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Ein Gesetz und sein gebunkerter Millionenhaushalt PDF Drucken E-Mail
Dienstag, 09. Oktober 2007

9. Oktober 1957: Die Bundesregierung verabschiedet ihr Zivilschutzgesetz

Deckblatt des Gesetzestextes mit 39 Paragrafen über 'Maßnahmen zm Schutz der Zivilbevölkerung' vom 9. Oktober 1957.

Am 9. Oktober 1957 beschließt die Bundesregierung nach jahrelanger kontroverser Verhandlung das "Gesetz zum Schutz der Zivilbevölkerung". Es bildet die Grundlage für ein umfassendes, ziviles Schutzbauprogramm, dass allerdings nie in die Tat umgesetzt wird. Für den Bau des Regierungsbunkers ist es die Grundlage für eine Führung im Deutschen Staatshaushalt. Ab sofort kann man im Bundesinnenministerium auf Gelder zugreifen, die für diese Baumaßnahme seit Jahren vorhanden sind und angespart werden, allerdings einem Sperrvermerk unterliegen. Ergebnis politischer Scharmützel, die sich fernab der Öffentlichkeit zwischen Ministerien, Ministern und dem Bundeskanzler abspielen.

"Erhebe ausdrücklichen Widerspruch!"

Bonn am Abend des 2. Juni 1955. Zehn Minuten nach sieben rattert der Fernschreiber Nummer 24 im Bundeskanzleramt los. "...in anwendung des par. 26 der geschaeftsordnung der bundesregierung erhebe ich gegen den heutigen beschluss der bundesregierung ausdruecklichen widerspruch. gez. Schaeffer++". Staatssekretär Hans Globke registriert das Schreiben und lässt es um den Stempel "Dem Bundeskanzler vorzulegen" ergänzen. Konrad Adenauer zeichnet es schließlich ab.

Allzu lange hatte Finanzminister Fritz Schäffer den Bundeskanzler nicht in Ruhe gelassen. Exakt fünf Stunden und 50 Minuten hatte es gedauert, bis sich der querulante Finanzminister nach der Kabinettssitzung (an der er nicht teilnehmen konnte) meldete - diesmal "aus den Ferien", wie er später den vermeintlich späten Eingriff in die deutsche Politik begründete.

Nicht zum ersten Mal fanden sich Tagesordnungspunkte in Kabinettsbesprechungen ausgerechnet dann wieder, wenn Schäffer auf Reisen oder im Urlaub war. Man hatte sich daran gewöhnt - in den Bonner Sitzungen wie auch der Finanzminister selbst, der stets einen Staatssekretär als verlängerten Arm in die Kabinettsbesprechungen schickte, der dort gegen alles Mögliche die Bedenken des nicht anwesenden Finanzministers vor trug, ging es um Geldfragen. Anschließend wurde an Schäffer Bericht erstattet.

Ein Thema, dass dem streitbaren Politiker aus Bayern längst ans Herz gewachsen war, stand an diesem 2. Juni auf dem Besprechungsplan des Kabinetts: Das Luftschutzprogramm. Natürlich eingebracht von Innenminister (und Widersacher in dieser Sache) Dr. Gerhard Schröder.

Der lange Weg zum Luftschutz

Fast drei Jahre zuvor, am 11. Juli 1952, lädt das Bundesinnenministerium zur ersten Besprechung über den "Entwurf eines Luftschutzgesetzes" ein. Die Planung für einen Regierungsbunker wurde kurz zuvor - welch ein Zufall - abgeschlossen. Auf der Einladungsliste stehen alle Bundesministerien, der Kanzler bis hin zum Präsidenten des Bundesrechnungshofes. Ein streitbares Thema, wie sich schnell herausstellt. Zum einen geht es um die Entscheidungskompetenz. Der Bund will per Grundgesetzänderung die Hoheit erlangen - gegen den Länderwillen. Zum anderen geht es um die Frage, wie das alles finanziert werden soll. Hier tritt Fritz Schäffer auf den Plan. Er wird die vorgeschlagenen Luftschutzmaßnahmen als "unproduktiv und überaus kostspielig" bezeichnen. "Sie werden ohne Zweifel die konsequente Fortführung der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik beeinträchtigen (...)."

'Haben es durchgezogen'. Bundesinnenminister Dr. Gerhard Schröder (links) mit seinem Nachfolger in diesem Amt, Hermann Höcherl. In deren Amtszeit (1953 bis 1965) fällt die Entscheidung für den Bau des Regierungsbunkers und die Umsetzung.

