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Die Rückkehr der 68er PDF Drucken E-Mail
Samstag, 07. Juni 2008

40 Jahre Notstandsgesetze, Proteste, und ein Bunker als unsichtbares Feindbild

Friedensdemonstration 1981 am Bunker, organisiert durch die Grünen, deren Ursprung sich aus der 68er Bewegung ableiten lässt. Anfang der 80er Jahre nahm man den Regierungsbunker als Feinbild wahr und besuchte ihn regelmäßig – bis man als Regierungspartei selber zu den Übungen einrückte.

Die 68er Bewegung feiert Geburtstag: Vor 40 Jahren wird sie geboren aus dem Widerstand gegen die Verabschiedung der Notstandsgesetze. Gewerkschaften, Studenten, sogar Teile der F.D.P. hatten massiv davor gewarnt: Dem Staat würden neue Machtinstrumente in die Hand gegeben, die weite Teile der Demokratie aushebeln könnten. Voraussetzung: In der Bundesrepublik würde ein innerer oder äußerer Notstand ausgemacht.

Mit dem Verteidigungsfall aufgrund eines militärischen Angriffs durch den Ostblock können damals viele mehr anfangen, als mit dem Ausrufen eines inneren Notstandes. Wer ist der Feind und was hat er vor? Wer legt fest, wer überhaupt wann ein Feind ist?

Es entwickelt sich die erste große Protestbewegung der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Proteste der Jahre 1967 und 1968: Der Staat wurde zum ersten Mal massiv Sinnbild des Widerstandes auf der Straße. Worum und warum hier gestritten wurde, war bald nicht mehr allen Beteiligten bewusst. Es ging um den Widerspruch, um die Einschränkung politischer Entscheidungsfreiheit.

Im Grunde hatte die 68er Bewegung, sollte die Verabschiedung der Notstandsgesetze der ausschlaggebende Maßstab sein, versagt. Doch eigentlich auch nicht. Es war eine neue Form der politischen Auseinandersetzung entstanden, nicht ganz zufällig weitestgehend getragen von der ersten „vollständigen“ Nachkriegsgeneration. Die war 1968 gerade im besten Alter angekommen, irgendwo um die 20 Jahre alt. Die eigene Wahrnehmung und die der Gesellschaft entwickeln dann eigene Antriebskräfte. Es geht um die grundsätzliche Veränderung.

Ein Wechselspiel, das einige 68er in der Wahrnehmung bis in die Jetztzeit individuell interpretieren: War es die Gesellschaft, die man prägte oder schließlich die Gesellschaft, die sich ihre anarchischen Widerständler gefügig machte und sie als Professoren, Vorstände oder Minister wieder einverleibte? Es wird, gerade zum 40. Geburtstag, munter darüber kommuniziert. Auch durch 68er selber. Einer ihrer kritischsten Vertreter, Prof. Dr. Götz Aly, konsterniert sachlich: „Diese Bewegung hat nichts hinterlassen, außer sich selbst“. Widerspruch, so der Berliner Professor, sei zwecklos, denn rein wissenschaftlich sei diese Zeit quasi Niemandsland und habe wenig zu bieten. Wichtige Dokumente, wichtige persönliche Nachlässe, wichtige Schriftstücke – Fehlanzeige. So hinterlässt eine Generation, die für sich die Form des Kampfes über das geflügelte Wort in Anspruch nahm, nicht viele Worte um die wahren Inhalte ihres Protestes.

Die damalige Regierung aus CDU/CSU und SPD stellte diese ohnehin ad absurdum. Die Notstandsgesetze als Instrument waren ja nur wirksam, so lautete die Bonner Argumentation, würden diese ausgerufen. Die Gesetze wurden selbst in der SPD als Notwendigkeit verstanden - Einschränkung von Streikrecht und damit Beschneidung der gewerkschaftlichen Macht hin oder her.

Ging es also in der Auseinandersetzung zwischen dem eigentlich kleinen Kreis der harten 68er und der Regierung um ein wahres Problem, oder um den Kampf für ein Stückchen mehr Freiheit in der Auseinandersetzung? Um die Eingrenzung politischer Möglichkeiten über die Bewegung der Straße? War es einfach nur ein Stück neues Demokratieverständnis, das sich aus sich selbst heraus zu einer kritischen Größe entwickelt hatte?

