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Sonntag, 07. Dezember 2008

Unter "Geheim" auf Zeitreise geschickt: der saarländische Ausweichsitz in Wadern

Aufgegeben und zugemauert: Die ehrgeizigen Pläne zum saarländischen Ausweichsitz.

Das hatte es in Wadern noch nicht gegeben – noch nie! Auf dem Marktplatz stehen Lehrer und Schüler des Hochwaldgymnasiums im Kreis, schweigend, eine ganze Stunde. Die verteilten Flugblätter erzählen, warum. Es ist ein Protest gegen die Aufrüstung, gegen die Stationierung nuklearer Mittelstreckenraketen in Deutschland. Es ist das Jahr 1983. Mit dabei: Mathias Wolbers, Lehrer für Französisch und Politik. 24 Jahre später wird er sich an jenen Tag erinnern, als er in die 50-Jahr-Festschrift des Gymnasiums im Jahr 2007 schreibt: „Mit Aktionen wie der erwähnten „Schweigestunde für den Frieden“ versuchten wir, auch in der tiefen saarländischen Provinz andere Menschen für den Frieden und gegen die atomare Rüstung zu mobilisieren.“

Als Tunnel in einen Berg getrieben. Bundesweit ist kein weiterer Ausweichsitz eines Landes bekannt, der in seinem Aufbau so stark an den Regierungsbunker angelehnt ist.
Als Tunnel in einen Berg getrieben. Bundesweit ist kein weiterer Ausweichsitz eines Landes bekannt, der in seinem Aufbau so stark an den Regierungsbunker angelehnt ist.

Was der engagierte Lehrer nicht weiß: So ganz provinziell ist der Ort Wadern im 3. Weltkrieg gar nicht. Und auch das Gymnasium, an dem er unterrichtet, darf sich dann rühmen, ein bevorzugtes Angriffsziel zu sein. Denn hier liegen im Keller Teile des Ausweichsitzes der saarländischen Landesregierung. Die vermeintliche Provinz Wadern ist in den Planungen des Warschauer Vertrages markant. Denn sie hätte die verbunkerte Landesregierung aufgenommen. Allein: Im Ort weiß das kaum jemand, bis heute nicht.

3. Oktober 2008. Schulleiter Wolfgang Wagner macht sich auf den Weg in eine verborgene Unterwelt. Im Keller des Gymnasiums, das er leitet, schlummert der Kalte Krieg leise vor sich hin. Fernschreibgeräte, Notbelüftung, Betten für 120 Menschen, schwingend an der Wand befestigte Duschen und Klos – alles da. Auf einem der Schreibtische in dieser Parallelwelt des Atomzeitalters liegt das Dienstbuch. Verräterisch: Als man in Berlin am 9. November 1989 den Fall der Mauer feiert – auch gegen den Willen von mindestens zwei Saarländern in Ost und West - wird in Wadern die Einsatzbereitschaft des Bunkers kontrolliert. Wie auch am 1. 12., am 8.12. oder am 14.12.1989.

Ein Teil der „befestigten Befehlsstelle“ liegt unter einem Gymnasium – und ist bis heute voll eingerichtet. Der letzte Eintrag im Dienstbuch datiert vom 23.11.1993.

Alle paar Tage reist ein Mitarbeiter des saarländischen Innenministeriums im Gymnasium an und schaut nach dem rechten – penibel protokolliert vom 27.9.1972, 10.45 Uhr, bis zum 23.11.1993. Letzter Eintrag in diesem ungewöhnlichen Tagebuch: „Reinigung, Anlage war wegen Stromausfall außer Betrieb. Schalter in Hauptverteilung muß auf „Auto“ stehen“.

Abgekoppelt

Wie eine Raumkapsel im Tiefschlaf machen sich die unterirdischen Bunkerzimmer nach diesem Tag auf den Weg durchs All der Neuzeit. Auf „Auto“ reist der Bunker weiter durch die Jahre – auch ohne Besatzung. Völlig surreal. Vor seiner Tür arbeiten Schüler an Werkbänken an ihren Projektarbeiten. Das zwei Meter hinter ihnen die Reste einer atomar geprägten Generation liegen? Duschen für eine Reinigung atomar verseuchter Menschen, Sandfilterbecken, die radioaktive, einige Hundert Grad warme Außenluft herunterkühlen sollen, voll einsatzfähige Fernvermittlungseinrichtungen, die nur auf einen sanften Fingerdruck am Schalter warten, das wissen sie nicht. Sollten sie aber. Den Rundgang am Tag der Deutschen Einheit 2008 nutzt Schulleiter Wagner auch, um mit den ebenfalls angereisten Saarbrücker Innenministerialen über eine Nutzung für den Geschichts- und Politikunterricht nachzudenken.

