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Verschwundene Tunnel PDF Drucken E-Mail
Sonntag, 28. Mai 2006

Mit Höhenzug und Mischwald das Staatsgeheimnis retuschiert

Grafik: Die 'Ur-Karte' von 1895 in der 1932 berichtigten Fassung zeigt die Tunnelbauten der 'Unvollendeten'. Das ändert sich 1958 - und damit bereits vor der 'offiziellen' Entscheidung für den Bau des Regierungsbunkers - auf Anweisung des Bundesinnenministeriums. Die Karten von 1932, 1958 und 1969 befinden sich am Ende des Fotoarchives.

Mit Beginn der Bauzeit der Eisenbahntunnel ab 1913 entstand nicht nur eine ganz reale Passage durch die Berge zwischen Dernau und Ahrweiler, die ein halbes Jahrhundert später zum Regierungsbunker ausgebaut werden sollte. Auch in den Landkarten des Ahrtals tauchten die Wege auf. Doch das sollte sich 1958 ändern. Das Staatsgeheimnis entwickelte sich in der realen Welt und verschwand zeitgleich als Anlage aus der kartografischen. Das man sich über die Lage des neuen Regierungsbunkers quasi an jedem Kiosk mit dem Kauf einer Landkarte informieren konnte, passte nicht in das Idealbild von Staatsgeheimnis der Bundesrepublik.

Nicht nur durch den Taleinschnitt in Marienthal wehte der laue Wind der Geheimniskrämerei. Der hatte mit der Entscheidung für den Bunkerausbau weite Teile behördlicher Einrichtungen erfasst, die zum Teil hunderte Kilometer entfernt lagen oder vermeintlich gar nichts damit zu tun hätten. Zu letzterem Kreis gehörten sicher die kartografischen Abteilungen verschiedener Ämter und Ministerien. Doch sie sorgten für das Verschwinden des markanten Tunnelbauwerks zwischen Dernau und Ahrweiler noch vor dem Tag dessen umfangreicher Erweiterung. Das Wie, Wo und Wann schrieb seine eigene Geschichte.

Der Ursprung des Ahrtal-Kartenwerks, mit dem man bis heute in "berichtigter" Form arbeitet, datiert aus dem Jahr 1895. Eine Überarbeitung wurde 1932 veröffentlicht. Zu sehen sind nicht nur Fixpunkte wie Schutzhütten im Wald, die Klosterruine in Marienthal oder Höhenzüge mit Bemaßung von Kuxberg & Co., die Karte zeigt auch den präzisen Tunnelverlauf der fünf Unterführungen für die "Unvollendete". Die Arbeiten an der Eisenbahntrasse waren in jenen Jahren entgültig eingestellt. Ein Bauwerk ohne Aufgabe, eine Bauruine für die Ewigkeit ... Doch spätestens 1958 war es mit der Ewigkeit in der Welt der Landkarten vorbei. Das Tunnelsystem unter dem Kuxberg wie auch Trotzenberg war verschwunden. Doch eine Frage bleibt - bis zum heutigen Tag: Auf welcher Grundlage wurde bereits 1958 und damit ein Jahr vor der "offiziellen" Entscheidung für den Bunkerausbau (dem immerhin ein umfangreiches Gutachten vorausging, an dem aber erst ab März 1959 gearbeitet wurde) entschieden, das fragliche Tunnelsystem zu retuschieren? Wie weit datieren die Planungen "Ausweichsitz" des Bundesinnenministeriums tatsächlich zurück? Oder ist das Verschwinden der Tunnelbauten aus der Kartenwelt genau zu dieser Zeit ein großer Zufall?

Die letzte zuvor aktualisierte Karte (1932) mit Tunnel diente ab 1959 bei der Aufnahme der Bauten im Zuge der Vorbereitung für den Bunkerausbau als Grundlage. Die Bauleitung der Dr. Paul Walter Ingenieurberatung nutzte diese Karte wie auch ein zweites Werk mit Übersicht zu Bodenbeschaffenheit, Gesteinausrichtung und -art für ihre Arbeit. Diese inzwischen nicht mehr ganz aktuellen Darstellungen waren auch Bestandteil des Gutachtens aus dem April 1959. Wer sich zu dieser Zeit für den Neukauf einer Landkarte entschied, war nicht über die zwei Tunnel zwischen Dernau und Ahrweiler im Bilde. Aus Sicherheitsgründen waren diese wie auch die weiteren drei Tunnel der unvollendeten Eisenbahntrasse Silberberg, Herrenberg und Sonderberg im wahrsten Sinne des Wortes ausradiert.

Doch die "Berichtigung" hatte ihre Eigenarten. Die ursprünglich durch die Topographen erstellte Karte enthielt alle Merkmale. Auf dem Dienstweg wechselte der Entwurf vom Landesvermessungsamt in das Innenministerium des Landes, das eine eigene kartografische Abteilung hatte und hat. Ein übliches Verfahren, bis zum heutigen Tag. Von dort führte der Dienstweg weiter ins Bundesinnenministerium, Hausadresse hier ebenfalls die kartografische Abteilung. Dort wurde das illustre Tunnelwerk als überarbeitungswürdiges Detail klassifiziert und eine entsprechende Nachricht per Dienstweg zurück an das Landesvermessungsamt übermittelt. Der Auftrag zum Retuschieren wurde dort umgesetzt, wobei das Verschwinden einer Sache durch die Entstehung einer anderen kompensiert wurde. Im Falle "Marienthal" wählte man Symbole für Mischwald und neue Höhenzüge samt Angabe der Meter über Null. Bestandteil dieser ersten Überarbeitung 1958 blieb allerdings der Bahndamm im Taleinschnitt Marienthal.

Ein Detail, dessen man sich schließlich in der nächsten "Berichtigung" 1969 annahm. Der Umbau vom Schienenweg zum Bunker war fast beendet: Den Damm in seiner ursprünglichen Form und Aufgabe gab es längst nicht mehr, da der nördliche Teil des Tales dahinter mit Abraum verfüllt war. Das so neu entstandene Hochplateau wurde als Höhenverlauf allerdings nicht eingezeichnet.

Die internen Abläufe zwischen Landesvermessungsamt und Bundesministerium unterlagen selbst auch der Geheimhaltung. Für erfahrene Kartografen war es dennoch kein Problem, zu erkennen, wo verändert wurde. Hintergrund des betrieben Aufwandes war die Desinformation des "Gegners" zur genauen Lage des Bunkers. Doch wenigstens der "Feind" in Ostberlin hatte sich bereits im Vorfeld mit Originalkarten versorgt. Dass es darüber hinaus auch Baupläne und eine Übersicht zur gesamten Anlage gab, war in Marienthal noch nicht bekannt. Hier ging jedoch seit einigen Monaten ein Mann seinen Aufgaben beim Tunnelausbau nach, der gerade für einen zweiten Arbeitsvertrag sein Einverständnis gegeben hatte. Neben einer handwerklichen Tätigkeit für ein Düsseldorfer Unternehmen zählte die Auslandsaufklärung der Staatssicherheit nun zu den Auftraggebern.

Dieses wie auch weitere Details zu(r) Bunkergeschichte(n) werden aktuell umfangreich aufgearbeitet und fließen unter anderem in die Fortsetzung der Film-Dokumentation ein.

Für die Unterstützung bei der redaktionellen Recherche zur Kartografie geht ein herzlicher Dank an Kajo Meyer, Bonn.