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Geburtsstunde des "Ausweichsitzes" PDF Drucken E-Mail
Freitag, 20. Januar 2006

Vater und Sohn Walter entwerfen den Regierungsbunker

Foto: Konstruktionszeichnung für das Bauwerk 523, einen Abluftschacht im Teil West/West, der intern als Bauwerk 500 bezeichnet wurde, aus dem Oktober 1967.

Es waren einfache, drei Kilometer lange Röhren: 10 Meter im Durchmesser, an einigen Stellen gesprengt und mit Steintrümmern verstopft. Doch innerhalb von 12 Jahren entsteht in und um sie herum eine Kleinstadt. Atombombensicher, in sich autark konzipiert für den Morgen nach dem 3. Weltkrieg. Eine technische, architektonische, streng auf ihre Aufgabe zugeschnittene Meisterleistung - darin waren sich Freund und Feind des Regierungsbunkers einig. Doch wo wurde das schließlich 19 Kilometer lange Labyrinth zwischen Dernau, Marienthal und Ahrweiler entworfen? Wer waren die ersten Besucher zwischen Bauwerk 101 und 123 - unterwegs in einer Welt auf dem Zeichentisch, die es real noch gar nicht gab?

Rückblick

In die weite Welt sollten seine Wege in jungen Jahren führen, "weg aus Deutschland. Wir sind damals gerade noch aus Oberschlesien raus gekommen, als die russische Armee anrückte. Auf uns ist geschossen worden. So etwas prägt". Wir, das ist die Familie Walter.

Die Ironie der Geschichte: Jahre später gestalten die Walter´s mit ihrer Arbeit eines der wichtigsten militärstrategischen Objekte der Nachkriegsgeschichte maßgeblich mit. Doch das ahnte Hans Walter, zu Kriegsende 16 Jahre alt, da noch nicht. Im Ingenieurbüro seines Vaters Dr.-Ing. Paul Walter erlebte der spätere Regierungsbunker ab 1959 auf etlichen Zeichentischen seine Geburtstunde.

1929 geboren, absolvierte Hans Walter in Aachen ein Studium zum Bauingenieur. „Eigentlich hatte ich vor, anschließend ins Ausland zu gehen. Das Unternehmen meines Vaters hatte Niederlassungen in Afrika.“ Doch nach dem Ende seines Studiums blieb der 25-Jährige in Essen, heiratete ein Jahr später und stieg in den Familienbetrieb ein. Bereits vier Jahre danach huschten die Bleistifte für die ersten Zeichnungen und Konstruktionspläne für den „Ausbau der Anlagen des THW in Marienthal“ über die Zeichentische der „Dr.-Ing. P. Walter Ingenieurberatung“. Immer in enger Absprache mit der Bundesbaudirektion Berlin, Außenstelle Bonn, wurden die Vorgaben für den neuen Regierungsbunker auf Hunderten Konstruktionsplänen umgesetzt. „Wir bekamen Angaben zu den Seitentunnels, Belüftungsanlagen oder Außenabschlüssen und sollten eine Lösung finden, die bautechnisch allen besonderen Anforderungen an diese Anlage genügte und in der Ausführung machbar waren.“

Die Idee vom „Haus im Haus“

Dass Vater und Sohn Walter eigentlich ganz andere Pläne für einen atombombensicheren Ausbau hatten, spielte bei der Umsetzung aus Kostengründen keine Rolle. „Ich favorisierte wie mein Vater ein Haus im Haus, das heißt wir wollten den eigentlichen Bunkerkörper auf Federn in die Röhre der ehemaligen Eisenbahntunnel stellen. Die Anlage wäre so wesentlich unempfindlicher gegen Schockwellen gewesen – zum Vorteil der Stabilität der Hülle. Doch bei der Größe des Baus gab es dabei ein Kostenproblem." Dass sie mit ihrer Idee technisch ein Stück Zukunft in die jungen 60er Jahre brachten, erfuhren sie einige Jahre später beim Besuch eines amerikanischen Atombunkers bei Denver. „Es war eine Art Betriebsausflug, organisiert von der Bundesbaudirektion. Als wir in die Anlage kamen, stellten wir sofort fest, dass hier unsere Idee Wirklichkeit war. Nach diesem ersten Besuch fand auch noch die Visite in einer Abschussbasis für Atomraketen statt.“ Vorbeigeschaut bei zwei Protagonisten, die im Ernstfall aufeinandergetroffen wären – Ausgang ungewiss.

