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4.884 Steckdosen, 282 Klosetts, 83.272 Tonnen Bauschutt PDF Drucken E-Mail
Freitag, 04. Dezember 2015

Rückbau-Ausschreibung: opulentes Zahlenwerk seziert Bunker in Posten und Positionen

751 Kilometer „Kabel aller Art“, 2.730 Stück „Aufbauleuchten mit Gitterabdeckung“ oder 12.057 Stück Verteilerdosen weist die Ausschreibung zum Rückbau des Regierungsbunkers aus. Noch nie lagen so konkrete Zahlen zum Bauwerk vor.

Das Schriftstück hat die Anmutung einer bürokratischen Dampfwalze: Auf 430 Seiten „Leistungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis nach VOB über Abbrucharbeiten DIN 18007 und Entsorgungsarbeiten“ wird der ehemalige „Ausweichsitzsitz der Verfassungsorgane“ relativ sachlich und gänzlich emotionslos in Tausenden von Einzelpositionen dargestellt. Doch nicht nur das Zahlenwerk ist interessant. Auch die zeitlichen Abläufe zu ihrer Entstehung geben aufschlussreiche Einblicke in die tatsächlichen Planungen des Bundes im Umgang mit seiner Bunkeraltlast 1998. Denn während öffentlich der Verkauf ausgeschrieben wird, plant man bereits den vollständigen Abriss.

Zu beneiden sind sie sicherlich nicht, die Mitarbeiter des Stuttgarter Unternehmens „Weidleplan Consulting GmbH“. Ab 1998 inventarisieren sie jede Verteilerdose, jeden Meter Kabel, jede Tür oder die 8.640 Leuchtstofflampen und vermerken alle Posten in ihren Übersichtslisten. Dabei geht es weniger um eine Bestandaufnahme im Zuge einer weiteren Vorhaltung der Anlage, sondern um die vollständige Liquidierung.

Insgesamt karrten die Rückbauer 83.272 Tonnen Material aus dem Berg. Eben noch Regierungsbunker, nun Bauschutt.

Für die Ausschreibung des Rückbaus brauchen Bewerber verlässliche Zahlen. Und die liefert Weidleplan, die regelmäßig dann, wenn der Bund „Geheim“ für seine Anlagen stempelt, zum Einsatz kommen: 751.084 laufende Meter „Kabel aller Art“, 3.871 Schalter, 615 Lautsprecher, 3.304 Zimmertüren, 5.570 Tonnen Basaltsplit in den unterirdischen Sandfiltern oder auch 266 ABC-Filterfässer werden notiert. Noch nie wurde es so konkret, geht es um die Physis des Bauwerks Regierungsbunker.

Fünfeinhalb Zentimeter ist das DIN A4-Manuskript der Bundesbaudirektion stark, das am 5. April 2001 gedruckt wird. Hinzu kommen 290 Seiten „Einzelbeschreibung mit Fotodokumentation“, 585 Seiten „Mengenlisten“ und 124 Pläne. Auf 1.430 Seiten bietet diese Bunker-Bibel nie gekannte Zahlen und Fakten. Für die interessierten Bauunternehmen ist der Wälzer auch eine organisatorische Herausforderung. Bis zum 12. Juni 2001 haben sie Zeit, zu prüfen und zu rechnen, gegebenenfalls einzureichen. Da es noch nie in der deutschen Geschichte einen vergleichbaren Rückbau gab, fehlen Referenzwerte. Entsprechend geht die Preisspanne bei den über 30 Angeboten auseinander. Zwischen 16 und 73 Mio. DM (Brutto) ist alles dabei. Im Schnitt sind es 43,5 Mio. DM, die dem Bund für die Beseitigung seiner Bunker-Hinterlassenschaft genannt werden. Und nicht alle schaffen ein fristgerechtes Durchackern der Zahlen-Kolonnen zu Metern, Tonnen oder Stücken. Das Unternehmen Peter Holthausen aus Düsseldorf verpasst die Einreichungsfrist um sagenhafte 49 Sekunden, wie der Pförtner am Empfang der Bundesbaudirektion vermerkt: 12. Juni 2001, 10 Uhr, null Minuten und 49 Sekunden. Damit ist das Angebot ungültig.

Notausgang mit Kabeln, Rohrleitungen und Leuchtstoffröhren. 8.640 dieser Lampen sorgten für Licht im Tunnel.

Doch die Bundesbaudirektion hat längst eigene Berechnungen zum Bunkerrückbau vorliegen, die langfristig erstellt wurden. Bereits am 5. August 1999 ruft ein internes Papier dafür präzise 54.660.328, 30 DM auf. Die Grundlage liefert Weideplan, die schon über zehn Jahre vor Ort sind und Ende der 1980er Jahre in die Brandschutzüberarbeitung eingebunden wurden. Insofern sind Bunker-Interna bekannt und die Aufnahme des Gesamtinventars ab 1998 ist eine Fortsetzung der bisherigen Bearbeitung um das Innenleben der Anlage.

Dass parallel zur Rückbauplanung durch Weidleplan und Bundesbaudirektion das Bundesvermögensamt den Verkauf der Anlage prüft, ist nicht nur irreführend, sondern für einige Kaufinteressierte ärgerlich, die ein Vermögen in Gutachten und Nachnutzungskonzepte stecken. Mindestens einer meldet anschließend Privatinsolvenz an, andere kämpfen noch bis 2001 um eine Übernahme und damit den Erhalt des Bunkers.

