Sicherheit) der NATO-Übungen Fallex, die ab Oktober 1966 im Bunker stattfinden. Damit marschiert die einstige NS-Größe auf einem Flur mit Bundeskanzler Ludwig Erhard, Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel, Bundesinnenminister Paul Lücke oder dem stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden und späteren Bundeskanzler Helmut Schmidt. Berührungsängste gibt es hier, in der streng von der Außenwelt abgeschirmten Bonner Unterwelt, offensichtlich nicht. Dabei haben Saeveckes Erkenntnisse und Hinweise zu Mängeln und Verbesserungen der Sicherheit im Regierungsbunker durchaus Auswirkungen auf das künftige Erscheinungsbild der Anlage. Und auch auf den Ablauf der künftigen Stabsübungen Fallex und Wintex, an denen alle zwei Jahre Regierungsvertreter teilnehmen.

Gesicherte Mannlochdeckel, die sich nach Saeveckes Hinweis nur noch von innen öffnen lassen. Politisch sicher nicht im Sinne des ehemaligen und noch immer überzeugten Nazis, werden „seine“ Deckel rot angemalt.

Bis zu seinem Ausscheiden 1971 marschiert Saevecke zu drei Übungen mit im Bunker ein, die bei der NATO die höchste Geheimhaltung genießen. Sieben Jahre ist er Sicherheitsbeauftragter und erarbeitet sich durchaus den Respekt seiner Mitstreiter. So lobt ihn die Führung der für die Bunkersicherheit eingesetzten Feldjäger der Bundeswehr als „besonnen, klar und kooperativ“. Einer der letzten Vorgänge, die in Saeveckes Büro eingehen, widmet sich „dem verdeckten Kampf“ im Bunkerareal. Der „Stab für Studien und Übungen der Bundeswehr“ stellt, beauftragt durch das Bundesinnenministerium, eine „neue Sicherheitslage in der BRD“ fest. Der Feind im Osten rückt etwas in den Hintergrund, als Strategien gegen Demonstrationen und versuchte Sabotage am Bunker entworfen werden. Damit ist Oberregierungskriminalrat Saevecke zu Dienstende wieder dort, wo er 1944 im Kampf gegen Partisanen und Anschläge – weit hinter der Front – als SS-Hauptsturmführer schon einmal war. Eine Hundertschaft Polizei in Reserve wird ab sofort für die NATO-Übungen eingeplant, die Aufmärsche und Störungen unterbinden soll – einer der letzten Hinweise Saeveckes, der mit seiner Pensionierung ins Norddeutsche umzieht. Unauffällig und unbekannt taucht er in ländlicher Umgebung unter.

Fall Saevecke zu den Akten gelegt?

Baustelle Regierungsbunker (im Bild der Hauptzugang Bauwerk 101 im Winter 1963/64 mit dem Sicherheitshinweis). Im Schutze des Staatsgeheimnisses entwickelte gerade das Referat Sicherheit ein Eigenleben mit Ausstrahlungskraft auf die gesamte Dienststelle.
Baustelle Regierungsbunker (im Bild der Hauptzugang Bauwerk 101 im Winter 1963/64 mit dem Sicherheitshinweis). Im Schutze des Staatsgeheimnisses entwickelte gerade das Referat Sicherheit ein Eigenleben mit Ausstrahlungskraft auf die gesamte Dienststelle.

So verdeckt die „Operation Saevecke“ in den letzten sieben Berufsjahren im Regierungsbunker verlief, so schweigsam zeigte sich danach die Sicherheitsmannschaft der „Dienstelle Marienthal“ mit Blick auf ihren ersten Chef. „Er war ein zuverlässiger Kollege, ruhig, gründlich in der Sache – und völlig unbekannt“, wird einer antworten, der angesprochen auf die Person Saevecke nichts zu dessen Vergangenheit sagen kann. Den kriminalistischen Spürsinn setzte man ganz im Sinne der Dienstelle ein, und nicht zum Nachteil auf deren Vorgesetzte und ihre Vita. Das Referat galt über Jahrzehnte als die heimliche Macht im Bunker, denn auch Saeveckes Nachfolger konnten vermeintlich mehr, als nur auf das Staatsgeheimnis aufzupassen. Referatsleiter Hagen Ulrich von Herzberg schielte über seinen Posten hinaus und wollte die gesamte Dienststelle führen, half dabei sogar sachte nach – was einige Unruhe in den Alltag des Regierungsbunkers brachte. Der gleiche von Herzberg war es dann auch, der einem neugierigen Journalisten über den Bunkervorplatz die mahnenden Worte hinterher brüllte, er solle „die Interessen des Staates wahren“ und aufhören mit seiner Neugierde. Darüber muss Jacques Berndorf heute noch lächeln, denn ihm galt diese Warnung.  