Für Hans Walter stand die Arbeit jener Jahre auf einem anderen Blatt, als seine ganz persönlichen Gedanken um das Wohl und Weh der Insassen. „Natürlich haben wir auf dieser Reise darüber gesprochen, was aus dem Ahrtalbunker im Fall einer atomaren Auseinandersetzung wird. Und auch darüber, was es nach vier Wochen zu regieren gäbe.“ Dass die Bundesrepublik Deutschland am Ende des 3. Weltkrieges 3000 Einwohner zählen würde, alle im besten Alter, war kein ernsthaftes Gesprächsthema im Kreis derer, die für die bauliche Umsetzung verantwortlich waren.

Bauplan und Waffenschein

20 Mitarbeiter waren ab 1960 in zwei Büros des Unternehmens in Essen und Köln mit dem Gesamtentwurf der Anlage beschäftigt – „alles unter strengster Geheimhaltung.“ Nach Ende der Arbeiten 1972 wurde alles „eingesammelt. Nicht eine Zeichnung durfte bei uns bleiben und reden durften wir natürlich auch nicht über diesen Teil der Arbeit“, erinnert sich Dr.-Ing. Hans Walter, der im Bereich Spannungsoptik promovierte.Um Geheimhaltung ging es auch beim Transport der „wertvollen“ Pläne zur Bauleitung nach Marienthal. „Irgendwann fragte uns ein Sicherheitsbeauftragter, wie wir eigentlich die Unterlagen für den Fall schützen, dass sie uns gewaltsam abgenommen würden. Darüber hatten sich mein Vater und ich nie Gedanken gemacht.“ Die Lösung war einfach: „Wir erhielten einen Waffenschein, doch die Waffe mussten wir aus der eigenen Tasche bezahlen. Es hieß, wir würden ein genügend hohes Honorar für den Entwurf vom Bund bekommen, da dürfe der Waffenkauf zur Sicherstellung dieser Arbeit wohl kein Problem sein.“ Immerhin kam der Rat von den Fachleuten zum Kauf einer Walter PPK. Die war ab dann Begleiter zwischen Essen, Köln und Marienthal.

Die ewige Bunker-Legende

Mit seiner Arbeit hatte Hans Walter an allen Überlegungen der Bundesbaudirektion Anteil, ging es um die Gestaltung der Anlage. Und so kam er auch einer Frage nahe, die seit Jahrzehnten auf Platz 1 der Bunker-Legenden steht: Gibt es einen Verbindungstunnel aus dem Bunkersystem noch „Irgendwohin“? Antwort: Nein. Immerhin folgt ein „Aber“, denn die Idee dazu wurde geäußert. „Ganz am Anfang stand für einige Zeit der Gedanke im Raum, den Bunker direkt mit einer Einrichtung in Bonn zu verbinden. Welche, wurde nicht gesagt. Doch nach einigen Wochen war die Sache vom Tisch. Zum einen aus finanziellen Gründen, zum anderen gingen die Verteidigungsexperten nicht von einem Angriff aus, der ohne Vorgeschichte plötzlich da war. Genügend Zeit, den Bunker mit Fahrzeugen zu erreichen, war einkalkuliert.“Dr.-Ing. Hans Walter ist einer der Zeitzeugen, die im zweiten Teil der Dokumentation über den Regierungsbunker mitwirken wird. Dieser Film, der auch erstmals bisher nicht veröffentlichtes Material aus dem Alltag im „Ausweichsitz“ zeigen wird, erscheint am Jahresende 2011.