Dabei vermerkt die Oberfinanzdirektion Koblenz in einer Fußnote bereits 1998: „Eine letzte Besonderheit stellen die Fremdgrundstücke von 75 ha dar, unter denen die Bunkeranlage verläuft. Diese Flächen gehören (...) 96 Privatpersonen, die nach den gesetzlichen Bestimmungen des BGB Miteigentum an der Bunkeranlage erworben haben“. Eine Bewertung, die später korrigiert wird: Die oberirdischen Grundstückseigentümer sind nicht Miteigentümer, sondern rechtsverbindlich die alleinigen Besitzer und haben auch keine „Anteile“ am Bunker erworben, sondern waren bereits vor Baubeginn Eigentümer von Wald, Weinberg oder Wiese samt Untergrund. Ein Verkauf der Röhren im Berg ist so unmöglich und der Rückbau wird als einzig mögliche Zukunftsoption gezogen.

Badewanne aus dem Sani-Stollen des Bauteils 1. Bisher hieß es immer, im Bunker hätten zwei Badewannen (im Ostteil) gestanden. Doch die Rückbauunterlagen nennen vier, darunter zwei bisher unbekannte im Westteil.

Die hochkomplexe Bunkeranlage, zwischen 1962 und 1971 als technische Meisterleitung in den Ahrbergen versenkt, wird nun in Tonnen Bauschutt umgerechnet. Insgesamt 83.272 Tonnen Material müssen abgefahren werden, darunter 9.600 Tonnen Eisen, 90 Tonnen Kupfer, Messing und Bronze oder 195 Kilometer Rohrleitungen. Und es gibt einige Problempositionen wie 280 Tonnen Asbestplatten oder 170 Tonnen asbesthaltigen PVC-Belag. Sogar 35 Tonnen asbesthaltige Dichtbänder aus den insgesamt 193 Drucktüren werden aufgeführt. Wie auch vier Badewannen, von denen bislang nur zwei bekannt sind.

Den Zuschlag für das Abbruch- und Entsorgungsverfahren erhalten die Unternehmen Kneucker aus Mannheim und Schöndorfer aus Bad Reichenhall. Was genau dafür aufgerufen wurde, ist bis heute staatsgeheim. Doch Insider, darunter Schöndorfer-Mitarbeiter, nennen 16 Mio. DM. Das wäre weniger als ein Drittel dessen, was der Bund intern veranschlagt hatte. Das vor diesem Hintergrund Kneucker und Schöndorfer über den Rückbau in die Insolvenz schlittern mussten, erscheint im Nachgang nur folgerichtig. Wie auch das Votum von Florian Mausbach, Präsident der Bundesbaudirektion, für ein Museum auf soliden Zahlen basierte: Da der Abriss viel günstiger war, als vom Bund geplant, „konnte ich den Bundesfinanzminister überzeugen, wenigstens einen kleinen Teil zu erhalten um dort ein Museum einzurichten“. Es wurden immerhin 38 (von 54,7 geplanten) Mio. DM eingespart. Eine Zahl, die sich nahtlos einreiht in die historische Fehleinschätzung aller Beteiligten um das Thema Regierungsbunker.

Einige Zahlen aus der Ausschreibung für Rückbau und Entsorgung des Regierungsbunkers; das beigefügte pdf-Dokument ist für eine vereinfachte Suche nach Begriffen mit OCR-Texterkennungs-Software eingescannt:

Schutzplanke im Hauptflur: 1.864 m
Waschtische: 518 Stk.
Klosetts: 282 Stk.
Urinale: 83 Stk.
Handbrausen und Schläuche: 138 Stk.
Stahltüren: 3.304 Stk.
Drucktüren: 185 Stk. (davon 98 kraftbetätigt) sowie 8 MAN-Rolltore
Kompaktleuchtstofflampen: 8.640 Stk.
Aufbauleuchten mit Gitterabdeckung: 2.730 Stk.
Schalter (Wippen, Taste, Impuls): 3.871 Stk.
Steckdosen: 4.884 Stk.
Verteilerdosen: 12.057 Stk.
Warn- und Alarmhupen: 371 Stk.
Warnleuchten: 364 Stk.
Telefondosen: 960 Stk.
Lautsprecher: 615 Stk.
Brandmelder: 180 Stk.
Kabel (aller Art mit verschiedenen Leitungsquerschnitten): 751.084 lfm.
Rohrleitungen (verschiedene Querschnitte): 195.446 lfm.
Rohrpostleitungen: 2.240 lfm.
Schwingungsisolatoren: 6.236 Stk.
Schnellverschlüsse: 636 Stk.
Schnellverschlüsse Lüftung: 204 Stk.
Schnellverschlüsse Wasser (Zu- und Abwasser): 318 Stk.
Schnellverschlüsse Rauchgas: 39 Stk.
Jalousieklappen: 118 Stk.
Grünschnitt, Bäume, Sträucher: 160 t
Basaltsplit (Sandfilter): 5.570 t
Aktivkohle: 14 t
Holz: 30 t
nicht rostender Stahl: 35 t
Kupfer, Messing, Bronze: 90 t
Aluminium: 40 t
Nichteisen Mischschrott: 90 t
Eisen Mischschrott: 9.600 t
Asbestzementplatten: 280 t
PVC-asbesthaltige Bodenplatten: 170 t
Asbest (schwach gebunden): 55 t
Porenbeton: 5.400 t
Künstl. Mineralfaser: 540 t
Farben: 4.400 t
Bleibatterien: 310 Stk.
ABC-Filter (R 10): 266 Stk.
Materiallager: 30 t
Bauschutt Bauteile 1 und 2: 37.839 t
Bauschutt Bauteile 3 bis 5: 45.433 t
Bauschutt insgesamt: 83.272 t