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Sechs Monate und 45.000 Besucher später PDF Drucken E-Mail
Mittwoch, 10. September 2008

Vor einem halben Jahr öffnete die „Dokumentationsstätte Regierungsbunker“

Neue Kommandostruktur im Regierungsbunker. Das dürfen im Museum nur die Kinder: Knöpfedrücken in der Bunkerzentrale, über die im 3. Weltkrieg alles zugefahren wäre.

„Was wissen Sie über den Verbindungstunnel nach Bonn“, fragte der ältere Herr den Gästeführer. „Nichts, denn es gibt ihn nicht“. Mit einem entzückten Grinsen folgte dieser Antwort: „Doch. Ich habe ihn einige Male benutzt“. Jede weitere Information blieb der Besucher wegen der hohen Geheimhaltung schuldig. Tage zuvor „flüsterte“ ein Mann um die 80 der mitgereisten Familie und Verwandtschaft auf der Museumsplattform zu, wie sie damals hier mit der Spritzgussmaschine den Beton an die Wand gebracht hatten. Da fast die gesamte Gruppe aus der Familie bestand, wussten nun alle Besucher Bescheid. Alltag in einem der ungewöhnlichsten Museen Deutschlands. Vor sechs Monaten öffnete die „Dokumentationsstätte Regierungsbunker“.

Wackere „Kalte Krieger“: Über ein Jahr haben sich die Gästeführer der „Dokumentationsstätte Regierungsbunker“ mit der Geschichte des Ausweichsitzes auseinander gesetzt – im Bild zum Gruppenfoto 14 Tage vor dem Museumsstart. Schulung, Exkursion, Aktenlage und Zeitzeugen – ein Trommelfeuer an Informationen, das sie heute mitnehmen auf 203 Meter und eineinhalb Stunden Führung. Ohne sie wäre es ein Stück Beton, kein Museum.

„Für den Monat September mussten wir bei den Anmeldungen einen Stopp einlegen“, bringt es Dr. Wilbert Herschbach, Vorsitzender des Heimatvereins „Alt-Ahrweiler“, Träger der Dokumentationsstätte, auf den Punkt.

„Mit einem solchen Ansturm war nicht zu rechnen. Für die ersten Tage und Wochen nach der Eröffnung hatten wir darauf gehofft. Doch das Interesse steigt ständig und wir steuern auf neue Rekordwerte zu.“

Mit rund 40 Gästeführern und weiteren Mitarbeitern an Kasse und Kehrbesen nimmt die Dokumentationsstätte den „Kampf“ mit der Invasion des Jahres 2008 auf. Die Kennzeichen auf den Parkplätzen um den Bunker verraten die Herkunft der Einrückenden. Aus ganz Deutschland, Belgien, Frankreich, den Niederlanden oder Luxemburg wird angereist, um sich über diese sonderbare Ausnahmewelt des Kalten Krieges oberhalb Ahrweilers zu informieren.

Museumsleiterin Heike Hollunder mit „ihren Kindern“: Speziell für die junge Generation werden Führungen angeboten, die erklären, was hier in den letzten 100 Jahren vor sich ging.

„Wir haben Gruppen aus Indien, Japan oder Russland begrüßt“, ergänzt Heike Hollunder, hauptamtliche Leiterin der Dokumentationsstätte, „aber auch den Wunsch eines 12-jährigen Mädchens erfüllt, hier ihren Geburtstag im Rahmen einer Besichtigung feiern zu dürfen“. Das Gästebuch verrät nun allen, wie das war - „der schönste Geburtstag in meinem Leben“.

Eine Seite weiter muss man Französisch können, um zu verstehen, was da steht. Blättert man zurück, landet man bei der Widmung einer russischen Regierungsdelegation. Und selbst ehemalige DDR-Spione unterschreiben mit ihren richtigen Vor- und Zunamen. „Normal ist das alles hier sicher nicht. Es lebt vom Ort und seinen Eindrücken, aber auch von den Besuchern“, bringt es Heike Hollunder auf den Punkt.

