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Der „Spiegel“ wird 60 PDF Drucken E-Mail
Mittwoch, 03. Januar 2007

Ein Magazin und „seine“ Affären im Schatten von Fallex & Co.

Foto: Titelseite der 'Spiegel'-Ausgabe 41/1962 mit dem 'verhängnisvollen' Beitrag 'Bedingt abwehrbereit', in dem die Bundeswehr im Falle eines Krieges als 'unfähig und unkoordiniert' dargestellt wird. Drei Wochen nach dem Erscheinen beginnt die 'Spiegel'-Affäre mit der Besetzung des Hamburger Verlagshauses durch 'Ordnungshüter'. Es dauert nicht lange, dann werden die politisch Verantwortlichen in Bonn ausgemacht: Verteidigungsminister Strauß steht im Mittelpunkt, doch auch Kanzler Adenauer war von Anfang an über die Aktion unterrichtet.

„Ich glaube, wir müssen jetzt aktiv den Kampf aufnehmen, sonst wird bald Herr Augstein ... bestimmen ..., wer was wird“. Die Kriegserklärung von Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Strauß an Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein vom 22. Oktober 1962. 

Keine Worte für die Öffentlichkeit, auch nicht an Augstein, sondern Inhalt eines parteiinternen Schreibens. Weit öffentlichkeitswirksamer gestalten sich dann die Ereignisse des folgenden Freitagabend: In Hamburg wird das Verlagshaus durch Vollzugsbeamte und Schutzpolizisten besetzt. Fotos und Unterlagen werden beschlagnahmt, Journalisten werden verhaftet, unter ihnen die Chefredakteure Claus Jacobi und Johannes K. Engel. Dem Nachrichtenmagazin, gegründet am 4. Januar 1947, droht das Aus.

4. Januar 2007. "Der Spiegel" feiert seinen 60. Geburtstag. Er ging nicht unter, wie es einflussreiche Politiker vor 45 Jahren hofften und sich teilweise dafür arg ins Zeug schmissen. Überrascht mussten sie feststellen, dass der Schuss nach hinten losging. Es folgte eine Regierungskrise, und die mitten im Kalten Krieg, der just in jenen Tagen mit der Lieferung von Atomwaffen durch sowjetische Frachter nach Kuba und die Seeblockade amerikanischer Marine auf seinen Höhepunkt zusteuerte. Ein Höhepunkt verbunden mit der Prophezeiung durch Präsident Kennedy: Die Welt stehe „at the abyss of destruction“ - am Rande eines Abgrunds der Zerstörung. 

Doch Deutschland ist nur „Bedingt abwehrbereit“ – in diesem Fall politisch. Denn während anderswo das Ende der Welt publizistisch im Mittelpunkt steht, verdrängt in der deutschen Nachrichtenlandschaft die Spiegel-Affäre Atomwaffen und das Duell der beiden Weltmächte von den Titelseiten. In einer seit Kriegsende nicht da gewesenen Einigkeit informieren landesweit Zeitungen, Zeitschriften und Magazine über den ebenfalls seit Kriegsende nicht da gewesenen Eingriff des Staates in die verfassungsmäßig sichergestellte Pressefreiheit.

Nun hatte der Spiegel, in Person Conrad Ahlers als Redakteur, aber auch etwas getan, was die Sicherheitslage hierzulande fraglos in ihren Grundfesten erschütterte. Aus dem fragmentierten Bild der bundesdeutschen Verteidigungsbereitschaft schuf der Journalist mit viel Liebe zum Detail und Aufwand ein homogenes Ganzes. In Ausgabe 41 erscheint dieser Überblick auf 17 Seiten. Verleger Rudolf Augstein soll anschließend gesagt haben: „Das wird ja wohl niemand gelesen haben.“ Eine Vermutung, die der Verleger nicht nur deshalb äußert, weil die Veröffentlichung über die Ergebnisse der Nato-Übung Fallex ´62 im Grunde nichts nennenswert Neues enthält. Doch Augstein irrt, wie sich drei Wochen später herausstellt. Gleich in 41 Fällen findet die deutsche Justiz Fälle von „Landesverrat“ und glaubt, dass man an solcherlei brisante Informationen nur kommt, wenn man die Auskunftsfreudigkeit entsprechender Quellen mit entsprechendem finanziellem Mitteln unterstützt. In der Addition der Vorwürfe folgt dem Staatsverrat auch noch die Bestechung.

