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Mittwoch, 12. September 2012

Geheime „Außenstelle D“: Schulkeller als Vermittlungsstelle westlicher Nachrichtendienste

Bislang unbekannt: „Außenstelle D“. Es ist der dritte Ableger des Regierungsbunkers, der nach Auswertung von Haushaltsunterlagen „entdeckt“ wurde.

Der Regierungsbunker im Ahrtal existiert zwar schon lange nicht mehr, doch auch 15 Jahre nach seiner Auflösung und sieben Jahre nach dem Abriss hat er noch nicht alle (Staats)Geheimnisse Preis gegeben. Nach Auswertung von Haushaltsunterlagen zur "Dienststelle Marienthal" taucht jetzt ein weiterer Außenposten auf. Nach dem Postbunker in Staffel (sogenannte „Sonderbetriebsstelle 0“ der Deutschen Bundespost) als Telefonvermittlungsstelle und der abgesetzten Funksendestelle in Kirspenich (Kreis Euskirchen, Tarnbezeichnung „THW3“ bzw. „Polizeihauptfunkstelle“) tritt nun die „Außenstelle D“ aus dem Dunkel des Kalten Krieges ins Rampenlicht. Und mit ihr die "ESA" als Nutznießer.

Rechnungsunterlage 53205 der Bundeskasse Bonn von 1978 hat eine schlichte Beschreibung: „ESA“. Der Haushaltstitel allerdings verspricht Regierungsbunker pur: Denn Kapitel 60, Einzelplan 02, Titel 671 ist die abgetarnte Finanzquelle, aus der das Staatsgeheimnis gespeist wird. Dem Deckblatt der Mappe folgen 13 Abrechnungen über 27.867,23 DM – das entspricht dem damaligen Wert von drei VW Golf.

„ESA“ – das ist die „European Supplies Agency“, eine durch die USA initiierte NATO-Einrichtung für Versorgungsfragen. Das hört sich schlicht an, ist aber für die Aufarbeitung des Regierungsbunkers ein alles andere als langweiliges Thema. Denn die ESA regelte einst auch die Nachschubversorgung amerikanischer Truppen bei einem Kampfeinsatz in Europa.

Als Schnittstelle zwischen der verbunkerten bundesdeutschen Regierung im Ahrtal und den dort eingeplanten 87 Agency-Mitarbeitern hin zu den NATO-Stäben in Westeuropa bis zum US-Verteidigungsministerium kam der „Außenstelle D“ eine wichtige Rolle bei der Nachrichtenvermittlung zu. Entsprechend war sie eingerichtet: 20 Telexkabel und drei weitere Sonderleitungen liefen, im August 1976 durch das „NATO Installation Team“ verlegt, in einem verkupferten Aluminiumkäfig in „D“ zusammen. Der Buchstabe steht dabei als Ortsmarke für „Daun“ in der Eifel. Die entsprechenden Räume lagen im Keller des Thomas-Morus-Gymnasium, abhörsicher und sogar geschützt vor dem Einfluss des elektromagnetischen Puls nach einem Kernwaffeneinsatz. Die NATO führt das Ganze intern als „ESA HQ TMG“: „ESA Headquarter Thomas-Morus-Gymnasium“.

Mit „Bunker“ oder „Hochsicherheitsbereich“ haben die ehemals vier Räumlichkeiten des Marienthaler Ablegers im Untergeschoss des Schulgebäudes allerdings nichts zu tun. Sicherheitstüren und Spione darin, vergitterte Fenster mit „sichterschwerender Folie“ sind eher Anzeichen für ein Provisorium, das kompakt auf 200 qm eingerichtet wird.

Allein die Kabeleinführungen haben es in sich, denn das Doppel-Bündel im Format zweier ausgewachsener Oberschenkel beeindruckt – auch Josef Schmitz, der als Hausmeister seit 1978 im Gymnasium die großen und kleinen Dinge des Alltags richtet.

ESA HQ TMG: Sperrgebiet auch für die Schulleitung

Die ESA-Räume waren für ihn und sogar den Schulleiter tabu. Immerhin war man im Besitz eines Schlüssel, sollte es dort brennen oder die Wasserleitung bersten. „Früh hörte ich vom Gerücht, wir seien mit Washington und sogar Moskau über Telefonstandleitungen verbunden“, erinnert sich Schmitz.

