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Montag, 24. September 2007

Bundesweit gehen Regierungen auf Tauchstation

Abnehmen und sprechen: Direkter Draht vom Landesbunker Nordrhein-Westfalen Richtung Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Bundes-Ausweichsitz.
Abnehmen und sprechen: Direkter Draht vom Landesbunker Nordrhein-Westfalen Richtung Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Bundes-Ausweichsitz.

Die Mischung aus Mystik und Historienepos kommt an: Umberto Eco schreibt die Story, Buch und Film werden zum Megaerfolg. „Der Name der Rose“ füllt Kinosäle, wird zum Welterfolg. Doch überlässt das Buch der Phantasie seines Lesers, wie es in jenem mittelalterlichen Kloster aussieht, liefert der Film präzise Bilder - auch wenn es die beeindruckende Kulisse so gar nicht gibt. Es ist eine Mischung aus Studioaufnahmen und Dreh an realen Plätzen. Einer, der überwiegend bemüht wird, liegt weit nördlich der Alpen.

Die Hochburg der Inquisition ist an den Rhein umgezogen und tobt wenige Kilometer von Wiesbaden und Mainz entfernt. Gut versteckt in einem Seitental des Rheins ist Kloster Eberbach ein optischer und historischer Superstar.

Schöner Einblick und interessanter Ausblick: Der Schlafsaal der Mönche ist Drehort im Film „Name der Rose“. Beim Blick aus den Fenstern auf den Innenhof des Klosterkomplexes Eberbach im Rheingau ...

Irgendwie passt es schon fast wieder ins Gesamtbild, dass die Kulisse über viele Jahre mehr als „nur“ Kloster oder Drehort war. Der hessischen Landesregierung diente Eberbach als Zuflucht im Ernstfall. Das weltberühmte Kloster war nationaler Pfeiler im landesweiten Netz der Ausweichsitze.

Unspektakulär, technisch auf das Nötigste beschränkt. Hinter dicken Mauern gab es einige abgetrennte Räume, die für die Klosterverwaltung des unter Landesdirektive stehenden Komplexes nicht zugänglich waren. Mit Kartentischen vollgestellt, einer größeren Funkanlage ausgerüstet, Notstromversorgung und explosionssicherer Beleuchtung galt hier nicht die strenge Hausordnung der Mönche oder der huldvolle Umgang mit fast 900 Jahren Zisterzienserhistorie. Ein skurrile Mischung aus Einkehr, Besinnlichkeit – und Endgültigkeit, alles unter einem Dach.

Bonner Funkspruch

1959, 1960. Die Länder stehen in der Pflicht: Regiert wird nicht nur an Sonnentagen. Für den Fall einer internationalen Auseinandersetzung werden die Bundesländer vergattert, einen sicheren Ort für die Amtsgeschäfte unter Kriegsbedingungen vorzuhalten. Das ist kein Schaulaufen, sondern bittere Pflicht. (Hintergrundbericht unter „Exklusiv“ am 9. Oktober 2007 zum 50. Jahrestag des Kabinettsbeschlusses eines Gesetzes zum Schutz der Zivilbevölkerung).

sind die „Überreste“ des ehemaligen hessischen Ausweichsitzes zu sehen. Der war größtenteils im Kloster-Dormitorium (Mittelbau; Bildmitte) untergebracht.

Allein aus finanziellen Aspekten eine unangenehme Aufgabenstellung. So ein Bunker kostet bereits damals mindestens 10 Millionen Mark (nach heutigen Maßstäben ca. 40 Mio. Euro), je nach Ausstattung gestaltet sich die Preisskala nach oben offen. Der Bund schrieb vor, Geld gab es allerdings nicht. Und so begann das große Topfschlagen auf der Suche nach einem geeigneten Ort, der idealer weise Kostenverträglichkeit, bauliche Mindestansprüche wie auch Geheimhaltung miteinander verband. Durch die Landesregierungen angewandt und erfolgreich im Einsatz: Suchen, suchen, suchen, und nicht finden.

Favorit vieler Landesregierungen waren Objekte, die im Katalog der Denkmalpflege ihren festen Platz hatten oder haben würden. Dicke, alt ehrwürdige Mauern lagen im Trend.

Der ehemalige Funkraum im Verwaltungsbereich des Klosters. Heute ist in diesem größten Raum des Flügelbauwerks ein Konferenzsaal eingerichtet. Nichts erinnert mehr an die Aufgabe, die dem Zisterzienser-Refugium aus dem Jahr 1136 mit dem Kalten Krieg zukam.