Über solche Fragen einer sinnvollen Finanzpolitik entwickelt sich sehr schnell zwischen Schäffer und Adenauer eine "Männerfreundschaft". In die werden in Fragen des Luftschutzes auch bald der Bundesinnenminister, der Bundesminister für Wohnungsbau und der Bundesminister für Vertriebene eingebunden. Der Innenminister will und braucht - u.a. bedrängt vom Amt Blank als Vorläufer des Bundesverteidigungsministerium - sein Gesetz, der Minister für Wohnungsbau will keine finanziellen Abstriche beim damals dringend notwendigen Neubau von Wohnungen (die Schäffer ankündigt, sollte das Gesetz verabschiedet werden), der Minister für Fragen der Vertrieben muss in Allianz mit dem Ressort für Wohnungsbau sehen, dass die Übersiedler ein Dach über den Kopf haben. Man verbündet sich mit dem Kanzler gegen Finanzminister Schäffer. Doch der hält eisern seinen Sparplan durch.

Der Finanzminister kapituliert

Bis zum 9. Oktober 1957. In Bonn findet die letzte Kabinettssitzung der alten Regierung statt. Tage zuvor gewinnt die Koalition aus CDU und CSU mit Konrad Adenauer an der Spitze die Wahlen zum zweiten Deutschen Bundestag mit über 50 Prozent. Unter Tagesordnungspunkt 6 steht das "Gesetz über Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung; hier: Zustimmung der Bundesregierung nach Artikel 113 GG".

Die Unterschrift wie auch die Teilnahme an der Kabinettssitzung allerdings verweigert Fritz Schäffer - als einziger Minister der Regierung. Für ihn unterzeichnet Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß. Der umsichtige Finanzier mag gewusst haben, welche Möglichkeiten sich mit dem Gesetz verbinden und wie man das eingestellte Budget auch umwidmen kann.

Die Mittel im Einzelplan 06 "allgemeine Bewilligungen für Zwecke des zivilen Luftschutzes" des Bundesinnenministeriums waren ab 1955 in einem Titel für den "Ausbau von Luftschutzstollen" durchaus vorhanden. Auch wurden sie von Jahr zu Jahr kräftig angespart. Einziges Manko: Diese Mittel waren auf Initiative des Finanzministeriums gesperrt und konnten nicht abgerufen worden. Das Sparschwein wurde so praller und praller.

Die neue Bundesregierung (ab 1957) entwickelt ganz neue Pläne im Bereich des zivilen Bevölkerungsschutzes. Schäffer, nun Justizminister, kann nicht mehr in finanzielle Fragen eingreifen. Um so mehr sein Nachfolger, Franz Etzel. Doch der, das werden die kommenden Jahre zeigen, leistet hier keinen Widerstand.

Im Gegensatz zur Opposition.

Es ist der 27. Juni 1958. Die 36. Sitzung des Bundestages beginnt um 9.02 Uhr mit Ovationen für eine Abordnung britischer Kollegen. Dann rollt das Alltagsgeschäft.

Dr. Annemarie Renger (in einem ihrer letzten Interviews im November 2007; sie stirbt am 3. März 2008) stellte als junge Bundestagsabgeordnete 1958 unangenehme Fragen zur Finanzlage des neuen Zivilschutzgesetzes. 'In der Hauptsache geht es leider um den Schutz von Regierungsbauten'

Bis zum Auftritt der SPD-Abgeordneten Annemarie Renger nach dem Aufruf zum "Einzelplan 36. Zivile Notstandsplanung". Sie schließt sich ihren Vorrednern nicht an, die gerne "aus Zeitgründen" auf das Recht vor dem hohen Haus zu sprechen, verzichten und auf zuvor schriftlich abgegebene Erklärungen verweisen.

Renger geht für den Umdruck 114 in die Bütt. "Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesem Haushaltsjahr ist uns zum ersten Male der Einzelplan 36 vorgelegt worden." Ein paar Sätze weiter kommt die junge Abgeordnete auf den Punkt. "Nach wie vor ist die Situation für die Bevölkerung die, daß, wenn eines Tages eine Katastrophe eintreten sollte, sie ihr hilflos ausgeliefert wäre. (...) Die Notstandsmaßnahmen im Rahmen des Einzelplans 36 bestehen leider in der Hauptsache darin, den Schutz von Regierungsbauten und die Nachrichtenübermittlung darin sicherzustellen."

Die spätere Bundestagspräsidentin hat einen wunden Punkt im Visier. Das Gesetz zum zivilen Bevölkerungsschutz parkt Mittel im Haushalt, die endlich einen Bunkerbau für die Regierung ermöglichen. In der Addition werden sie das gesamte Programm dominieren. Das weiß damals weder die Regierung selbst, noch die Opposition. Interessanter-, und brisanterweise werden sie wechseln. Und das Marienthaler Programm über alle politischen Machthaber, Zweifel, und Einwände durchziehen. Dabei entspricht diese Baumaßnahme weder den Richtlinien des Gesetzes zum zivilen Bevölkerungsschutz selbst, noch erfüllt sie die rechtliche Grundlagen der staatlichen Haushaltsführung.

Schwarze Bunkerkasse

1962 veröffentlicht die 'Quick' ein Bild der vermeintlichen Großbaustelle am Regierungsbunker. Doch abgesehen von einer kleinen Baracke und einem PKW gibt es nichts zu sehen. Ganz anders stellt sich das im Staatshaushalt dar, der bereits 1961 über 74 Mio. DM für die Maßnahme bereit hält.