Russische Regierungsdelegation (um Sergej Ivanovic Kruglik beim Eintrag ins Gästebuch) nach einer geschichtsträchtigen Begegnung: Das ehemalige Angriffsziel ins persönliche Visier genommen.

Die Eindrücke, mit denen die Besucher das Tunnelbauwerk verlassen, sind unterschiedlich – und doch einheitlich geprägt von der Größe, der Technik, der Ausstrahlung, den Kosten, der Aufgabe.

Was hier mit Steuergeldern jedes einzelnen Bundesbürgers geschaffen wurde, diente der Vorbereitung auf den letzten großen Krieg der Menschheit. Dieser Treffer sitzt beim Besucher. Auch wenn der durch eine Kulisse marschiert, die scheinbar vor einer Ewigkeit errichtet wurde. Die aber auch bis zur politischen Wende 1989 für ihre Aufgabe, Krieg und Krise zu organisieren, im Einsatz war. So weit weg ist das dann doch wieder nicht, und irgendwie glaubt man, die atombombensicheren Tore sind gerade erst zugefahren. „Die Atmosphäre schaudert, die gefühlte Temperatur liegt unter den realen 12 Grad“, stellen viele Besucher so dann auch bei den Führungen nach einer gewissen Zeit fest.

Die DDR-Spionage und der Ausweichsitz der Verfassungsorgane – immer ein Tandem. Tüftelten Agenten im Kalten Krieg an der Informationsverschlüsselung, unterschreibt man heute mit Vor- und Zunamen im Gästebuch der Dokumentationsstätte (im Bild Mitarbeiter des NVA-Aufklärungsdienstes beim Bunkerbesuch).

Prominente waren darunter. Schauspielerin Yvonne Catterfeld drehte vor wenigen Tagen am und im Bunker. Der russische Staatsbauminister sah sich um und fragte anschließend im konspirativen Flüsterton, ob und wie man wohl an die Baupläne rankäme – was zu einem herzhaften Lachen zwischen Russen und deutschen Gastgebern führte. Humor, der vor gut 10 Jahren noch mit einem eiskalten Lächeln quittiert worden wäre. Da war die Anlage noch „Geheim“.

Dr. Hans Walter, der zusammen mit seinem Vater den Bunker als Ingenieur entwarf und in der Bauleitung saß, kam an einem ganz normalen Besuchstag vorbei, schloss sich einer Gruppe an und wurde ihr auf der Aussichtsplattform vorgestellt. Über eine halbe Stunde beantwortete der fast 80jährige dann geduldig, humorvoll und präzise alle Fragen. An diesem Tag wurde er feierlich zum Ehrengästeführer der Dokumentationsstätte ernannt – einem Projekt, mit dem er seit Jahren in Verbindung steht und das er immer wohlwollend begleitet hat.

Symbolcharakter: Prof. Dr. Ernst Benda, Bundesinnenminister in der Zeit, als der Bunker gebaut und die Notstandsgesetze verabschiedet wurden, ist heute Ehrengästeführer der Dokumentationsstätte.

Ehrengästeführer ist heute auch Prof. Dr. Ernst Benda, Bundesminister des Innern genau in jener Zeit, als man die Notstandsgesetze verabschiedete und an der Vollendung des Bunkers arbeitete. Ein Zeitzeuge, der sich nicht nur zum Bunker äußerte, sondern auch seinen Besuch in Ahrweiler angekündigt hat.

Den haben die Kinder und Enkelkinder der Bauleiter bereits hinter sich. Wie auch die Kinder, die wegen der Bunkerbauerei bei Arbeitsunfällen ihre Väter verloren haben. Mit ihnen steht die Dokumentationsstätte in Kontakt und weiß, wie schwierig der Umgang mit diesem Teil der Familiengeschichte ist – noch immer. So gut es geht, wird geholfen – mit Informationen und Zuspruch.

Beides kommt nicht zuletzt von den Gästeführern und Mitarbeitern, die im Bunker schon als Bauarbeiter oder Techniker ihre Spuren hinterlassen haben.

