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Das Ende einer uneinnehmbaren Festung PDF Drucken E-Mail
Dienstag, 04. September 2001

Handwerker über ihre Arbeit im ehemaligen Regierungsbunker

Es war einer der sichersten Arbeitsplätze weltweit - rein physikalisch. Atombombeneinsatz, biologische oder chemischen Waffen, Hundertschaften von Soldaten - nichts hätte die Arbeit von Handwerkern wie Karl-Heinz Knebel oder Bernd Schröder in ihrem Ablauf stören können.

Sie waren im größten Bunker Europas für den ganz normalen Alltag verantwortlich, hielten Anlagen instand, reparierten in dem 19 Kilometer langen Tunnelsystem, was zu reparieren war. Handwerker wie Hans-Peter Bacher sind es jetzt, die den Koloss im Ahrtal bei Bonn rein baulich aus der Geschichte verschwinden lassen. Was bleibt ist die Erinnerung an ein gigantisches Bauwerk in Kleinstadtformat und seine Funktion, die eng mit der Zeit des Kalten Krieges verbunden ist. Ein faszinierendes Wechselspiel aus Funktionalität, Rationalität und ganz normalem Alltag, das Sicherheit produzierte. Knebel und Schröder sind zwei Handwerker, die im ehemaligen Regierungsbunker in Marienthal bei Bad Neuenahr-Ahrweiler über 30 Jahren dafür sorgten, dass die Lichter nicht ausgingen. Vor einigen Tagen endete ihre Arbeit, denn das kolossale Relikt des kalten Krieges wird jetzt "zurückgebaut". Doch auch nach dem Passieren ihres "Werktors", dem 25 Tonnen schweren Haupteingang, bleibt der Baugigant in Händen zahlreicher Handwerker, die über Jahre alle Anlagen bis hin zur letzten Lackschicht auf der Tunnelwand fachgerecht entfernen werden. Zwei Unternehmen werden mit dem Abriss, über Jahre zu tun haben. Mit der Firma Schöndorfer Tief- und Straßenbau aus Bad Raichenhall in Bayern ist ein Handwerksunternehmen in der Ausschreibung zum Zuge gekommen. Normalerweise bauen die Bayern Straßen, Tunnel und Brücken im Gebirge, jetzt wird die Anlage im Berg zur beruflichen Heimat. Und auch sie werden auf dem Fahrrad oder mit den Elektrokarren durch das endlos erscheinende Tunnelsystem zur Arbeit fahren, werden von der Atmosphäre dieses Ortes eingefangen, werden anderen erzählen, was sie gesehen haben. Dabei wird ihnen der letzte Blick in die Geschichte des Bunkers vorbehalten sein, die 1960 begann.

Ernstfall mit dem Kanzler

So sicher, so beeindruckend ist der Ort, unter einem riesigen Weinberg zehn Fahrminuten von der A61 Richtung Ahrweiler gelegen. 19 Kilometer Wege umfasst das gesamte Bunkersystem, 930 Schlafzimmer, 900 Arbeitszimmer. Ein Plenarsaal des Deutschen Bundestages, der so ganz im Gegensatz zu der lichtdurchfluteten Berliner Kuppel nie einen Sonnenstrahl gesehen hat, über 100 Meter unter der Erdoberfläche. Fünf Bunkerbereiche mit jeweils eigenem Kraftwerk, Wasserwerk, Belüftungsanlage, Großküche und Speisesaal. Tausende Kilometer Elektrokabel, Rohrleitungen und Lüftungsschächte. Riesige Bunkertore, die mit ihrem Gewicht von über 20 Tonnen beim wuchtigen Schließen und Verriegeln die ganze Isolation dieses Ortes spürbar machen.

