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Dienstschluss nach 36 Jahren PDF Drucken E-Mail
Donnerstag, 27. April 2006

Pensioniert: Letzter Mitarbeiter des Ausweichsitzes am 28.4.2006 verabschiedet

Freitag, 28. April 2006: Es ist das letzte Mal, dass sich Paul Groß als Mitarbeiter des technischen Personals des "Ausweichsitzes der Verfassungsorgane" auf den Weg zur Arbeit macht. Nach 36 Jahren ist Dienstschluss in Marienthal.

Damit hat der 65-Jährige das Kunststück geschafft, länger für den ehemaligen Regierungsbunker zu arbeiten, als es diesen offiziell gab.

1997 wird das Tunnelsystem zwischen Ahrweiler und Dernau in Pension geschickt. Ein Schicksal, dem nicht alle Mitarbeiter folgen können. Viele der einst 140 starken Wartungsmannschaft verlieren den eigentlich sicher geglaubten Arbeitsplatz im Regierungsbunker und müssen sich beruflich neu orientieren. 20 Mann bleiben und werden u.a. für den Abtransport von Mobiliar aus dem 17 Kilometer langen Stollensystem eingesetzt.

Es geht auf die Zielgerade eines Marathons, der mit der Bauplanung im Frühjahr 1959 beginnt. Zu dieser Zeit absolviert Paul Groß, gebürtiger Heimesheimer der seit Jahren in Ahrweiler lebt, seine Ausbildung zum Schmied und Schlosser in Sinzig. Als Geselle arbeitet er anschließend in einem großen Heimesheimer Metallbauunternehmen bevor er schließlich 1970 - und damit ein Jahr nach bestandener Meisterprüfung, die er bei der HwK Koblenz ablegte - mit 29 Jahren beim "Bundesamt für Zivilschutz" anheuert.

Arbeitsplatz ab Mittwoch, den 1. Juli 1970 ist der Ausweichsitz. "Ich wurde für die Wartung der Verschlüsse eingesetzt, kümmerte mich also um alle Deckel, Jalousien und Türen." Während Paul Groß an diesem Tag im Relikt des Kalten Krieges verschwindet, veröffentlichen die Zeitschrift "Quick" wie auch die "Bild-Zeitung" die geheimen "Bahr-Papiere" und damit die von Egon Bahr in Moskau ausgehandelten zehn Leitsätze für den deutsch-sowjetischen Gewaltverzichtsvertrag. Der Ost-West-Konflikt ist Alltag, genau wie auch der Umgang damit. Das unterscheidet die Arbeit von Paul Groß ab diesem Tag nicht von der großen Weltpolitik.

Probleme, so erinnert er sich an die erste Zeit am eher ungewöhnlichen Arbeitsplatz, machte die Tag-Nachtumstellung sowie die Geheimhaltung. "Man konnte mit niemandem über seine Arbeit sprechen. Das gehört in einer Familie normalerweise zu alltäglichen Gesprächen. Bei uns nicht. Daran muss man sich erst einmal gewöhnen wie auch an die Tatsache, dass man an einem freundlichen Sommermorgen unter der Erde verschwindet und das Tageslicht durch Neonröhren ersetzt wird."

Nach über einem Jahr wechselt Paul Groß als Leiter der Zentralwerkstatt den Arbeitsplatz im Bunker. Ab 1972 ist sein Einsatzbereich das Bauwerk 294 im Zugangsbereich Ost/West. "Wir waren insgesamt 6, 7 Mitarbeiter in zwei Werkstätten und technisch gut ausgerüstet. Es gab Schweißarbeitsplätze, Kantbänke, eine Schmiede, Drehbänke oder schwere Schneidmaschinen. Es fielen Reparaturarbeiten an, wie in anderen Unternehmen auch. Und selbst kleinere Umbauarbeiten oder Neuinstallationen wurden durch uns durchgeführt." Zu den Aufgaben des Leiters zählt auch die Personaleinteilung sowie die Kontrolle der durchgeführten Arbeiten. Ein Job mit Verantwortung - besonders und gerade hier.

