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Freitag, 12. Oktober 2007

Wenn ein Ausweichsitz auf Reisen geht

Deutschlands feudalster Ausweichsitz: „Haus Horst“ diente der Landesregierung Rheinland-Pfalz ab 1963 als Adresse im Kriegsfall.

Nicht nur die Bundesregierung schuf sich für einen Ernstfall im Kalten Krieg ihre Bunker-Notunterkunft. Auch die Landesregierungen wurden durch den Bund angewiesen, sogenannte "befestigte Befehlsstellen" als Ausweichsitz vorzuhalten, um von hier im Krisenfall weiter regieren zu können. In der Serie "Macht aus der Tiefe" werden einige dieser Bunkeranlagen (unter Exklusiv) vorgestellt. Aktuell die Ausweichsitze des Landes Rheinland-Pfalz - ein Wechselspiel zwischen "Lernen und Leeren". Schuleinrichtungen wurden ausgebaut, dann aber drei Mal wieder verlassen.

Das Grollen und Stampfen über dem Bunker kommt näher. Es läuft der nächste Angriff. Dann ein dumpfer Knall, ein Pfiff. Freiwurf. Wie es bei diesem Handballspiel steht, weiß man zwar nicht in den Gängen einige Meter unter dem Hallenparkett, auf das Tempo lassen sich allerdings dank der Akustik klare Rückschlüsse ziehen. Und das ist an diesem Nachmittag recht flott über dem Ausweichsitz der Landesregierung Rheinland-Pfalz.

In der Turnhalle des Aufbau-Gymnasiums in Alzey geht es turbulent zu - ganz im Gegensatz zu den zwei Etagen darunter. Jede Dramatik hat hier mit dem Ende des Kalten Krieges Auszug gehalten. Die insgesamt 60 Räume sind verlassen, einige fungieren heute als Lager für Aktenordner oder Jodtabletten. Allein die Technik der Stromversorgung, Klimatisierung oder Lüftung ist noch an ihrem Platz. Wie auch die kleinen Schildchen in den Türrahmen, die erzählen, welches Mainzer Ministerium wo sein Krisenrefugium bezogen hätte. Besonders gut vertreten: Das Ministerium für Landwirtschaft, Weinbau und Forsten. Fünf Räume im 2. Untergeschoss waren für dessen Vertreter reserviert. Eher bescheiden: Die Geschäfte der Staatskanzlei spielten sich in einem Zimmer mit 12 Quadratmetern ab.

Mitte der 70er Jahre machen Pläne in den zuständigen Stabsstellen der Mainzer Landesregierung die Runde, die sichtbar einen Turnhallenneubau in Alzey planen - weniger sichtbar auch die Welt darunter. Im ersten von zwei Untergeschossen sollen die Funktionsräume liegen. Hier soll die Übungsleitung einziehen, das Lage- und Meldezentrum, die Polizeiführung bis hin zum Verfassungsschutz. Auf einer Gesamtfläche von 30 mal 20 Metern ist außerdem die Eigenversorgung der Anlage sicher gestellt, inklusive großer Sandfilteranlage.

Atombunker "light"

Doch insgesamt ist es ein Bunker "light". Türen und äußere Verschlüsse entsprechen überhaupt nicht der knallharten Atomwaffenvorstellung á la Marienthal. Es ist die fortgeschrittene, zweite Phase des Kalten Krieges. Längst wird nicht mehr alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Das gilt auch für die Verpflegung der Insassen selbst, deren Elite aus den Ministerien im geschützteren 2. Untergeschoss wohnt: Bei den WINTEX-Übungen kocht die Schulküche des Aufbau-Gymnasiums für die heimlich im Bunker Hockenden. Zu den Mahlzeiten rückt ein mobiles Kommando unter Führung des Hausmeisters plus Handwagen am Bunkerzugang an und sorgt mit warmer Kost für ein wenig Abwechslung im Bunkeralltag, den auch die sportlichen Übungen auf Ebene Null akustisch mitprägen. Auch die Schulklingel ist im Bunker zu hören. So weiß man unter Tage, dass Draußen noch alles in Ordnung ist. Auf Sonderausstattungen wie ein Wasserwerk mit eigenem Tiefbrunnen, hydraulische Türen oder große Funkanlage verzichtete man in Alzey. Ein großer Wasservorratstank tat´s auch, und leichte Panzertüren mit Handbetrieb boten/bieten den Vorteil, dass man mit wenig Kraftaufwand rein und raus kommt. Außerdem kosteten solche Türen einen Bruchteil ihrer schwer gepanzerten Artgenossen. Die Funkanlage stand in drei Kisten verpackt im Notausgang und wurde zu Übungsbeginn mit einigen Handgriffen und Heringen für die Verankerung im Boden sendefertig gemacht.