Ein gigantisches System, das sich 12 Jahre lang von 1960 bis 1972 in einen nie genutzten Eisenbahntunnel aus der Zeit des ersten Weltkrieges vorarbeitete, Querstollen unter dem heimischen Schiefer trieb, riesige Maschinenhallen hervorbrachte. 3000 Menschen hätten hier im Ernstfall von der Außenwelt hermetisch abgeschlossen 30 Tage die Bundesrepublik Deutschland am Leben erhalten. Zu den "Auserwählten" hätten Regierung, Parlament, Mitarbeiter des Bundesgrenzschutzes und der Bundeswehr gezählt. Logengäste mit spartanischer Unterbringung wären Bundeskanzler und Bundespräsident gewesen. Einziger "Luxus" ihrer knapp 20 qm großen Quartiere: zwei Zimmer mit eigener Dusche und WC. "Doch in all den Jahren seines Bestehens war nie ein Bundeskanzler im Bunker gewesen", berichtet Bernd Schröder. Einmal sei Dr. Helmut Kohl vor der Anlage mit dem Hubschrauber gelandet, dann aber in seinen Dienstwagen umgestiegen und zu einem Arbeitsessen ins Ahrtal aufgebrochen, "nicht ohne uns vorher die Hand zu reichen und nach der Aufgabe im Bunker zu fragen". Der engste Kontakt zu einem Kanzler, der im Ernstfall an der Seite der Handwerker im Bunker den Erstschlag überlebt hätte.

Über Sinn oder Unsinn der Anlage spricht Elektriker Bernd Schröder nicht. Für den 57-Jährigen war und ist der Bunker Arbeitsplatz und nach 30 Jahren ein wichtiges Stück seines Lebens. Er sieht die Fakten: Hier wurde er gebraucht. So wie die Bundesrepublik in der politischen Auseinandersetzung während des Kalten Krieges für ihre eigene Sicherheit als Bestandteil einer globalen Sicherheit den Bunker brauchte.

Lehre im Berg

Es war 30 Jahre stets eine interessante Arbeit, die ihn mit dem Modernsten vom Modernen zusammen brachte, erzählt Elektriker Schröder. Und nicht ohne Stolz umschreibt er die Komplexität der Aufgabe: Die Schnellschlussklappen beispielsweise schirmten im Ernstfall die äußeren Lüftungszugänge in 30 Millisekunden mit 20 Tonnen Anpressdruck hermetisch ab - elektrisch, pneumatisch und hydraulisch. "Da musste sich der Elektriker auch mit den anderen Mechanismen auskennen - das hat die Sache interessant gemacht." Zwei Jahre habe es mindestens gedauert, bis selbst ausgebildete Fachleute alle Bereiche in der Anlage kannten und warten konnten. "Wir sind Spezialisten, die aber aufgrund der höchsten Geheimhaltungsstufe mit niemanden über ihre Arbeit sprechen durften." Auf seinen Beruf angesprochen war früher die lapidare Antwort: Elektriker. Karge Auskünfte, an die sich auch die Lehrlinge halten mussten. Denn wie in anderen Handwerksbetrieben auch, bildete der Regierungsbunker junge Leute aus: Sanitär- und Heizungsbauer, Klima- und Lüftungsbauer, Elektriker, Schlosser. In riesigen Werkstätten - im Verhältnis zu anderen Räumen des Schutzbaus - wurde geschweißt, gebogen, gelötet, gebohrt. Schaltschränke von der Dimension eines Reisebusses versorgten alle Bereiche mit Strom, Dieselmotoren lieferten im Ernstfall Energie. Hier arbeiteten sogar Kfz-Mechaniker.

Tunnel-Flitzer

Einer, der in einem solchen Kraftwerk für den runden Lauf der Aggregate sorgt, ist Schlossermeister Karl-Heinz Knebel. Der 61Jährige erlebte seinen Berufsstart im Bunker 1963 - mitten in der Bauphase. Ab 1970 gehörte er zum festen Inventar, tief unter dem Weinberg. Verantwortlich war er für die Mobilität im Berg: 22 Elektrokarren mit 50 Anhängern - ähnlich der Kofferwagen auf Flughäfen - und über 180 Fahrräder sowie die Verbrennungsmotoren standen unter seinem Kommando. E-Karren und Fahrräder waren quasi die Tunnelflitzer in den Röhren mit 4 Meter Durchmesser, die zum Teil zweigeschossig und auf beiden Ebenen mit Räumen und Sälen ausgebaut waren.