Sicherheitsrisiko Berndorf im Bunker (im Interview mit dem Saarländischen Rundfunk). Der heute erfolgreiche Krimi-Autor Jacques Berndorf zog das Staatsgeheimnis Regierungsbunker als Journalist unter seinem bürgerlichen Namen Michael Preute ins Licht der Öffentlichkeit – sehr zum Unwillen des Referates Sicherheit der hausverwaltenden Dienststelle Marienthal.

„Bei meinen Recherchen zum Bunker Anfang der 80er Jahre“, erinnert sich Jacques Berndorf, der damals unter seinem bürgerlichen Namen Michael Preute als Journalist das Unterreich an der Ahr erstmals einer gründlichen öffentlichen Prüfung unterzog und sein Wissen in einen seitenlangen „Spiegel“-Artikel sowie zwei Bücher einfließen lässt, „war ich von der Kaltschnäuzigkeit der Bundesregierung überrascht und von ihr schockiert, die ihren Bunker auf dem Grund und Boden eines ehemaligen Konzentrationslagers baute. Das hat mich erschüttert, weil dieser Skandal in der damals jungen Geschichte der Bundesrepublik, im Handeln der Bundesregierung für ihren Bunker an diesem Ort, einfach keine Rolle spielte. Man hat es einfach verschwiegen. Details dieses Staatsgeheimnisses - wie die Mitarbeit eines NS-Mannes Saevecke – kannte damals niemand. Meine Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv hätte das ändern können, doch mehr als freundliche Gespräche mit zuständigen Mitarbeitern, eine Tasse Kaffee, kam dabei nicht raus. Keine stichhaltigen Informationen, geschweige Akteneinsicht.“ So kann der erfolgreiche Krimi-Autor aus der Eifel heute auch nur den Kopf schütteln, geht es um den Regierungsbunker und seine Protagonisten wie Saevecke, Mody oder auch beteiligte Baufirmen wie die federführende HUTA-Hegerfeld AG, deren Vergangenheit den Bau von Krematorien im Konzentrationslager Auschwitz einschloss. „Ein Mann, der Hunderte Juden in Konzentrationslager und damit in den Gas-Tod schickte, setzt im Namen der Bundesregierung Sicherheitsbelange an einem Ort durch, an dem keine zwei Jahrzehnte zuvor KZ-Häftlinge gequält wurden. Ohne Worte! Aber offensichtlich hat es die, die das wussten, nicht interessiert oder sie haben gehofft, es kommt nie raus.“

Tatsächlich werden alle Verfahren der deutschen Justiz gegen Saevecke eingestellt. Um so überraschender leitet die italienische Staatsanwaltschaft 1997 nach dem Fund eines belastenden Aktenbestandes erneut Untersuchungen gegen den inzwischen 88Jährigen ein. Im Sommer 1999 wird er wegen der Erschießungen in Mailand in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt, doch weder an italienische Behörden überstellt noch tritt er die Haftstrafe an. Theo Saevecke stirbt als freier Mann im Jahr 2000.

Die Mannschaft der Dokumentationsstätte Regierungsbunker hat keine einfache Aufgabe übernommen und erklärt heute ein Staatsgeheimnis mit seiner technischen Einrichtung genauso wie die politischen Zusammenhänge der 60er, 70er und 80er Jahre – zu denen auch immer wieder neue Kapitel wie das um Theo Saevecke zählen. Bei der Aufarbeitung kann die Dokumentationsstätte auf das Potential in den eigenen Reihen zurückgreifen und arbeitet national und sogar international mit Archiven und Zeitzeugen zusammen.

Bei der Planung der „Dokumentationsstätte Regierungsbunker, Bad Neuenahr-Ahrweiler“ legt die Bundesregierung Wert auf eine Aufarbeitung der NS-Jahre, die auch an das Außenlager des KZ Buchenwald in Marienthal und Dernau erinnern. In einer Publikation und auf einer Gedenktafel im Eingangsbereich des Museums wird dieser Teil deutscher Geschichte dokumentiert. Eine Aufarbeitung oder Erwähnung des braunen Kapitels im Regierungsbunker der Bundesrepublik Deutschland ist dagegen bisher ausgeblieben.

Ergänzung zum Beitrag am 9. Dezember 2009:

Selten hat sich ein Beitrag auf der Internetseite www.ausweichsitz.de so kritisch mit der Geschichte des Regierungsbunkers und der Rolle des Bundesinnenministeriums als Hausherr auseinander gesetzt, wie der vorliegende um Kriegsverbrecher Theo Saevecke. Und auch wenn das Thema nach fast einjähriger Bearbeitungszeit durch Historiker überprüft wurde, sogar juristisch mit der vorliegenden Aktenlage abgeglichen wurde – für das Echo auf einen solchen Beitrag sind diese „Formalien“ wenig ausschlaggebend, spielen für die persönliche Beurteilung des Lesers nur eine Nebenrolle.