Da schließt sich auf wundersame Weise auch der Kreis zu Mathias Wolbers und seinen Schülern. Bei ihrer Protestaktion im Jahr 1983 durch die Polizei auf dem Marktplatz beobachtet, endet nun das Tête-à-tête mit den Landesordnungshütern versöhnlich ganz im Sinne der Pädagogik. Der Unterrichtsstoff wird da vermittelt, wo er einst „Geheim“ erschaffen wurde – Geschichte pur. Besser geht es nicht. So ziehen Gymnasiasten des Jahrganges 2009 für den betreffenden Lehrstoff in den Keller um.

Fernmeldebunker in Wadern. Voll eingerichtet und unter Strom, hat die Feuchtigkeit dieser Anlage bereits mächtig zugesetzt.

Den wenige Steinwürfe weiter verbunkerten Fernemeldebunker der Landesregierung werden sie wohl nicht sehen. Wie auch die Röhren des eigentlichen Ausweichsitzes der Landesregierung in Wadern nicht. Der ist in einem Stollen unmittelbar beim Kloster Dagstuhl angelegt. Zugemauert und unter Wildwuchs – in unmittelbarer Nachbarschaft einer kirchlichen Einrichtung, in der die Nonnen des Waldbreitbacher Franziskanerordens das Sagen haben. Deren Hauptsitz liegt nur wenige Kilometer vom Ausweichsitz der Bundesregierung entfernt am Rhein.Da passt es gut, dass man sich im benachbarten saarländischen Berg vor einem halben Jahrhundert mit ähnlichen Plänen der Bunkerbaukultur auseinander setzte, wie seinerzeit an der Ahr. Als Röhre in einen Berg getrieben, mit seitlichen Abgängen, wurde hier auch eine Trutzburg der Superlative erstellt. Einzig: Die finanziellen Rahmenbedingungen des kleines Saarlandes waren nie so günstig, wie die des Bundes in Marienthal. Das musste man in der langgestreckten Bauphase ab 1967 irgendwann zur Kenntnis nehmen.

Ausrangierter Zeitzeuge. Über den Ausweichsitz des Saarlandes war bis 2008 nichts in die Öffentlichkeit gelangt. Nicht einmal im Ort war etwas von dem unterirdischen Bunkersystem bekannt – oder längst wieder in Vergessenheit geraten.

1977 war dann Schluss – rund 12 Mio. DM nach dem Start und nicht wirklich auch nur im Dunstkreis einer Fertigstellung. Die Reste ähneln, wie kein anderer bekannter Ausweichsitz eines Bundeslandes, an das ausrangierte Mutterschiff der Bonner Regierenden. Ein angegrabener Berg, mit reichlich Beton vollgepumpt. Unterirdische Röhren im Winkel von 90 Grad angelegt, oben drauf die Masten des Funkempfanges. Sogar Strom gibt es in dieser unterirdischen Welt – noch immer.

Was den saarländischen Bunker und den des Bundes eint: Beide sind heute größtenteils verschlossen und im Innenteil nackter Beton.

Was sie markant unterscheidet: Im Saarland erkannte man früh genug, das die finanzielle Dimension utopische Größen annahm. So sparte man sich mit dem Baustopp 1977 neben den Fertigstellungskosten auch gleich die für den Rückbau 1993, ff..

Am 14. Juni 1959 lässt Ministerpräsident Franz-Josef Röder zum feierlichen Spatenstich des Gymnasiums einem Schüler den Vortritt. Doch bereits da war klar ...

Ob sich diese Geschichte allerdings wirklich logisch den Schülern im benachbarten und bunkerkoalitionären Hochwald-Gymnasium vermitteln lässt? Immerhin: Vor ihnen steht dann ein Lehrer, der schon einmal sensibilisierte. Und ein Zeitzeuge. Mehr Geschichte geht nicht.

Für die freundliche Zusammenarbeit geht ein herzliches Dankeschön an Schulleiter Wolfgang Wagner (Hochwald-Gymnasium Wadern) sowie an die zuständigen Mitarbeiter des saarländischen Innenministeriums Saarbrücken.

... das der Ort Wadern durch die saarländische Landesregierung auserkoren war, im 3. Weltkrieg ihr Zufluchtsort zu sein. So stand der Ministerpräsident neben einem Schüler an einer der Baugruben, in denen ein komplexes Bunkersystem unter „Geheim“ in den kommenden Jahren entstehen sollte. Die entsprechenden Planungen wurden im September 1960 an die Bundesregierung nach Bonn gemeldet. Das Saarland galt als vorbildlich und war das erste Bundesland mit einer abgeschlossenen Ausweichplanung für Krieg und Krise.

(Stand: 9.1.2008)