Ernstfall auf der Tagesordnung

Alle zwei Jahre kam Leben in die unwirkliche Bunkerszenerie, die U-Boot-Atmosphäre ausstrahlt. Dann stand im Rahmen eines NATO-Programms der Ernstfall auf der Tagesordnung. Innerhalb von 30 Minuten mussten die Bonner Bunkernutzer das Haupttor passieren, wurde das ganze System mit seinen über 30 Ausgängen innerhalb von 20 Sekunden mit einem einzigen Kopfdruck "dichtgemacht". Laute Warnhupen, rote Blinkleuchten. Fünf Sekunden später sprangen die Relaissteuerungen in den Schränken neben jeder Tür an, schlossen und verriegelten Hydraulikpumpen über die großdimensionierte Mechanik alle Türen und machten die Anlage zu einem der abgeschiedensten Orte der Erde.

Stille Nacht

Doch so bedrückend das Szenario auch heute noch wirken mag - im Berg ging das Leben und der Alltag weiter. Bernd Schröder: "Die Übungen waren eine angenehme Abwechslung, die Leute nicht düster oder kriegsversessen. Es war eine Übung - das hieß auch gutes Essen, Gespräche, Erläuterungen zu unserer Arbeit." Und der Handwerker erinnert sich an manche Weihnachtsfeier: Stille Nacht ausgerechnet an einem Ort, an dem es meistens ruhig zugeht und immer dunkel ist. "Es gab bunt geschmückte Tannenbäume, ein Glas Wein, Geschenke unter Kollegen." Und er spricht auch über den einen Zeitsoldat, im zivilen Leben Fleischer, der nach Dienstschluss die grüne Uniform gegen "Küchenweiß" eintauschte und in der Küche für kulinarische Hochgenüsse sorgte - vom Handwerker für Handwerker. Erinnerungen, und Handwerker Schröder, der inzwischen mit einem solchen Engagement Besuchergruppen durch alle Anlagen im Berg führt, dass man glaubt, er habe nie etwas anderes getan, gibt unumwunden auf die Frage nach seinen Gefühlen mit Blick auf das baldige Ende zu: "Man könnte heulen." Für den Lauf der Geschichte ist es ein Riesenerfolg, das nun Handwerker und nicht Soldaten die als uneinnehmbar geltende Festung "erobern", ist es ein Vermächtnis der Politik, das der Arbeitsplatz von Bernd Schröder, Karl-Heinz Knebel und der anderen Handwerker nie seine Bestimmung in letzter Konsequenz wahrnehmen musste.

Doch noch sind die Lichter in dem Tunnellabyrinth nicht erloschen: Die Arbeit der letzten Handwerker im "intakten" Bunker wird fließend in die der Handwerker übergehen, die mit dem Rückbau in den nächsten Tagen beginnen. "Würden einfach alle Maschinen abgestellt, würde das Wasser den Bunker kampflos einnehmen, 300.000 Liter täglich hineindrücken." Das Wasser ist auch der Grund für die aufwendige und kostenintensive Baumaßnahme: Es würde in jede Ecke der Anlage vordringen, eine Verunreinigung des Grund- und Quellwassers nach sich ziehen.

Damit die "Rückbauer" arbeiten können, muss also der Koloss am Leben erhalten werden, und das so lange, bis alles, vom komplexen Kraftwerk bis zur kleinsten Kabelspange abgebaut ist. Dafür müssen die Tunnel entkernt werden, Ausgänge gesprengt, die riesigen Bunkertore zerlegt werden. Noch viel Arbeit in einem Berg, der seinen Inhalt in Pension schickt...