Deutschlands feudalster Ausweichsitz

Doch die Mainzer Planungen waren nicht immer so einfach. Rheinland-Pfalz leistete sich Anfang der 60er einen ganz anderen Ausweichsitz. Und auch den Luxus, gleich drei Mal umzuziehen. Es war ein Wechsel aus Lernen und Leeren.

Das Moseltal bei Traben-Trarbach. Ein verträumter Flecken Erde. Touristen fühlen sich hier wohl, die zahlreichen Weinstöcke in Hanglage auch. Nicht einmal 50 Kilometer weiter ist Deutschland zu Ende. Geografisch gleich aus zweierlei Gründen ein ideales Bunkerareal: Weit im Westen und damit ein gutes Stück Wegstrecke für den anrückenden Feind entfernt. Darüber hinaus bietet der steil ansteigende Moselschiefer idealen Schutz und ist gern gesehenes Areal für Betonbauten darunter. 1963 reichen diese Vorzüge, um den Sitz der rheinland-pfälzischen Landesregierung im Notstandsfall hierher zu verlegen. Nach dem Provisorium in Bad Sobernheim an der Nahe, wo man sich im Staatlichen Neusprachlichen Gymnasium einrichtete, soll der Umzug in die Nähe von Traben-Trarbach folgen.

Das Land hat dafür eine Top-Adresse im Auge: Haus Horst. Die Formulierung lässt nichts Spektakuläres vermuten. Tatsächlich handelt es sich um ein Schloss in bester Lage. Am 6. Februar 1963 antwortet das Mainzer Innenministerium auf Drängen des Bundesministers des Innern, der an die Ausweichplanungen seiner Landeskollegen erinnert: "Es trifft zu, dass wir die endgültige - und sobald fernmeldetechnisch möglich, auch die vorläufige - Befehlsstelle der Landesregierung in Haus Horst bei 5581 Burg über Bullay (Bez. Koblenz) einrichten werden."

Anschließend beginnt der Umbau. Mit ihm entsteht im nachgelagerten Schlossgarten ein großes Loch. Im Haupthaus wird eine Schule für den Luftschutz eingerichtet, die sich über mehr als 120 Leitungsanschlüsse für Fernschreibmaschinen und Telefonapparate freuen kann. Normal ist das nicht - genau so wenig wie das, was die ausführenden Handwerker so alles über die Gartenplanung hören. "Es machte das Gerücht die Runde, da soll ein großer Bunker gebaut werden", erinnert sich Elektromeister Walter Hissen, der damals beim Umbau mitarbeitete. Parallel entsteht im Zufahrtsbereich zum Schlosskomplex ein gut geschützter und getarnter Garagenkomplex mit 17 Stellplätzen unter Erde - direkt neben einem Dienstgebäude, das den Einlass auf das vollständig eingezäunte Areal regelt.

"Haus Horst" zu Fallex 66 angemeldet 

1966 bestreitet die Landesregierung die Übung "Fallex 66" aus "Haus Horst". Am 17. Oktober um 8.57 Uhr setzt der Stab zum ersten Mal ein Fernschreiben ab und meldet den planmäßigen Bezug. Um 11.15 Uhr wird der Übungsstab des Bundesinnenministeriums im Regierungsbunker angefunkt. Ab dann geht es via Kabelstrang in verschiedenen Geheimhaltungsstufen kreuz und quer durch die Republik. Am 21. Oktober - also vier Tage nach Übungsbeginn - um 10.22 Uhr meldet man sich mit Fernschreiben Nummer 455 das letzte Mal von der Mosel - und beim BMI ab: Die Übung wird ohne besondere Vorkommnisse beendet.

