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Mittwoch, 26. Oktober 2011

Auf- und Abmarsch: Panzer am „Checkpoint Charlie“, Möbelwagen für die Bonner Regierung

Aufmarschgebiet „Checkpoint Charlie“ im Herzen von Berlin: Alles reine Nervensache, denn eine falsche Handlung, ein missverstandenes Signal, und der Kalte Krieg wird heiß.

Berlin, Oktober 1961: Am Checkpoint Charlie fahren Panzer auf – zuerst die der USA, dann auf der anderen Seite der Demarkationslinie die der Sowjetunion. Die Geschützrohre aufeinander ausgerichtet, spricht das Schauspiel stellvertretend für die politische Lage zwischen den Weltmächten. Zur gleichen Zeit fahndet das Bonner Presse- und Informationsamt händeringend nach Mitfahrgelegenheiten, um im Kriegsfall die Bundeshauptstadt verlassen zu können – und wird vom Bundesinnenministerium aufgefordert, sich an örtliche Spediteure zu wenden, da es der Bundesregierung an „geeigneten Fahrzeugen mangelt“. Angesichts des Säbelrasselns in Berlin haben die Bonner ihre Verteidigungsvorbereitungen völlig verschlafen – und wachen nun auf.

Was der Bundesregierung in jenen Tagen des Oktobers 1961 mehr als klar wird: Die Bonner sind nur Zuschauer am Spielfeldrand der Weltpolitik. Denn im Herzen Deutschlands bestimmen andere die Spielregeln. Was die Ereignisse am Checkpoint Charlie aber für alle – auch für Chruschtschow und Kennedy - so kompliziert macht: Es ist reine Nervensache der Akteure vor Ort.  Ein falscher Handgriff, eine unbedachte Aktion, ein missverstandenes Signal würde eine militärische Kettenreaktion auslösen – mit verheerenden Folgen für den Weltfrieden und auf diplomatischem Wege nur schwer zu stoppen.

Während in Berlin Panzer vorfahren, sucht man in der Bundeshauptstadt Bonn nach Mitfahrgelegenheiten für den Fall einer kriegsbedingten Evakuierung der Bundesregierung (Schreiben des BMI an das Bundespresse- und Informationsamt).

Fast schon naiv muten da die Transportprobleme des Bundespresse- und Informationsamtes an – immerhin direkt dem Bundeskanzleramt unterstellt: Unorientiert weiß man nicht, wie im Kriegsfall Mensch und Inventar aus der Hauptstadt zu evakuieren sei. Der Bundesgrenzschutz soll beim Aufladen helfen, worauf auch immer.

Das Bundesinnenministerium, für die Evakuierung der Bundesregierung im Notstandsfall verantwortlich, informiert: „Die von Ihnen gewünschten, im Notstandsfall zuzuführenden Fahrzeuge stehen nicht zur Verfügung. Es wird empfohlen, die Inanspruchnahme solcher Fahrzeuge bei den in Bonn reichlich vorhandenen Möbeltransportunternehmen vorzusehen. Die wenigen in Bonn stationierten Kräfte des Bundesgrenzschutzes werden im Notstandsfall mit anderen Alarmaufgaben voll beansprucht und können für Be- und Entladearbeiten nicht zur Verfügung gestellt werden. Es wird vorgeschlagen, dafür doch Kräfte aus Ihrem Haus heranzuziehen, wie das auch alle anderen Arbeitsstäbe aufstellenden Ministerien machen müssen“. (Quelle: Bundesarchiv Koblenz, B 106 / 201 172)

Eigentlich haben die Ministerialen des Innern um Abteilungsleiter Walter Bargatzky und General a.D. Theodor Busse als Leiter des Organisationsstabes aber ganz andere Sorgen: Der Regierung fehlt die kriegstaugliche Unterkunft. Denn der Bunkerbau, ursprünglich für das Zeitfenster von 1961 bis Jahresende 1963 geplant, hat noch nicht einmal begonnen. Gutachten wechseln zwischen Ämtern und Ministerien, die sich mit den geologischen Gegebenheiten und den Personalstärken um und in dem künftigen Regierungsbunker beschäftigen.

Im November 1961, wenige Tage nach dem Berliner Panzeraufmarsch, geht das Auswärtige Amt die Evakuierungspläne für diplomatische Vertretungen in Bonn durch. Über eine geheime Route durch die Eifel sollen die Diplomaten und ihre Familien nach Trier gebracht werden – bis auf die sowjetische Botschaft.

Die aktuelle Eskalation am Checkpoint Charlie kommt da reichlich ungelegen. So entwirft die Bonner Regierung für den Fall kriegerischer Auseinandersetzungen zweimal „Plan B“: Die dezentrale, ungeschützte Evakuierung aller Ministerien in die benachbarte Eifel und das Festsetzen der Angehörigen der sowjetischen Botschaft als einziger Vertretung einer „feindlichen Macht“ in der Bundeshauptstadt (Quelle: Bundesarchiv Koblenz, B 106 / 201 173).

Die Sowjets wären ein Pfand für die deutschen Vertreter in Moskau. Verhandlungen zum Austausch würden Zeitgewinn und Kommunikation bedeuten. Und solange geredet wird, wird nicht geschossen – ein Strohhalm im Strudel einer möglichen Krise.

Der Berlin-Krise folgt der Bunkerbau

Für das Ahrtal und den geplanten Regierungsbunker aber bedeuten jene Tage zum Jahresende 1961: Deutschlands größte Baumaßnahme wird mit Hochdruck vorangetrieben und bereits wenige Wochen später, am 19. Januar 1962, erobern Hundertschaften von Bauarbeitern den Kuxberg und buddeln sich ab sofort fast ein Jahrzehnt durch die Unterwelt des Schiefergebirges zwischen Ahrweiler, Marienthal und Dernau.

Verlassen und zugesperrt: Eigentlich sollte hier ab Januar 1961 der Regierungsbunker gebaut werden. Doch die Bundesregierung ist unentschlossen, was ihren Ausweichsitz für Krieg und Krise angeht und stellt die Baumaßnahme zurück … was sich nach der Berlin-Krise am Checkpoint Charlie aber gravierend verändert, denn wenige Wochen später beginnt der Bunkerbau.

Mehr Hintergrundinformationen zu Planung und Bau des Regierungsbunkers gibt das Buch „Geheimakte Regierungsbunker – Tagebuch eines Staatsgeheimnisses“ (ISBN 978-3-86950-003-4).

Über die politischen Zusammenhänge jener Jahre und deren Erscheinungsbilder im Kalten Krieg informiert in einem von vier Kapiteln das Buch „Deutschland einig Bunkerland“, das 2012 erscheinen wird – im 50. Jahr des Bunkerbaus im Ahrtal und der Kuba-Krise, die noch immer als gefährlichste Gratwanderung zwischen Frieden und Atomkrieg gilt.