Rheinland-Pfalz plant sein Provisorium im Staatlichen Neusprachlichen Gymnasium in Sobernheim an der Nahe, will den endgültigen Ausweichsitz dann an die Mosel verlegen und kauft 1963 dafür „Haus Horst“. Das hört sich unspektakulär an, ist es aber nicht. Die Traumimmobilie ist ein Schloss. Das Land richtet – nicht ganz untypisch für die Bewirtschaftung von Bunkeranlagen – eine Schule im vorgelagerten „Haupthaus“ ein. In diesem Fall für den Luftschutzdienst. Der Ausweichsitz zieht später um unter eine Schule in Alzey. (Hintergrundbericht unter „Exklusiv“ am 15. Oktober 2007: „Lernen und Leeren“)

Bauromantik hat auch in den Kriegsplänen Niedersachsens ihren Platz. Das Land plant den Krisen-Umzug nach Bersenbrück in den dortigen „Remter an der Klosterkirche“. 160 Mitarbeiter, darunter allein 90 aus dem technischen Personal, sollen den Ausweichsitz des Landes einsatzbereit halten.

Haus Horst an der Mosel. Das hört sich unspektakulär an, ist es aber nicht. Die Immobilie ist ein Traumsschloss und wird 1963 als Ausweichsitz der Landesregierung Rheinland-Pfalz ausgesucht.

Dem wahrlich nicht eben personalpolitischem Kleinkram soll somit offensichtlich Großes folgen - größer noch, als der Bund selber plante. Die Bonner Regierung um Kanzler Adenauer konzipiert ihren Großbunker von Anfang an mit nur 60 technischen Mitarbeitern! Schließlich entscheiden sich die Niedersachsen für den Umzug im Krisenfall Richtung Westen ins 220 Kilometer entfernte Lingen und planen eine ungewöhnliche Immobilien-Allianz. Man wählt als Ausweichsitz die örtliche Justizvollzugsanstalt. An einem Waldrand gelegen, wäre man in den offenen Vollzug im Stadtteil Damaschke umgezogen.   

Baden-Württemberg will den nächsten Krieg landesmäßig aus der Kaiserstraße 10 in Rottweil, „Rufnummer 9391/92“, organisieren. Schloss Bebenhausen war eine weitere Option, wie auch der Schadenweiler Hof bei Rottenburg oder das Staatliche Gymnasium Hechingen.

Zugang zum ehemaligen Ausweichsitz des Landes Baden-Württemberg: Die Anlage lebt bis heute von der Geheimhaltung. Dazu zählt auch ein restriktives Fotografierverbot der Eingangstechnik samt Sicherheitsschleuse. Es gibt um den verbuddelten Sitz einer Computerfirma eine Bannmeile.

Die lange Reise endet im nördlichen Schwarzwald am Ortsrand von Oberreichenbach. Die Landesregierung verbuddelt hier einen massiven Fünfgeschosser. Quadratisch, praktisch, gut, mit einer Kantenlänge von 33 Metern – und betreibt ihn bis zum heutigen Tag, wenn auch mit neuer Aufgabe. (Hintergrundbericht unter „Exklusiv“ am 24. September 2007: „Erfolgreiches COMback“)

Hessen plant 1963 den „Ausbau eines Stollens mit 50 bis 70 Meter Überdeckung für 350 Personen“, meldet dem Bund aber auch, dass „die Planungen noch nicht abgeschlossen“ sind. Das Konstrukt „Kloster Eberbach“ (Hintergrundbericht unter „Exklusiv“ am 22. Oktober 2007: „Lagebereicht mit Gottes Segen“) macht bundesweit Schule: Kirchliche Einrichtung und nachgelagerter Befestigungsbau sind gleich in mehreren Bundesländern populär. Das spiegelt sich auch in der Haushaltsführung der Länder wider, die entsprechende Unterstützung für das Tandem der Notstandsplanung gewähren – an beiden Enden.

Schwaben-Fort-Knox: Im Landesbunker Baden-Württembergs stehen heute Computer wie dieser (über Geld dafür spricht man nicht) und sorgen mit einem Datenbackup rund um die Uhr dafür, das wichtige Informationen (wie die Steuererklärungen aller Landesbürger) nicht verloren gehen können.

Will man heute diesem durchaus "ernsthaften" Treiben etwas Humoriges abgewinnen, sollte man sich den Akten der Hansestadt Bremen als Lektüre widmen.