Wer die Hintermänner der Aktion gegen den Spiegel sind, bleibt vorerst im Unklaren. Augstein sitzt wie seine Chefredakteure in Haft, und auch Redakteur Ahlers – auf Urlaub in Spanien – wechselt das Feriendomizil mit einer Gefängniszelle. Doch gerade dieser Akt wirft sehr schnell Fragen auf, denn eine rechtmäßige Grundlage für Ahlers Festsetzung – das wird lange vor einem Verfahren gegen das Magazin klar – gibt es nicht, weder in Spanien noch in Deutschland.

„Ein Abgrund von Landesverrat“

Der Nebel lichtet sich und lässt einige Bonner in völlig neuem Licht dastehen. Da ist Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß, der von sämtlichen Vorkommnissen entweder gar nicht oder zu einem Zeitpunkt in Kenntnis gesetzt wurde, als andere längst entschieden hatten. Da ist Bundeskanzler Konrad Adenauer, der sich mit Blick auf das Hamburger Verlagsgebäude immer noch einem „Abgrund von Landesverrat“ ausgesetzt sieht. Da ist Volkmar Hopf, Staatssekretär unter Strauß ...

Eine Dreiecksbeziehung mit Geschichte. Es ist nicht das erste Mal, das die Agierenden ein wachsames Auge auf die deutsche Presselandschaft und deren laxen Umgang mit sicherheitsrelevanten, für die Existenz der Bundesrepublik durchaus entscheidenden Informationen, werfen. Ein Potential, das Monate zuvor die „Quick“ erleben durfte. Die Leserschaft dieses Magazins dürfte zwar nicht deckungsgleich mit der des „Spiegel“ sein, doch in den Augen der verantwortungsbewusst handelnden Bonner Politik scheint die Illustrierte nicht weniger gefährlich.

Geschickt versteckt die Ausgabe 2 des Jahrgangs 1962 unter dem „großen Bericht: Hurra, wir bauen ein Haus! Die Traumküche“ fast schon konspirativ die „kleine“ Geschichte „Hier baut Bonn seinen Befehlsbunker“. Zwar haben beide Themen nichts miteinander zu tun, werden aber auch physisch durch die deutsche Staatsgewalt getrennt: Obwohl bereits ausgeliefert, haben Ordnungsorgane die Aufgabe, die entsprechende Doppelseite aus dem Heft zu entfernen. So geht es von Zeitungskiosk zu Zeitungskiosk, über ver“Quick“te Fughäfen, durch Züge und wird das Bild einer trostlosen Tunnelöffnung bei Dernau im Ahrtal wie auch die wohl kaum packendere Liste der Mitglieder des Verteidigungsrates mit Adenauer an der Spitze entfernt. Es ist nicht die erste Presseveröffentlichung über den geplanten Regierungsbunker (u.a. Juli 1958 im „Spiegel“: „Ausweichquartiere: Im Bundeskabinett werden Pläne zum Bau atomsicherer Unterkünfte für Stäbe der Regierung erörtert (...)“, soll aber (vorerst) die letzte sein.