Über die streckenweise "Umnutzung" eines ganzen Gesetzes kann man heute leidenschaftlich diskutieren. Oder Zahlen sprechen lassen. Bereits im Jahr der Verabschiedung des Gesetzes zum Bevölkerungsschutz 1957 gab es im Einzelplan 06, Kapitel 20, Titel 606 (Ausbau von Luftschutzstollen) unter "Mithin Gesamtsoll" einen Betrag von 14,5 Mio. DM (nach heutigen Maßstäben ca. 70 Mio. Euro). Es ist die finanzielle "Keimzelle" der Bonner Bunkerbauerei.

1958 - hier wechselt der entsprechende Haushaltstitel erstmalig! - liegt der Regierungsbunker-Titel mit dem frisch eingezahlten Haushaltsbetrag 1958 noch an Rang 5 von 12 Titeln. Ein Mittelfeldplatz.

Eigenwilliges Konstrukt: Nicht nur der Bunker selbst (im Bild der Schalungsaufbau eines Fluchtstollens auf der grünen Wiese) hatte architektonisch einiges zu bieten, auch seine Finanzierung darf als außergewöhnliches Gebilde bezeichnet werden. Was beides eint: Wenig öffentliche Transparenz.

Der ab sofort eine rasante Entwicklung hinlegt.

1959 - der Titel wechselt erneut! - hat sich das Bunkerbauprogramm in der Zusammenrechnung aller Gelder (Gesamtsoll) bereits auf Platz 4 unter 25 Einzeltiteln vorgearbeitet. Die Bundesbaudirektion schätzt im April des Jahres die Baukosten für den Regierungsbunker auf 40 Mio. DM. Eine Woche nach dieser Richtmarke verfügt das Bundesministerium für wirtschaftlichen Besitz des Bundes, "dass die Baumaßnahme nicht in die sonst üblichen Haushaltsmittel einbezogen wird".

Am 18. Juli 1960 kommt schließlich die Weisung von ganz oben aus dem Bundeskanzleramt: "Die Zweckbestimmung der Ansätze im Bundeshaushalt soll getarnt werden. Aus Geheimhaltungsgründen soll im Bundeshaushalt auch der Umfang des Gesamtprojektes nicht ausgewiesen werden."1961 - wieder wechselt der Titel! - ist Rang 3 unter 37 Titeln geschafft. Das Gesamtsoll beträgt über 74 Mio. DM. Zu dieser Zeit laufen an der Ahr im Trotzenberg- sowie Kuxbergtunnel gerade einmal die Vorarbeiten. Von einem Bunker ist weit und breit nichts zu sehen, auch nichts von seiner Erstellung.

Abgetarnt: Die Baustelle (am Ostzugang, im Hintergrund Ahrweiler) verschwand unter Tarnnetzen, die Finanzierung auf Anweisung des Bundeskanzleramtes aus dem öffentlichen Haushalt.

1962 - der guten Tradition halber wechselt der Titel erneut! - ist es vollendet. Im Einzelplan 36, der in 45 Titeln alle Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung zusammenfasst, liegt das inzwischen angelaufene Bauprogramm für den Regierungsbunker in Marienthal auf Platz 1 beim Gesamtsoll. Exakt 100 Mio. DM stehen hierfür zur Verfügung (rund 450 Mio Euro!). Mehr als 10 Prozent aller bewilligten Mittel fließen in dieses Projekt. Und das ist erst der bescheidene Anfang einer milliardenschweren Investition, die kurze Zeit später in einen Nachtragshaushalt wechselt, um sich jeglicher Transparenz zu entziehen - selbst gegenüber den Haushaltsprüfern des Bundestages.

Die teuerste Einzelinvestition in der Geschichte der Bundesrepublik zieht ihre baulich umgesetzte Bahn und zapft stets mehrere Haushaltstitel an. Interessanterweise wird in einigen Jahren an einem Titel mehr Geld abgerechnet, als hier offiziell eingestellt ist.

Den am meisten bemühten Ansatz gibt es bis zum heutigen Tag. Auch das Gesetz für zivilen Bevölkerungsschutz gibt es - in abgewandelter Form - noch immer.

Fast 50 Jahre nach ihrer Rede im Deutschen Bundestag äußert sich Annemarie Renger, die am 7. Oktober ihren 88. Geburtstag feiern konnte, nochmals zum Marienthaler Bauprogramm.

"Ein Abgeordneter hat immer die Chance, Fragen zu stellen. Wenn er will." Die Bundestagsabgeordnete von 1953 bis 1990, Bundestagspräsidentin über vier Jahre, außerdem Vorsitzende des Gemeinsamen Ausschusses nach Artikel 53a des Grundgesetzes, auf die Frage, welche Kontrollmöglichkeiten das Abgeordnetenhaus in Hinblick auf geheime Projekte wie den Bau des Regierungsbunkers hatte und hat (im Interview für Teil 2 der Filmdokumentation über die "Verschlusssache Regierungsbunker").