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Das dritte Ohr PDF Drucken E-Mail
Montag, 27. Januar 2014

Bunker-Geschichte gibt Einblicke in Befugnisse der USA und reicht bis zur NSA-Debatte

„Das 3. Ohr--?“ und direkt daneben „VS-Wer hört mit?“. Die Aufkleber im Nachrichtenbunker der Bundesregierung erklären sich heute mehrdeutig, denn längst weiß niemand mehr, wer lauscht.

Deutschland als beliebter Tummelplatz von Geheimdiensten: Im Kalten Krieg ein Normalzustand, der sich aus der Feindschaft der Blöcke ergab, muss heute neu definiert werden. Mit- und abgehört wird mehr als je zuvor, doch wer wen warum anzapft, mag verwirren. Dabei regeln 50 Jahre alte Verträge und Gesetze Rahmenbedingungen, in deren Folge NSA & Co. das tun (dürfen), was jeder Geheimdienst tut: Er spioniert, sammelt Daten, wertet aus. Ein Blick in die Geschichtsbücher vermittelt nüchterne Fakten, die eng mit dem Ahrweiler Regierungsbunker in Verbindung stehen. Das Bauwerk war einst Bühne eines Probelaufs, bei dem Teile der Gesetzgebungen durchgespielt wurden, auf die sich heute noch US-Geheimdienste bei ihrer Arbeit in Deutschland berufen können.

Oktober 1966. Im Regierungsbunker läuft die NATO-Übung „FALLEX 66“. Politische und militärische Spitze der Bundesrepublik bewegen sich auf den 3. Weltkrieg zu. Erstmals wird dabei die Notstandsgesetzgebung erprobt. Ein strittiges Thema. Durch die regierende CDU seit fast einem Jahrzehnt bearbeitet, werden die Gesetze durch die mitregierende FDP wie auch die oppositionelle SPD abgelehnt.

Als SPD-Fraktionsführer stieg Helmut Schmidt 1966 hinab in die Tiefen des Eifelbunkers und erprobte zusammen mit der CDU Teile der Notstandsgesetzgebung, die Kollege …

In der geheimen Unterwelt des Regierungsbunkers kommt es dann zu einem geschichtsträchtigen Annäherungsversuch zwischen CDU und SPD.

Ernst Benda, Staatssekretär im Bundesinnenministerium und Helmut Schmidt, SPD-Fraktionsführer, loten Möglichkeiten einer beiderseitigen Zustimmung zu den Notstandsgesetzen aus.

Am 21. Oktober verlassen sie zusammen mit anderen Übungsteilnehmern den Regierungsbunker. Eine Woche später, am 28. Oktober 1966, zieht sich die FDP aus der Regierungskoalition mit der CDU/CSU zurück.

In der Folge einer neuen Regierungsbildung kommt es am 1. Dezember zur ersten großen Koalition zwischen CDU/CSU und SPD, die dann am 30. Mai 1968 die Notstandsgesetze im Deutschen Bundestag verabschiedet.

Am gleichen Tag wird – als Teil des Gesamtpakets Notstandsgesetzgebung – auch das sogenannte G-10-Gesetz im Deutschen Bundestag verabschiedet.

Es regelt Möglichkeiten der deutschen Geheimdienste, in Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisse einzugreifen.

Damit soll der „Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Bestand oder die Sicherung des Bundes oder eines Landes“ gestärkt sowie die Sicherheit der alliierten Truppen auf dem Gebiet der Bundesrepublik garantiert werden. Für den renommierten Freiburger Historiker Prof. Dr. Josef Foschepoth ist das aber nur eine oberflächliche Betrachtungsweise und die Spitze des Eisberges.

„In deutschen Gesetzen steht das geschrieben, was die USA vorgegeben haben“, bringt der Wissenschaftler auf den Punkt, was sich in Geheimpapieren der Bundesregierung wiederfindet. Und die wurden ganz im Sinne der USA und ihrer Einflussmöglichkeiten auf das besetzte Deutschland diktiert.

Noch heute liegen Unterlagen dazu in Geheimarchiven, unter anderem im Keller des Berliner Bundeskanzleramtes. Foschepoth ist der bislang einzige Historiker, der dort mit einer Sondergenehmigung forschen durfte. Seine Erkenntnis: Für mehr Eigenbestimmtheit hat die Große Koalition 1968 weitreichende Zugeständnisse an die USA gemacht. In der Folge wurde durch amerikanische Geheimdienste über Jahrzehnte vertragskonform, streckenweise unter großzügiger Auslegung eingeräumter Befugnisse in Deutschland spioniert und abgehört, darunter das Kanzlerinnenhandy.

Für Foschepoth ist viel Heuchelei im Spiel, wenn sich nun deutsche Regierungskreise über die US-Aktivitäten empören. Ein „no-spy“- Abkommen – also eine deutsch-amerikanische Einigung auf den Verzicht von Spionage unter Freunden – mag der deutschen Öffentlichkeit entschlossenes Handeln vermitteln. Doch die Grundlage, so Foschepoth, wäre zunächst die Überprüfung von Gesetzen, das „Revidieren des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut von 1963 oder die Kündigung der Zusatzvereinbarungen von 1968“. Doch davon spricht niemand in Berlin, schon gar nicht in Washington.

Über Jahrzehnte aufgebaut, haben die USA – allen voran über ihren Geheimdienst NSA – mit großem technischen, personellen und finanziellen Aufwand einen Überwachungsapparat in Deutschland geschaffen, den sie freiwillig wohl kaum zurückfahren werden.

Im Gegenteil.