Die Veröffentlichung um die Geschichte des Theo Saevecke hinter dem „Braunen Bretterzaun“ lief parallel: In der größten Tageszeitung von Rheinland-Pfalz, der „Rhein-Zeitung“ in einer gekürzten Fassung und ausführlich unter ausweichsitz.de – mit großem Erfolg, wie die Leserreaktionen anschließend zeigten. Insider meldeten sich genauso wie „normale“ Menschen. Verwunderung über die Karriere-Möglichkeiten eines NS-Verbrechers in der demokratischen Bonner Republik wurde geäußert, resignierende Äußerungen aber auch solche: „Die Geschichte vergisst nicht“. Für die Dokumentationsstätte Regierungsbunker eine weitere Motivation, sich mit dem Regierungsbunker und seiner Vergangenheit intensiv und gründlich auseinander zu setzen.

Ein besonderer Dank der Verfasser geht an die ehemaligen Mitarbeiter, an Insider, die mit ihren Erinnerungen an Theo Saevecke, aber auch mit Fotos, die als wahre Raritäten gelten dürfen, weitergeholfen haben.

Dabei wurde auch deutlich, dass Saevecke in seinem „neuen“ Marienthaler Umfeld als „loyal, pflichtbewusst und humorvoll“ galt – und das nach einer Laufbahn im Bundeskriminalamt, die Abstürze wie den nach der Spiegel-Affäre einschloss, Untersuchungen zu seiner Person in Ost wie in West und auch Debatten im Deutschen Bundestag wie jene am 6. März 1963, in der sich Minister Hermann Höcherl vor Saevecke stellte. An jenem Tag wurde Saevecke öffentlich im höchsten Haus des Staates als „Kriegsverbrecher“ tituliert. Offensichtlich hat es seinem Charakter nicht tiefgreifenden Schaden zugefügt, denn er galt im Regierungsbunker als „stets freundlich und immer lustig“. Nur einem Thema ging er aus dem Weg: Sich als „Nazi“ anreden zu lassen. Über seine Vergangenheit schwieg er. Wie auch über seine Jahre im BKA zwischen 1952 und 1964, seine Rolle als BKA-Organisator bei der Besetzung der Hamburger Spiegel-Redaktion. „Sprach das Thema doch mal jemand an, weil es Vermutungen und Gerüchte gab, lud er den Störenfried in sein Dienstzimmer ein und polterte nicht etwa los, sondern trat an die Reeling heran, wie er sein Fenster nannte, zog an einem Seil eine Flasche Korn aus der darunter liegenden Dachrinne nach oben ins Zimmer und füllte zwei Schnapsgläser. Irgendwann ist ja auch mal alles gut ... und Prost“. Theo Saevecke und sein Umgang mit seiner Geschichte, die er bis zu seinem Tod im Jahr 2000 allerdings so nicht wegprosten konnte. Der Nachwelt ein sauberes Bild hinterlassen, das war ihm ein Anliegen. In Erfüllung ist dieser Wunsch bislang nicht gegangen.

Die Autoren:

Jörg Diester (verantw.) Journalist; Mitarbeiter in den Dokumentationsstätten Regierungsbunker, Bad Neuenahr-Ahrweiler und Ausweichsitz Nordrhein-Westfalen, Autor „Geheimakte Regierungsbunker – Tagebuch eines Staatsgeheimnisses“

Jacques Berndorf / Michael Preute Schriftsteller (Eifel-Krimis), ehem. Journalist u.a. für „Der Spiegel“, „Stern“ und Buchautor „Vom Bunker der Bundesregierung“ (1984) sowie „Der Bunker – Eine Reise in Bonner Unterwelten“ (1989)

Dieter Schenk (zitiert): 1955-1989 Polizei-Laufbahn, ab 1980 Kriminaldirektor im Bundeskriminalamt, Autor u.a. „Auf dem rechten Auge blind – die braunen Wurzeln des BKA“

Gotthold Schramm Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit von 1952 bis 1990. Letzter Dienstgrad Oberst. Ab 1954 in der Hauptverwaltung Aufklärung, zuständig für Geheimdienstbearbeitung und Spionageabwehr

Michaela Karle M.A. Mitarbeiterin in der Dokumentationsstätte Regierungsbunker, Bad Neuenahr-Ahrweiler. Studium in Geschichte und Politik in Bonn