Die technische Funktionsfähigkeit aller Fernmeldeverbindungen war nachgewiesen. Allein: Für einen bombensicheren Schutz des Ausweichsitzes hatte man bisher nichts unternommen. Das ausgehobene Loch im Garten, teilweise mit Beton ausgegossen, wurde in Stufe 2 durch Maurer mit Mörtel und Ziegelsteinen in wenige, kleine Räume parzelliert. Auch an Treppen und Türen hatte man gedacht - doch mit einem Bunker hatte all das nichts zu tun. Den oberen Teil des Schlossgartens schmückte inzwischen ein massives Eingangsbauwerk - ohne dass dem etwas Unterirdisches folgte.

Wer die weiteren Ausbaupläne für das feudale Kriegsdomizil gestoppt hatte und warum, bleibt das kleine Geheimnis dieses keineswegs gewöhnlichen Ausweichsitzes, der heute als Teil des Standesamtes Traben-Trarbach Heiratswilligen eine vorzügliche Adresse bietet.

Im Erdinnern wurde eine Übungstrecke der Luftschutzschule für Gaseinsätze jeglicher Art errichtet. Der schwere Zugang im Oberteil wurde zum Munitionslager umgewidmet. Fakt ist, dass noch 1977 "Haus Horst" im Übungsplan der großen NATO-Stabsübung seinen Platz hatte - auch ohne befestigten Ausweichsitz. Rheinland-Pfalz deklarierte, wie andere Bundesländer auch, den Ausbau des befestigten Befehlsstandes zur Langzeitmaßnahme.

Die Maßgabe des Bundes wurde dann mit dem Ausbau des Sitzes im verkehrstechnisch von Mainz wesentlich günstiger erreichbaren Alzey umgesetzt - allerdings in einer Phase des Kalten Krieges, in der man die Gefahr für einen tatsächlichen Konflikt zwischen den Blöcken wesentlich entspannter wahrnahm. Ein Bunker "light" war das Ergebnis, in dem ab 1981 die Kommandostabsübungen abgehalten wurden.

Ausweichplanung am Ende

Am 13. Januar 1993 bittet das Bundesinnenministerium, über die "Ausweichsitzplanung der Länder" zu informieren. Am 26. Februar kommt aus Mainz die Antwort: "Das Land Rheinland-Pfalz verfügt nach wie vor über einen geschützten Ausweichsitz für die Landesregierung. Aufgrund der geänderten sicherheitspolitischen Lage in Mittel- und Osteuropa beabsichtigt die Landesregierung jedoch, den Ausweichsitz aufzugeben." Damit vermerkt der Bund in seiner Zusammenfassung für Rheinland-Pfalz (wie auch für Hessen): "Ausweichsitz wird demnächst aufgegeben." 11 Länder waren als Beispiel dafür bereits voran gegangen, eines "frostet" seinen Ausweichsitz ein, eines wird ihn behalten.

Nur in Thüringen hatte sich die politische Großwetterlage offensichtlich (wie auch die mit dem Bau verbundene Finanzproblematik) noch nicht wirklich herumgesprochen, denn als einzige Landesregierung vermeldet die Erfurter Spitze: "z. Zt. Kein Ausweichsitz, über evtl. künftige Planungen wird aber noch entschieden."

Dem Aufbau-Gymnasium Alzey wurden anschließend durch das Land die Bunkerräumlichkeiten zur freien Nutzung überlassen. Die Schulleitung verpachtete einen Teil der rund 1.200 qm Fläche, ein Teil wurde zu Umkleideräumen für die Sporthalle umgebaut. Auch für den restlichen Teil beginnen sich die Gymnasialschüler zu interessieren und tauchen unter Führung des Direktors und des Hausmeisters in diese vergessene Welt des Kalten Krieges ein, die sie nun auf ihre Weise erobern. Geschichtsunterricht der anderen, der besonderen Art.

Für die freundliche Unterstützung geht ein herzliches Dankeschön an Schulleiter Wolf-Dieter Stotz und seine Mannschaft (Aufbau-Gymnasium Alzey) wie auch an Familie Dölbor, Schloss Burg.