Ein neues NSA-Zentrum in Wiesbaden soll technisch ganz neue Möglichkeiten der Überwachung bieten „und wir werden noch staunen, was von dort alles möglich sein wird“. Lange wurde über Aufgaben und Nutznießer des Neubaus spekuliert, an dem nur ausgesuchte US-Firmen heimische Technik verbauen durften. Schließlich bestätigte auf Nachfrage sogar der Bundesnachrichtendienst die NSA als neuen Hausherrn des Hochsicherheitskomplexes.

Zeugnisse technischer Strukturen der US-Nachrichtendienste finden sich auch 15 Jahre nach der Schließung im ehemaligen Regierungsbunker wieder.

So hat die Deutsche Telekom, als Dienstleister für Fernmeldeverbindungen laut G-10-Gesetz verpflichtet, den Geheimdiensten zuzuarbeiten, 1998 eine hochbrisante Leitung vom Bunker abgeklemmt.

Damit alles seine deutsche Ordnung hat, wurde bei Außerdienststellung exakt beschriftet: „Leitung 580/ 833850“ endet auf dem Areal der Patch Barracks in Stuttgart, die dortige Vermittlungsstelle steht wenige Meter neben dem NSA-Stützpunkt.

Der Hochsicherheitsbereich der US-Army ist noch heute aktiv. Wo das Kabel auf deutscher Seite in die Nachrichtenzentrale des Bunkers (Sendestelle Kirspenich) einführt, warnt ein runder roter Aufkleber: „Das dritte Ohr?“ vor möglichen Abhörern. Doch die guten alten Zeiten mit ihren geregelten Feindbildern sind vorbei und heute steht neben der Frage, ob abgehört wird gleich die, wer mitlauscht.

US-Stützpunkt Regierungsbunker

US-Verbindungsgruppen im deutschen Regierungsbunker, verdeckt arbeitende CIA-Mitarbeiter im Führungspersonal der Dienststelle Marienthal, zahlreiche Verbindungen auf der obersten Netzebene zwischen Bunker und US-Behörden auf dem Gebiet der Bundesrepublik und nachgeschaltete transatlantische Kabeltrassen – so wurde es im Kalten Krieg per Geheimvertrag geregelt, mit deutscher Technik eingerichtet und über Jahrzehnte - nicht nur mit Wissen deutscher Stellen, sondern auch dank ihrer Zuarbeit – betrieben und bezahlt.

Der Regierungsbunker als Kulminationspunkt eines Machtanspruchs im Extremfall bietet in der Feldforschung heute dankbare Hinweispunkte. Sicherlich war auch das ein Grund für den Wunsch der Bundesregierung nach einem gründlichen Kehraus, der mit dem Rückbau 2005 eine nackte Betonröhre, aber keine Spuren der Vergangenheit hinterlassen sollte.

Spuren der Vergangenheit – sie finden sich auch in der aktuellen NSA-Debatte wieder. „Die Verträge mit den USA sind noch immer gültig“, stellt Josef Foschepoth klar. Die Bundesregierung, so der Historiker, sei dabei selbst Teil des Problems. „Im Kern ging es immer um Geheimhaltung, von der Bundesregierung mitgewährleistet“, hinter der man den deutsch-amerikanischen Spionagealltag ungestört betreiben konnte. Das hat sich zwar mit den Veröffentlichungen von Edward Snowden geändert, „aber eine politische Kraft oder Bereitschaft, die in der Lage ist, unsere Gesetze und die Verträge mit den USA zu ändern, hat sich daraus bislang nicht entwickelt“.

Einer, der als Mitglied der G-10-Kommission Einblick in das nebulöse Treiben der Geheimdienste hat, ist Erwin Marschewski. Der CDU-Bundestagsabgeordnete aus Recklinghausen gehört zum erlesenen Kreis von vier Mitgliedern dieses Gremiums. Ein Mann, der in vieles eingeweiht ist und war: 1996 hatte er in einer Bundestagsdebatte die SPD-Kritik am hochgeheimen Regierungsbunker mit dem Satz beantwortet, „man liege in der Sache gar nicht so weit auseinander“. Lange, bevor das Bundesinnenministerium die Schließung zum öffentlichen Thema machte, war Marschewski über das Aus der unterirdischen Festung informiert. Was sich geändert hat: Den Regierungsbunker hat man abserviert, die G-10-Gesetze aber wird man so schnell nicht wieder los.

Zur Person:

Prof. Dr. Josef Foschepoth ist Historiker an der Universität Freiburg. Sein Fachgebiet ist die Zeitgeschichte. Wichtige Publikationen hat er zur Geschichte des Kalten Krieges, der Besatzungs- und Deutschlandpolitik der Westmächte, der deutsch-deutschen Beziehungen, der Geheimdienste und Überwachung der Bundesrepublik vorgelegt. 2012 erschien sein viel beachtetes Buch „Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik“, das in diesen Tagen bereits in 4. Auflage erscheint. Foschepoth konnte – als erster Wissenschaftler überhaupt - für seine Forschung auf Unterlagen zurückgreifen, die in Geheim-Archiven der Bundesregierung, unter anderem im Bundeskanzleramt, eingelagert sind und der Öffentlichkeit erst nach und nach zur Verfügung gestellt werden.

„Land unter Kontrolle“ ist der Titel einer 45-minütigen Dokumentation zur 60-jährigen Geschichte der Überwachung in der Bundesrepublik, an der der Freiburger Historiker maßgeblich mitgearbeitet und die am 27. Januar 2014 um 21 Uhr in 3Sat ausgestrahlt wird.