Geplant wird reichlich, nach Bonn gemeldet eben soviel. So 1960 die traurige Feststellung, dass die „geplante Befehlsstelle Bassum auf militärischen Wunsch aufgegeben werden muss.“ Die Armee war schon da, als das Land noch suchte und macht der Zivilplanung einen Strich durch die Rechnung. Eine Neuerkundung im Raum Hude schließt sich an, dann sind Bunker aus dem letzten Krieg im Gespräch (Bunker F 39; später Bunker B 189 nördlich am Stadtrand Lesum am „Südhang des Geestrückens in dem Dreieck Bundesautobahn B 6 – B 74 für 1000 Personen“).

Hoya taucht plötzlich in all dem auf – hier investiert der Bund kurze Zeit später in einen der ersten THW-Standorte. Die Bundesschule Marienthal lässt grüßen. Man teilt sich den gleichen Titel im gleichen Einzelplan im deutschen Staatshaushalt.

Wege unter Eberbach: Seit über 30 Jahren wird am, im und unter dem Klosterkomplex restauriert und umgebaut. Idealer Nährboden für Theorien, wo man hätte hier bunkern können, wenn man wollte.

Die Bremer Regierung ließ es sich nicht nehmen, Anfang der 60er Jahre Briefe zu verschicken, die sogar in den zuständigen, nicht eben verwöhnten Bonner Abteilungen Erstaunen auslösten. Der entfaltete Inhalt entsprach im Grundriss der Stellfläche eines handelsübliche Zweimannzeltes. Niedergeschrieben war ein Organigramm für den Krisenfall, die Schriftgröße kriegstauglich gehalten.

In Bonn nervt das Verhalten der Landesregierungen. Intern wird auf Abteilungsleiterebene vermerkt: „Zu viele Details!“. Der Bundeskanzler wird durch den Bundesinnenminister bemüht und soll zum Jahresende 1961 „die Länderchefs sensibilisieren“, für die Umsetzung entsprechender Bauten zu sorgen. Konrad Adenauer aber will und kann nicht mit dickem Geschütz auffahren. Er weiß um die Schwierigkeit des Themas – aus finanziellen und  organisatorischen Gründen.

Seit 15 Jahren ist der Landesbunker Nordrhein-Westfalens aufgegeben. Beim Weg durch den vergessenen Zeitzeugen glaubt man es kaum. Die Technik funktioniert noch immer, auch wenn sie nur noch selten gefordert wird – so wie im Sendestudio.

Als die Zeit weiterzog

Immerhin, Nordrhein-Westfalen geht es 1962 an. Bemerkenswerterweise meldet man nach Bonn den Vollzug, nicht aber die Adresse. „Die Errichtung eines Schutzbaus ist geplant, die Bauarbeiten haben vor drei Monaten begonnen. Zugrunde gelegt ist das Modell der Luftschutz-Warnämter, jedoch abgewandelt auf die andersartigen Bedürfnisse einer Befehlsstelle“. Und weiter: Die Landesregierung sieht einen sicheren „Schutz gegen die Nahwirkung einer konventionellen 1000-kg-Bombe“, begründet den mit „Umfassungsmauern in alle Richtungen von 3 Metern“. Bunker und Sendestelle im Umfeld sind geplant für 10 Mio. Mark, der Rohbau soll dabei acht Mio. kosten.

Hängengelassen: Der Kalte Krieg wurde für beendet erklärt und entließ seine Protagonisten. Selbst die Schutzanzüge für die Säuberung dekontaminierter Bunkerneuankömmlinge hängen noch immer an ihrem vorgeschrieben Platz.

Was entsteht, gibt es bis zum heutigen Tag - eingerichtet und einsatzbereit. 35 Kilometer vom Bunker der Bundesregierung entfernt, quasi vergessen, fristet der inzwischen privatisierte Landesbunker in der Eifel vor sich hin. (Hintergrundbericht unter „Exklusiv“ am 1. Oktober 2007: „Als die Uhren stehen blieben“)

Und gibt Einblicke. Funktional und technisch so eingerichtet, dass die Grundbedürfnisse im Kriegsfall bedient werden konnten. Schön ist ein solcher Bunker nicht, aber bis zum heutigen Tag wirkt die Einrichtung grundsolide und spult nach Jahrzehnten ihr Programm runter. In den WDR-Schnittplätzen liegen noch immer die Magnetbänder, angerollt und abspielbereit, für welchen Ernstfall auch immer.

Im Gegensatz zum östlich gelegenen Nachbarn zwischen Ahrweiler und Dernau, ist der Ausweichsitz NRW weder leergeräumt noch entkernt. Auch der Zugang durch eine Doppelgarage funktioniert noch immer.

