Auf- und
Abmarsch: Panzer am „Checkpoint Charlie“, Möbelwagen für die Bonner Regierung
Aufmarschgebiet Checkpoint Charlie im Herzen von Berlin: Alles reine Nervensache, denn eine falsche Handlung, ein missverstandenes Signal, und der Kalte Krieg wird heiß.
Berlin,
Oktober 1961: Am Checkpoint Charlie fahren Panzer auf – zuerst die der USA,
dann auf der anderen Seite der Demarkationslinie die der Sowjetunion. Die
Geschützrohre aufeinander ausgerichtet, spricht das Schauspiel stellvertretend
für die politische Lage zwischen den Weltmächten. Zur gleichen Zeit fahndet das
Bonner Presse- und Informationsamt händeringend nach Mitfahrgelegenheiten, um
im Kriegsfall die Bundeshauptstadt verlassen zu können – und wird vom
Bundesinnenministerium aufgefordert, sich an örtliche Spediteure zu wenden, da
es der Bundesregierung an „geeigneten Fahrzeugen mangelt“. Angesichts des
Säbelrasselns in Berlin haben die Bonner ihre Verteidigungsvorbereitungen
völlig verschlafen – und wachen nun auf.
Was der
Bundesregierung in jenen Tagen des Oktobers 1961 mehr als klar wird: Die Bonner
sind nur Zuschauer am Spielfeldrand der Weltpolitik. Denn im Herzen
Deutschlands bestimmen andere die Spielregeln. Was die Ereignisse am Checkpoint
Charlie aber für alle – auch für Chruschtschow und Kennedy - so kompliziert
macht: Es ist reine Nervensache der Akteure vor Ort. Ein falscher Handgriff, eine unbedachte
Aktion, ein missverstandenes Signal würde eine militärische Kettenreaktion
auslösen – mit verheerenden Folgen für den Weltfrieden und auf diplomatischem
Wege nur schwer zu stoppen.
Während in Berlin Panzer vorfahren, sucht man in der Bundeshauptstadt Bonn nach Mitfahrgelegenheiten für den Fall einer kriegsbedingten Evakuierung der Bundesregierung (Schreiben des BMI an das Bundespresse- und Informationsamt).
Fast
schon naiv muten da die Transportprobleme des Bundespresse- und
Informationsamtes an – immerhin direkt dem Bundeskanzleramt unterstellt: Unorientiert
weiß man nicht, wie im Kriegsfall Mensch und Inventar aus der Hauptstadt zu
evakuieren sei. Der Bundesgrenzschutz soll beim Aufladen helfen, worauf auch
immer.
Das
Bundesinnenministerium, für die Evakuierung der Bundesregierung im
Notstandsfall verantwortlich, informiert: „Die von Ihnen gewünschten, im
Notstandsfall zuzuführenden Fahrzeuge stehen nicht zur Verfügung. Es wird
empfohlen, die Inanspruchnahme solcher Fahrzeuge bei den in Bonn reichlich
vorhandenen Möbeltransportunternehmen vorzusehen. Die wenigen in Bonn
stationierten Kräfte des Bundesgrenzschutzes werden im Notstandsfall mit
anderen Alarmaufgaben voll beansprucht und können für Be- und Entladearbeiten
nicht zur Verfügung gestellt werden. Es wird vorgeschlagen, dafür doch Kräfte
aus Ihrem Haus heranzuziehen, wie das auch alle anderen Arbeitsstäbe aufstellenden
Ministerien machen müssen“. (Quelle: Bundesarchiv Koblenz, B 106 / 201 172)
Eigentlich
haben die Ministerialen des Innern um Abteilungsleiter Walter Bargatzky und
General a.D. Theodor Busse als Leiter des Organisationsstabes aber ganz andere
Sorgen: Der Regierung fehlt die kriegstaugliche Unterkunft. Denn der Bunkerbau,
ursprünglich für das Zeitfenster von 1961 bis Jahresende 1963 geplant, hat noch
nicht einmal begonnen. Gutachten wechseln zwischen Ämtern und Ministerien, die
sich mit den geologischen Gegebenheiten und den Personalstärken um und in dem
künftigen Regierungsbunker beschäftigen.
Im November 1961, wenige Tage nach dem Berliner Panzeraufmarsch, geht das Auswärtige Amt die Evakuierungspläne für diplomatische Vertretungen in Bonn durch. Über eine geheime Route durch die Eifel sollen die Diplomaten und ihre Familien nach Trier gebracht werden bis auf die sowjetische Botschaft.
Die aktuelle Eskalation am Checkpoint
Charlie kommt da reichlich ungelegen. So entwirft die Bonner Regierung für den
Fall kriegerischer Auseinandersetzungen zweimal „Plan B“: Die dezentrale,
ungeschützte Evakuierung aller Ministerien in die benachbarte Eifel und das
Festsetzen der Angehörigen der sowjetischen Botschaft als einziger Vertretung
einer „feindlichen Macht“ in der Bundeshauptstadt (Quelle: Bundesarchiv
Koblenz, B 106 / 201 173).
Die Sowjets
wären ein Pfand für die deutschen Vertreter in Moskau. Verhandlungen zum
Austausch würden Zeitgewinn und Kommunikation bedeuten. Und solange geredet wird,
wird nicht geschossen – ein Strohhalm im Strudel einer möglichen Krise.
Der Berlin-Krise folgt der Bunkerbau
Für das Ahrtal und den geplanten Regierungsbunker aber bedeuten jene Tage zum
Jahresende 1961: Deutschlands größte Baumaßnahme wird mit Hochdruck
vorangetrieben und bereits wenige Wochen später, am 19. Januar 1962, erobern
Hundertschaften von Bauarbeitern den Kuxberg und buddeln sich ab sofort fast
ein Jahrzehnt durch die Unterwelt des Schiefergebirges zwischen Ahrweiler,
Marienthal und Dernau.
Verlassen und zugesperrt: Eigentlich sollte hier ab Januar 1961 der Regierungsbunker gebaut werden. Doch die Bundesregierung ist unentschlossen, was ihren Ausweichsitz für Krieg und Krise angeht und stellt die Baumaßnahme zurück
was sich nach der Berlin-Krise am Checkpoint Charlie aber gravierend verändert, denn wenige Wochen später beginnt der Bunkerbau.
Mehr Hintergrundinformationen
zu Planung und Bau des Regierungsbunkers gibt das Buch „Geheimakte
Regierungsbunker – Tagebuch eines Staatsgeheimnisses“ (ISBN 978-3-86950-003-4).
Über die
politischen Zusammenhänge jener Jahre und deren Erscheinungsbilder im Kalten
Krieg informiert in einem von vier Kapiteln das Buch „Deutschland einig
Bunkerland“, das 2012 erscheinen wird – im 50. Jahr des Bunkerbaus im Ahrtal und
der Kuba-Krise, die noch immer als gefährlichste Gratwanderung zwischen Frieden und
Atomkrieg gilt.
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