In der anschließenden Ministerbesprechung beim Bundeskanzler wird bereits wenige Tage später die Frage aufgeworfen, ob „das Gefährdungsmoment“ durch die Quick-Veröffentlichung „gewachsen“ ist und welche Auswirkungen das auf die weitere Planung um den „endgültigen Befehlsstand der Bundesregierung“ hat. In dieser wie auch vorangegangenen Unterredungen zum Thema „Bunker“ macht ein Staatssekretär von sich Reden, der auch Monate später im Zusammenhang mit der Spiegel-Affäre an vorderster Front im Einsatz ist: Volkmar Hopf.

Das „Nachrichten-Magazin“ mischt im Oktober 62 nicht zum ersten Mal das Thema „Verteidigungspolitik“ auf. Minister Strauß hat dank seines Auftretens und seines Charakters einen festen Platz im „Spiegel“ und sich als lohnenswertes Ziel der Hamburger Magazinmacher einen Namen gemacht. Seit Oktober 1956 im Amt, fallen in seine Zeit u.a. Berichte über eine kritische Haltung von US-Präsident Kennedy und seinen Verteidigungsminister McNamara in Hinblick auf eine von Strauß geforderte Aufrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen.

Langfristige Observierung der Verteidigungspolitik

Doch das Tête-à-Tête der Magaziner mit dem Verteidigungsressort findet auch schon vorher zu  relevanten Themen statt, so im April 1958 unter der Überschrift „Die Nation marschiert“, in dem Räumungspläne der Bevölkerung im Kriegsfall veröffentlicht werden. Aus diesen gehen indirekt die Gebiete hervor, die im Falle einer real existierenden Auseinandersetzung zwischen Ost und West durch die Bundesregierung „aufgegeben“ würden – auf eigenem Territorium. Ein Thema der Fallex-Übungen künftiger Jahrgänge – sogar noch 1966 und damit im Rahmen der ersten Kommandostabsübung im Regierungsbunker.

Ergebnis der Fallex-Übung 1962 ist die leidvolle Erkenntnis, dass die Bundesrepublik mit ihrer Armee nur „Bedingt abwehrbereit“ ist – so denn auch der Titel im „Spiegel“ der entsprechenden Ausgabe. Gleich in den ersten Tagen des Krieges hätte die Zivilbevölkerung Verluste in zweistelliger Millionenhöhe hinzunehmen, während die Bundeswehr völlig unkoordiniert vorgegangen und deshalb unfähig gewesen wäre, den Vormarsch der Truppen des Warschauer Pakts aufzuhalten, geschweige die sowjetische Invasion zurückzuwerfen.

War diese Erkenntnis schon erschreckend, kam ihre Publikation einer Katastrophe gleich. Die entscheidenden Stellen in der Regierung wie auch der Justiz – ausgenommen Justizminister Stammberger, der nicht über die „eingeleiteten Maßnahmen“ informiert wurde – nahmen ihre Aufgabe ernst und schritten ein. Zwar erst nach der Veröffentlichung, dafür aber mit aller gebotenen Härte.

Was blieb? Der „Spiegel“ in jedem Fall. Hatte die „Quick“ schon nach der Flurbereinigung ihres Heftes noch wochenlang empörte Leserbriefe abdrucken können, war der „Spiegel“-Aufschrei quer durchs Land unüberhörbar. Was nicht blieb, war Franz-Josef Strauß als Verteidigungsminister. Auch beim  Kanzler – Jahre später wurde nachgewiesen, dass er vom ersten Tag an über das Vorgehen gegen den „Spiegel“ informiert war – hatten die Vorgänge Spuren hinterlassen. Persönlich erlitt er den ersten von drei Herzinfarkten. Politisch konnte sich Adenauer zwar als Kanzler halten, war jedoch angeschlagen und musste Zugeständnisse hinnehmen. Ein Jahr später endete seine Kanzlerschaft. Volkmar Hopf wurde zwar beurlaubt, blieb aber – nicht zuletzt dank Adenauers Rückhalt - bis 1964 Staatssekretär. Er wechselte anschließend als Präsident zum Bundesrechnungshof.