Zum Jahresende 1992 gibt die Landesregierung diesen Amtssitz für den Krisenfall auf. Und nimmt alles mit, was nicht in unbefugte Hände geraten soll - fast vollständig. Auf einem Schrank liegt bis heute das VS-Papier „K 804“, in dem alle geheimen Leitungsbezeichnungen und Empfangsorte zu anderen Landesbunkern gelistet sind. Darin lesen können – wenn sie es finden - allerdings nur wenige Menschen. 2007 führt der Eigentümer zum dritten Mal Besucher durch dieses Reich des „Kalten Krieges“.

Letzte Bonner Durchsage

Startklar: Im Sendestudio liegen noch immer die Bänder abspielbereit in der Technik aus den 60er Jahren.

Der Bund erklärt sich am 13. Januar 1993 gegenüber den Ländern, wie man den Katastrophenfall gestaltet. Lange nach dem offiziellen Ende des Kalten Krieges teilt Innenminister Rudolf Seiters als Verschlusssache seinen Länderkollegen mit, „dass die Bundesregierung entschieden hat, den Ausweichsitz für Verfassungsorgane in der Nähe von Bonn betriebs- und einsatzbereit zu halten“. Nicht zuletzt die „hohen Kosten, die für den Ausweichsitz des Bundes aufgebracht wurden“, spielen eine Rolle für diese Entscheidung.

Anlass und weitere Inhalte des Schreibens sind nicht bekannt, doch beschäftigten sich anschließend gleich mehrere Länder intensiv mit der Veräußerung gewisser Immobilien.

Nicht mehr zeitgemäß: Dauerbeleuchtung (1997) im Regierungsbunker. Die Deutschen feiern bereits 1989 das Ende des Kalten Krieges. Am Regierungsbunker geht das Ereignis spurlos vorbei.

Die Nachfolgeregelung läuft weites gehend unbemerkt von der Öffentlichkeit ab. Und sie gestaltet sich unkompliziert und in sich schlüssig. Die neuen Besitzer sind in der Regel vom Fach. In Rheinland-Pfalz wird ein gerade pensionierter Spitzen-THW`ler Schlossherr, in Nordrhein-Westfalen wandert der Erbauer noch heute zum Wohl seiner Anlage durch die Flure. Baden-Württemberg behält seinen Betonsilo und verpachtet ihn. Die Bundesbank reicht ihr Krisenrefugium weiter an eine Bank. Bonn hält bei der Suche nach einer Umnutzung die Bunker-Schlusslaterne in der Hand – in einer unruhigen Hand. Kurz vor der Schließung des Ausweichsitzes wird ab 1994 ein großes unterirdisches Sanierungsprogramm umgesetzt. Marienthal und sein Außenposten Kirspenich sollen auf den neuesten Stand der Bunker-Technik gebracht werden. Im kleineren der zwei Schutzbauten wird begonnen.

Im Bundesinnenministerium wird erst Seiters Nachfolger Kanther auf seiner ministerialen Zielgeraden bemüht, ein letztes Plädoyer zum Thema Regierungsbunker zu verfassen. Am 9. Dezember 1997 trägt er dieses vor dem Kabinett vor – und wird erhört. Fast exakt 40 Jahre nach dem Gesetzesbeschluss zur Umsetzung eines Schutzbauprogramms wird der Bonner Superbunker in Rente geschickt. Seine Hochsicherheitsbereiche werden bereits Stunden später generalstabsmäßig geräumt.

Auf den neuesten Stand der Bunkertechnik gebracht. Außenstelle Kirspenich erlebt ab 1994 ein umfangreiches Sanierungsprogramm.

Die Haushaltskasse wird mit der grundsätzlichen Entscheidung ad hoc um rund 22 Millionen Mark pro Jahr bei Betriebs- und Personalkosten entlastet. Was die Angelegenheit im Ahrtal genau kostete, gibt der Staatshaushalt – wenn überhaupt- bestenfalls an gut gebunkerten Titeln her. Einige sind in weniger als einem Satz beschrieben. Um Schutzmaßnahmen geht es dabei keineswegs. Aber um viele Millionen.

Gebühren-Nachschlag

Bereits im Juli 1959 vermerkt der Bund monatlich „laufende Gebühren für Fernmeldeeinrichtungen von 7406,81 Mark zwischen Bundes- und Länderbefehlsstellen“. Diese Telefonrechnung war präzise. So betrug die Fernmeldeverbindung zwischen dem bayrischen Sitz und Bonn exakt 415,6 Kilometer.