Die Dokumentationsstätte kann mit Stolz auf ihre Reihen sehen, denn auch das wird es wohl in keinem anderen deutschen Museum geben: Ehemalige Mitarbeiter führen durch ihren einst geheimen Arbeitsplatz und berichten heute über den Alltag.

Einer von vier Ehrengästeführern (der Dokumentationsstätte neben Innenminister Benda, BBR-Präsident Mausbach und Landrat Pföhler): Dr. Hans Walter, der im Ingenieurbüro seines Vaters Dr. Paul Walter, das Verteidigungsbauwerk entwarf und über Jahre die Dokumentationsstätte in ihrem Aufbau mit unterstützte (im Gespräch mit Museumsgästen).

Mitarbeiter aus dem Bundesinnenministerium, dem der Verteidigung, streifen am Wochenende die grelle Jacke der Gästeführer über. Junge, alte, einige mit langen Anfahrten bis Ahrweiler, einige geboren und aufgewachsen hinter dem Eisernen Vorhang, einige, für die als Ur-Ahrweiler dieser Ortsteil der Nabel der Welt ist. Aus ihnen ist eine Mannschaft geworden – geprägt durch den Bunker und seine neue Aufgabe als Dokumentationsstätte.

Ihren Job haben sie bisher mit Bravour gemeistert – und dies wird so auch von den Gästen wahrgenommen und honoriert. Kaum eine Führung endet ohne Applaus. Den haben auch die anderen guten Bunker-Geister verdient – von den „Hausmeistern“ über die Leute von Ahrtal-Tourismus, denen am Empfangstresen bis hin zur Versorgung am Imbiss vor dem Bunkermuseum oder denen, die für die Pflege der Einrichtung mit Wischlappen und Eimer unterwegs sind.

Ansturm der Moderne: Besucher der Lesung Jacques Berndorf und Klavierdarbietung Christian Willisohn.
Ansturm der Moderne: Besucher der Lesung Jacques Berndorf und Klavierdarbietung Christian Willisohn.

Mit dem Ansturm der Moderne versuchen auch inhaltliche Gegebenheiten des Verteidigungsbauwerkes flächendeckend fertig zu werden - auch wenn es noch nicht überall rund läuft. Aber der Betreiber und das Umfeld arbeiten gemeinsam an der Verbesserung – und sie werden es hinbekommen, denn der gute Wille ist da.

Der wird, hoffentlich, vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung auch auf andere Bundeseinrichtungen überspringen. Denn hat der ehemalige Kontrahent aus Moskau bereits der Dokumentationsstätte seinen Besuch abgestattet, üben sich hochrangige deutsche Ministeriale in Zurückhaltung. Und das an ihrem Stammsitz a.D. für den Extremfall und gegen die Weisung des ehemaligen Bundesinnenminister Manfred Kanther mit Blick auf die Zukunft des Regierungsbunkers (1997) und die Entfernung zwischen der Hauptstadt Berlin und den Bunker an der Ahr: „Die Entfernung ist kein Grund, die Anlage aufzugeben!“.

Zwischen dem jetzigen Bundeskanzleramt (in Berlin) und diesem Belüftungsschacht im Museumsbereich des Regierungsbunkers liegen genau 488 Kilometer und 140 Meter. Was beide Regierungssitze eint: Sie liegen an einem Fluss. Die Spree ist 200 Meter von Frau Merkel entfernt, die Besucher der Dokumentationsstätte trennen 800 Meter von der Ahr. Was aber kein Besucher weiß: Das er überhaupt an diesem Schacht vorbeirennt. Der gehört nicht zum Museum und ist nicht einsehbar.

Die Entfernung hat sich – geografisch – nicht verändert und die Einladung an alle Regierenden steht, den Regierungsbunker, nun mit seiner neuen Rolle, nicht aufzugeben sondern wahr- und einzunehmen. Es wäre auch ein klares Signal für den Umgang mit der eigenen Geschichte. Wo sollte sie für die Volksvertreter markanter sein, als hier.

Nur: Diesmal wartet das Volk.

 

(Stand: 10.9.2008)