Was auch blieb, war die Berichterstattung im „Spiegel“ über Fallex & Co., die ab 1966 eng mit dem Regierungsbunker im Ahrtal verbunden war. So widmete sich das Magazin, längst Sinnbild des investigativen Journalismus in Deutschland, u.a. 1967 in einem mehrseitigen Bericht („Fallex 66: Tischtuch für Generäle“) der Übung, ihren Inhalten und den Folgen für die künftige deutsche Innenpolitik, eingeschlossen die leidliche Diskussion um die Notstandsgesetzgebung. Diese hatte im Bunker ihre Feuertaufe erlebt – lange bevor sich die Parlamentarier zu ihrer verfassungsgemäßen Verabschiedung durchringen konnten. Als Synonym für das „finstere Bauwerk, das finstere Entscheidungen hervorbringt“ wurden die Hauptzugänge in Marienthal wie auch Ahrweiler auf den ersten beiden Seiten abgedruckt. Heikle Motive, die der Geheimhaltung unterstanden. Immerhin wurde bei der Bildauswahl auf die Veröffentlichung der Bauerei vor und im Westtunnel verzichtet. Auch bei der Namensgebung fackelte der „Spiegel“ nicht lange: „Ahr-Bunker“ oder „Bunker“ – mehr Kreativität war mit Blick auf den Probanten und seine Aufgabe nicht gefragt.

„Der Bunker“

Der ein oder andere Journalist – auch des „Spiegel“ - mag sich an das Dasein der ungewöhnlichen Trotzburg gewöhnt haben, so wie der Bunker für das Ahrtal und seine Bewohner längst zum unspektakulären Alltag gehörte. Es sollte bis zur Ausgabe 16 im Jahr 1984 dauern, da widmete sich das Blatt in aller Ausführlichkeit der Immobilie unter den Weinbergen – ihr und dem gesamten Drumherum. Autor ist Michael Preute, der bereits in einem der ersten Sätze auf den Punkt bringt, was sich bis zum heutigen Tag als weitläufige Meinung um „eines der bestgehütetesten Geheimnisse der Republik“ wacker hält: „Ich dachte, darüber gibt es nichts zu schreiben, weil schon alles geschrieben ist. Ein Bunker ist eben ein Bunker.“ Das Thema kam ihm ausgelutscht vor. Die meisten Zeitungen hatten schon darüber berichtet, im Fernsehen konnte man Bilder von schwarzen Staatslimousinen sehen, die sich durch das mächtige Betonportal zwängten – so die Einleitung des „Spiegel“-Artikels.Doch nach einigen Wochen ist Preute – trotz der Informationsblockade seitens der „Verantwortlichen“  - schlauer, nach knapp vier Monaten soweit, dass er dem Thema über den „Spiegel-Beitrag“ hinaus ein eigenes Buch widmet („Vom Bunker der Bundesregierung“), später sogar ein weiteres („Der Bunker“). Zwei wahre Krimis, „die eigentlich alles boten, was man sich für dieses Genre wünschte“, so Preute heute. Dabei weiß er durchaus, was zu einem guten Krimi gehört – als Jacques Berndorf ist er mit seinen Eifel-Krimis Deutschlands erfolgreichster Autor dieses Fachs.

Die „Spiegel“-Passage von 1984 „Es gibt darüber (den Bunker) kaum allgemein zugängliche Informationen“ hat Preute mit seinem Beitrag grundsätzlich aufgehoben. Doch was ist „allgemein zugänglich“? Auch mehr als 20 Jahre später und damit im Jahr 2007 kauen „Verantwortliche“ an der Antwort. Noch immer sind die meisten, wirklich relevanten, Fakten zur Entstehungsgeschichte dieses „kafkaesken Bunkersystems“ (Preute in Spiegel 16/1984) nicht öffentlich, viele werden es mit Blick auf die nächsten Jahre bleiben. Eigentlich idealer Stoff für den „Spiegel“ ...