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Mittwoch, 18. Januar 2012

Vor 50 Jahren: Im Ahrtal entsteht ab 19.1.1962 das „Staatsgeheimnis Nummer 1“

Der Osteingang zum Bunker mit Baubeginn 1962: Genau hier liegt heute die Dokumentationsstätte Regierungsbunker und konnte bisher mehr als 300.000 Besucher begrüßen.

„Es gab keinen feierlichen Spatenstich. Festredner blieben der Baustelle im Ahrtal fern genau wie die Öffentlichkeit“, erinnert sich Bunkerbauer Lothar Hujet aus Heimersheim an jene dritte Januarwoche im Jahr 1962. Am 19. Januar – einem Freitag – beginnt die Bundesregierung mit dem Bau ihres Atomschutzbunkers im kleinen Ort Marienthal. Doch weder das Architekturbüro DSBI (Deutsche Societät Beratender Ingenieure, Essen) noch die Bundesbaudirektion – beide in der Bauleitung – erfahren etwas vom offiziellen Startschuss. Den gibt am Tag zuvor Bundeskanzler Konrad Adenauer höchstpersönlich während einer Ministerbesprechung im Bonner Kanzleramt. Das "Staatsgeheimnis Nummer 1" stellt selbst jene, die es umsetzen sollen, oft genug und von Anfang an vor Rätsel.

Aufregende Wochen und aufwendige Jahre sind diesem 19. Januar 1962 voraus gegangen. Die Planungen für den Ahr-Bunker in zwei ehemaligen Eisenbahntunnels reichen bis ins Jahr 1958 zurück. Im Frühjahr 1959 beginnt die DSBI mit Vermessungsarbeiten, ab November 1959 werden Nachkriegssprengungen im Kux- und Trotzenbergtunnel ausgebessert.

Bereits zu dieser Zeit wird die Baracke der Bauleitung errichtet und bezogen. „Doch dann passierte einfach nichts mehr“, erinnert sich Lothar Hujet, ab Januar 1960 bei der Bundesbaudirektion angestellt. Zwei Jahre lang werden Straßen befestigt, Bäume gefällt, die beiden Tunnel bewacht – nur kein Bunker gebaut.

Beim Superbunker hakt es

Beim Superbunker hakt es: Geld muss noch aufgetrieben, Grundstücke von zig Ahranwohnern angekauft werden. Das Land Rheinland-Pfalz kündigt an, bei einsetzendem Baustellenverkehr durch das Ahrtal den Bundesbauplatz behördlich dicht zu machen. Die Deutsche Bundesbahn schachert mit dem Finanzministerium beim Verkauf der ehemaligen Eisenbahntunnels, die das Innenministerium zum Atomschutzbunker ausbauen will. Der soll zunächst 750 Menschen aufnehmen und 40 Mio. DM kosten.

Bis Jahresende 1961 hat der Bund mit großem finanziellen und personellen Aufwand heimlich alles bereitet, dass man nun endlich bauen könnte ... und dann berichten in kurzer Schlagfolge zum Jahreswechsel 1961/62 gleich mehrere deutsche Zeitungen und Zeitschriften über „Adenauers Atombunker“. Die Geheimhaltung ist lädiert.

Bunker steht auf der Kippe

Das „Hamburger Abendblatt“ titelt am 12. Dezember 1961: „Riesiger atombombensicherer Stollen an der Ahr“. Der Pressedienst der oppositionellen SPD versorgt Redaktionen in der ganzen Republik. Was nicht öffentlich wird: In bunker-eingeweihten Regierungskreisen löst die Berichterstattung Entsetzen aus. Besprechungen werden durchgeführt, abgewogen, wie man mit den Medien und dem Bunker verfährt. Die Ministerien sprechen hinter verschlossenen Türen bereits von „Landesverrat“, der dann Anfang Januar 1962 nach einer Veröffentlichung in der Illustrierten „Quick“ auch von der Leine gelassen wird. In einer bis dahin beispiellosen Polizeiaktion werden die „Bunker-Seiten“ aus dem Heft 2/1962 herausgerissen. Die Bundesanwaltschaft ermittelt.

Zeitgleich soll Bundeskanzler Adenauer entscheiden, ob man den Bunkerplatz aufgibt und wo anders baut – dann noch geheimer und abseits bewohnter Gebiete. Am 18. Januar 1962 stellt Bundesinnenminister Gerhard Schröder bei einer Ministerbesprechung im Bonner Kanzleramt die alles entscheidende Frage: Weitermachen oder neu planen. Nach fast vierjähriger Vorbereitung steht der Bunker auf der Kippe. 

Die Antwort Adenauers macht sich am nächsten Tag im Ahrtal bemerkbar. Am 19. Januar 1962 wird mit dem abschließenden Segen des Kanzlers offiziell mit dem Bau des Regierungsbunkers begonnen. Unter den Eindrücken von Mauerbau (13. August 1961) und dem Schließen des Eisernen Vorhanges wird ab sofort unter Hochdruck ein Sicherheitsbedürfnis der Bundesregierung in Stahl und Beton umgesetzt. Es ist der Beginn des Jahres, in dem die Kuba-Krise (Oktober) zur extremen Belastungsprobe für den Weltfrieden wird.