1980 kehrt Groß zu den Verschlüssen zurück. Als Leiter ist er für 21 Mitarbeiter zuständig und für deren Arbeit verantwortlich. Ein sensibler Punkt im Gesamtaufbau der Anlage. "Der Alltag startete jeden Morgen mit einer Einsatzbesprechung. Anschließend wurden die täglichen Überprüfungen an allen Verschlüssen der Außenbauwerke vorgenommen". In diesen Bereich fallen auch die 1.200 Druckbehälter zum Fahren der Bauwerke.

Der Alltag im Regierungsbunker geht mit der Kabinettsentscheidung der Bundesregierung im Dezember 1997 schlagartig zu Ende. Die Entscheidung, den größten europäischen Atombunker aufzugeben, ist gefallen. Das, was eine hochspezialisierte Mannschaft aus Technikern, Handwerkern und Wartungspersonal über 30 Jahre Tag und Nacht 100-prozentig einsatzbereit hielt, wurde nicht länger gebraucht.

Von 140 Mitarbeitern bleiben ganze 20 und werden für die Räumung der Anlage eingesetzt. Es sind u.a. 1500 Aktenschränke, 9000 Stühle oder 3500 Betten, die sie in ein eigens vom THW aufgestelltes Großzelt auf dem "Hubschrauberlandeplatz" schaffen. Von dort geht das Mobilar an bundesweite Einrichtungen - vom THW bis zur Bundeswehr.

Mit Beginn der Rückbauarbeiten im Sommer 2001 wird die Mitarbeiterzahl nochmals minimiert. Ab August 2005 - das Stollensystem ist inzwischen bis auf den Museumsteil vollständig besenrein geräumt - ist Paul Groß der letzte "Marienthaler" aus alter Zeit.

Er ist wertvoller Ansprechpartner für die beauftragten Bauunternehmen, aber auch für Besucher, die eigentlich so gar nicht in das Erscheinungsbild des ursprünglichen Bunkers passen. Journalisten von Print- und TV-Medien nutzen die "Informationsquelle Groß". Eine Rolle, die ihm nicht immer ganz leicht fiel. "Jahrzehntelang galt die Geheimhaltung. Das gewöhnt man sich nicht von heute auf morgen ab." Eine Episode bleibt hängen: "Ich gab ein Interview beim WDR. Macht der Gewohnheit: Bei jeder Frage überlegte ich, was ich eigentlich antworten darf. So richtig glücklich konnte der Redakteur mit mir sicher nicht sein."

Angesprochen auf die Augenblicke, die in 36 Jahren Arbeit im und für den Regierungsbunker besonders präsent sind, nennt Groß die Übungen. "Dann kam Leben in die Anlage und anschließend die Schreiben aus den Ministerien. Man bedankte sich für unsere Arbeit. Darauf waren wir stolz." Doch Groß erinnert sich auch an einen Brief, aus dem hervorging, dass eine Sekretärin die Heimstatt für den 3. Weltkrieg nicht eben übungshalber schwanger verlassen hatte. "Irgendjemand hatte darauf vermerkt: Das ist völlig unmöglich, denn in unserer Anlage wurde noch nie etwas gemacht, was Hand und Fuß hat ...".

Seiner Pensionierung sieht der 65-Jährige, der vor wenigen Tagen seinen Geburtstag feiern konnte, mit einem lachenden wie auch weinenden Auge entgegen. "Ich bin immer mit Freude und Spaß zur Arbeit gegangen. Insofern wird mir etwas fehlen. Doch natürlich freue ich mich ebenso auf den neuen Lebensabschnitt."

So ganz ohne ihn werden die 17 Kilometer langen Gänge unter dem Trotzenberg wie auch Kuxberg jedoch nicht auskommen müssen. Im Museumsbereich führt er Besucher durch einen Teil der Welt, die ihm so vertraut ist.