Was er, und auch alle Schüler, davon sahen/sehen: In den benachbarten Klassenräumen hängen bis heute ominöse Kästen unter der Decke, die für weitere Fernmeldeplätze in den Unterrichtszimmern vorbereitet waren. Schon 1980 monierte die dafür technisch zuständige Führungsfernmeldebrigade 900 in Meckenheim unter Punkt 9 einer Mängelliste: „Die Fernsprechanschlussdosen in den Klassenzimmern sind zum Teil aus den Wandbefestigungen herausgerissen“. Verfasser ist Brigadegeneral Hermann Böhner, der im Schabernack der Schüler eher den Eingriff in ein sensibles Räderwerk westlicher Verteidigungsstrategien sieht.

Fortlaufend werden ab sofort „Fernmeldesicherheitsinspektionen“ durchgeführt. Und dem Objekt ein weiterer Tarnname verpasst: FmZ 950 CSA East (Fernmeldezentrum 950 der Central Supplies Agency Ost). Im Ernstfall wäre hier das Fernmeldebataillon 930 mit Sitz in Gerolstein als technischer Dienstleister eingerückt, das auch alle Verschlüsselungsgeräte- und Unterlagen von der „National Distribution Agency (Germany)“ anvertraut bekam. Der langweilige Keller einer Schule war längst zum geheimen Dreh- und Angelpunkt westlicher Nachrichtendienste für den Fall 3. Weltkrieg geworden.

Am 18. März 1977 rollt sogar eine hochrangige NATO-Delegation an – still und heimlich nach Schulschluss an einem späten Freitagnachmittag. Was in Marienthal hektische Betriebsamkeit auslöst: Der geheime Außenposten soll sich dank technischer Überprüfung durch die Post und Reinigung von seiner besten Seite zeigen.

Ausmisten beim Untermieter

Mit Ende des Kalten Krieges schließt der Regierungsbunker nach dem Abrücken der ESA seine „Außenstelle D“. Die dorthin gezogenen Leitungen werden gekappt, für die man über die Jahre eine halbe Million D-Mark Miete bezahlt hatte. Insgesamt ist das Finanzkonstrukt aufschlussreich: Die NATO will ihren Vermittlungsknotenpunkt haben, Bezahlung, Einrichtung und Unterhaltung gehen aber auf Kosten des Regierungsbunkers – und damit zu Lasten des deutschen Staatshaushaltes. Allein das Gymnasium profitiert vom geheimen NATO-Mitschüler, als die Räumlichkeiten für eine weitere Nutzung freigegeben werden. „Die Tür des Faraday´schen Käfigs haben wir mit vier Mann rausgetragen“, erzählt Josef Schmitz und erinnert sich noch gut an den Kraftakt. Reinstes Aluminium mit Kupfer beschichtet, was dann auch beim Schotthändler als eine der ganz seltenen Lieferungen mit staunenden Augen quittiert wird. Am Ende profitiert die Schulkasse vom Ausmisten beim Untermieter.

Zwanzig Jahre später musizieren in den ESA-Räumen die Schüler kräftig und laut. Die Holzvertäfelung, in einem Teil des Raumes noch Original aus Zeiten des Kalten Krieges an der Wand, schallisoliert hervorragend. Das wussten früher schon die NATO-Verantwortlichen und ließen ihren Knotenpunkt, der tatsächlich eine Verbindung in die USA unterhielt, nicht aber nach Moskau, dezibelschluckend einrichten.

Ansonsten erinnert nicht mehr viel an die Zeiten von „Top Secret“ und „DefCon“, denn die alten Kabeleinführungen sind zubetoniert, die Gerätschaften seit zwei Jahrzehnten abgebaut, Wände entfernt. Und auch Josef Schmitz steht als „mitwissender“ Hausmeister auf der beruflichen Zielgeraden und wird bald als Zeitzeuge nicht mehr durch das ungewöhnliche Stück Geschichte führen können, dessen wirkliche Bedeutung er selbst erst vor wenigen Wochen erfuhr. Immerhin: Es gehörte dazu, zum „System Regierungsbunker“. Und er war, unwissend, mittendrin der Hausmeister.