Der Kalte Krieg ist markant und unter hoher Geheimhaltung im Ahrtal angekommen – und jeder weiß es. Bis 1971 werden rund 20.000 Arbeiter für fast 500 Mio. DM-Mark der Bonner Führungsmannschaft in einem 17 Kilometer langen Tunnellabyrinth atomar-biologisch-chemische Sicherheit für 30 Tage schaffen. 3.000 Mitarbeiter aus Ministerien und Ämtern sollen verrammelt unter den Ahrbergen und nach außen hermetisch abgeschlossen weiterarbeiten können.

Atomares Primärziel Ahrtal: Massiver „Enthauptungsschlag“ erwartet

Das bunkerzuständige Bundesinnenministerium geht für den Kriegsfall vom Angriff mit einer 5-Megatonnen-Bombe auf die unterirdische Regierungszentrale aus. Es ist der erwartete Enthauptungsschlag mit einer Kernwaffe, die 250mal stärker ist als das, was Hiroshima dem Erdboden gleich machte. Das Ministerium lässt durch renommierte Kernphysiker und Waffenexperten Gutachten erstellen, die beschreiben, was das für das Bunkerareal bedeutet: 300 Meter tief und 10 bis 12 Kilometer Durchmesser hätte der Detonationskrater. Ahrweiler, Marienthal oder Dernau würden – wie der Bunker selbst – komplett verschwinden und als radioaktiver Fallout über Westeuropa verteilt. Der Regierungsbunker an sich schützt vor einer Detonationskraft von 20 Kilotonnen. Dem elektromagnetischen Impuls einer Kernwaffe hat er gar nichts entgegen zu setzen und würde technisch kollabieren.

Doch das Bauwerk spielt seine eigene Rolle im Kalten Krieg. Die Erstellungskosten dürfen als Konjunkturpaket verstanden werden, das der Wirtschaft im Ahrtal und darüber hinaus einen kräftigen Aufschwung verschafft. Der Betrieb schafft 200 Arbeitsplätze im Bunker und reichlich Aufträge drumherum. Dem Ostblock wird Handlungsfähigkeit des Westens im Kriegsfall vermittelt – auch wenn die Staatssicherheit bereits 1967 die Mängel des Bunkers genauso gut kennt, wie die Bauleitung in Marienthal. Doch was der Osten weiß, ist in Bonn nicht bekannt – also funktioniert dieser Aspekt empfundener Abschreckung.

Mit den NATO-Übungen Fallex, Wintex und Cimex ab 1966 ziehen Regierungsvertreter alle zwei Jahre in den Atomkrieg – probehalber. Ein Riesen-Kriegscamp für Tausende Menschen, in dem eine Woche nach Drehbuch die „Spannungs- und Eskalationsphase“ mit anschließendem Kernwaffeneinsatz durchgespielt wird. Die tägliche Maximaldosis: 1.500 Einschläge auf bundesdeutschem Gebiet.

„Kein Ort für Glücksgefühle“

Kurioserweise entfacht das eine pädagogische Wirkung. Denn den Teilnehmern wird klar, dass die Unterwelt zwischen Dernau und Ahrweiler kaum eine politische Option bereit hält. Wer hier einzieht, kommt nicht zum Regieren, sondern verwaltet den Weltuntergang.

Bundestagspräsidentin Annemarie Renger (1919-2008), Bundesinnenminister Ernst Benda (1925-2009) oder BMI-Staatssekretär Wolfram Dorn (geboren 1924) – allesamt Übungsteilnehmer und bunkererfahren – beschreiben in persönlichen Gesprächen ihre Wahrnehmung dieses Ortes: „Er scheint düster – auch wenn das Licht an ist“ erinnert sich Annemarie Renger. Und Ernst Benda ergänzt: „Da geht man nicht hin, um irgendwelche Glücksgefühle zu entwickeln.“

Historische Aufarbeitung: Vom Bunker zum Museum

Der Kalte Krieg ist vorbei, das Ahrtal blieb verschont, der Bunker ist inzwischen wieder abgerissen. Doch die Erinnerung daran ist lebendig. Dank eines Museums in einem Teil der Anlage und über die Menschen, die etwas mit dem Bunker zu tun hatten.

Die Dokumentationsstätte ist - über ihre Rolle der historischen Aufarbeitung und Vermittlung hinaus - längst auch Treffpunkt für Übungs-Teilnehmer, Mitarbeiter der „Dienststelle Marienthal“ oder von Unternehmen, die im Bunker lieferten oder reparierten.

Selbst die Ost-Spionage schaut gern und regelmäßig vorbei.

Die Mannschaft der „Stunde Null“, jenes denkwürdigen Jahres 1962, als man mit dem Bau begann, hilft bei der Aufarbeitung mit Dokumenten und Erinnerungen. Bunkerbauer Lothar Hujet oder Architekt Dr. Hans Walter als Juniorchef der DSBI und seine Sekretärin Lore Berthel – für sie alle ist dieser Ort mehr als nur „Adenauers Atomschutzbunker“. Er ist auch Teil ihrer Biografie und hat sie vor technische und organisatorische Herausforderungen gestellt. „Das daraus inzwischen ein Museum geworden ist, finde ich ganz wunderbar“, fasst Hans Walter als Bunker-Architekt für die 1962er zusammen, „auch wenn wir vor 50 Jahren an alles mögliche geglaubt und noch mehr für diesen Ort gehofft haben: Damit hat keiner gerechnet!"