Bei den Gedanken zurück an jene Maitage und die Entscheidung im Deutschen Bundestag gehen den Zeitzeugen verschiedener Lager ganz unterschiedliche Gedanken durch den Kopf. Der damalige Innenminister Prof. Dr. Ernst Benda äußerte sich jüngst in einem Interview eher zurückhaltend. Nichts von politisch aufwühlendem Tiefgang, sondern eine sachliche Begründung für die Entscheidungen und ihre Notwendigkeit. Einzig seine Mitarbeit mehr als 10 Jahre am Konzept der umstrittenen Notstandsgesetze war so nicht oder nur wenigen bekannt. Eine interessante Datumsangabe, denn so fällt sein Mitwirken in jenen zeitlichen Korridor, in denen der Urentwurf auf die Reise geschickt wird. Eine Ausarbeitung der Jahre 1955, 1956. Eine Zeit, in der ein Walter Bargatzky oder ein Theodor Busse maßgeblich im Bundesinnenministerium zusammen mit ihren Referenten schon einige Aktenordner Notstandsplanung in den Regalen der Bonner Diensträumen in der Rheindorfer Straße 198 abgestellt hatten. Abteilungsleiter Walter Bargatzky (Abteilung römisch sieben) wie auch General a.D. Theodor Busse als Leiter des Organisationsstabes in dieser Abteilung waren mit der Abteilung I und VI des Bundesinnenministeriums Konstrukteure des fragilen Planes, der sich aus verschiedenen Bausteinen zusammensetzte. Einer sah die Änderung des Grundgesetzes vor. Doch gerade hier – lange bevor dies öffentlich wahrgenommen werden kann, da BMI-intern „Geheim“-eingestuft – stößt der damalige Bundesinnenminister Dr. Gerhard Schröder als starker Verfechter (wie auch sein Nachfolger Hermann Höcherl) auf massiven Widerstand durch die Länder. Diese sehen eine Einschränkung ihrer Befugnisse im Bereich der Zivilverteidigung und eine exorbitante finanzielle Belastung. Der Bund macht Mitte der 50er Jahre mit einem Maßnahmepaket von mehr als 1,2 Mrd. DM von sich Reden. Die Länder sollen sich beteiligen und leisten vehementen Widerstand gegen die Gesamtplanung. Aus der schert 1958 eine Maßnahme aus: Im Rahmen der Evakuierung der Regierung aus Bonn soll ein wirklich krisenfester Befehlsstand entstehen – für einen inneren wie auch äußeren Notstandsfall. Der Bunker der Bundesregierung lässt sich schneller und einfacher erstellen, als die begleitenden Notstandsgesetze verabschiedet werden können. Für die deutsche Innenpolitik eine ungewöhnliche Situation, denn beides gehört zu einem Programm. So wird der Bunker zum Gehilfen der Gesetzgebung, als man 1966 im fertig gestellten Ostteil im Rahmen der Kommandostabsübung „FALLEX 66“ die fix und fertigen Gesetze aus der Schublade holt und den eingerückten Abgeordneten – auch denen der oppositionellen SPD – als Grundlage der Krisenbewältigung auf den Tisch legt. Taktisch gelingt der Schachzug, denn wer ernst genommen werden will in diesem Szenario, muss sich mit den Vorsorgeplänen des Innenministeriums auseinandersetzen. Gerade den SPD-Abgeordneten soll die Angst vor den ungeliebten Gesetzen genommen werden. Das klappt auch relativ gut. Allein in Reihen der mitregierenden F.D.P. macht sich Widerstand bemerkbar. Eine Woche nach diesen Meinungsverschiedenheiten, die wegen der Geheimhaltung im Bunker nicht zutage treten dürfen, trennen sich die Regierungsparteien CDU/CSU und F.D.P.. Das Ende der gemeinsamen Regierung.

Doch der lange Kampf des Bundesinnenministeriums für die Verabschiedung der Notstandsgesetze ist noch immer nicht zu Ende. Es vergehen noch einmal 17 Monate, bis am 30. Mai 1968 die Abstimmung im Bundestag für klare Verhältnisse sorgt.

Notstandsplanungen in Ost und West

Die ostdeutsche Staatssicherheit hilft mit bei der bundesdeutschen Aufarbeitung der Notstandsgesetze und veröffentlicht Anfang Mai 1968 und damit knapp einen Monat vor der Verabschiedung im Bundestag, eine Zusammenfassung mit den wichtigsten Eckpunkten. Die Auswertung der Geheimdienste steht für deren Gründlichkeit - genauso wie für deren propagandistische Ausschlachtung der Staatsführung in Ostberlin.

Den Weg dahin begleitet die Staatssicherheit der DDR propagandistisch mit. Typisch Deutsch, und da nehmen sich West wie Ost gar nichts, wird gründlich vorgegangen. Für den 2. Mai 1966 organisiert der „Nationalrat der Nationalen Front des Demokratischen Deutschland“ eine Pressekonferenz in Berlin (Ost), an der auch Journalisten aus Deutschland/West teilnehmen – so vom ZDF oder der Presseagentur Reuter. Letztere will wissen, wie der Osten in den Besitz des brisanten Materials gekommen sei. Die Antwort: Man könne dem Osten alles vorwerfen, nur nicht, dass, „wenn wir zu Pressekonferenzen einluden und Ihnen unbekannte Dokumente unterbreiteten, Sie auch nur mit einer einzigen Unwahrheit konfrontiert haben.“ Die Auslandsaufklärung der Staatssicherheit hatte einiges zusammengestellt – allein der öffentlichkeitswirksame Zweck heiligte die Mittel nicht wirklich. Die Stoßrichtung der Agitation war zu offensichtlich.

Hervorgehoben wird auch eine Anfrage des Vertreters der CSSR – und dies mitten in den geheimen Ostblock-Verhandlungen zur Lage in der Tschechoslowakei. (Der Prager Frühling ist kurze Zeit später die 68er Bewegung des Ostens.)

Penibel berichten die Veranstalter über die „wahren Hintergründe“ der Notstandsgesetze. Die Renaissance des Faschismus in der BRD, die Wiederkehr alter NS-Größen, derer aus der Wehrmacht. Unter dem Titel „Notstandsgesetze – das Ende von Demokratie und Sicherheit“ wird anschließend sogar eine Broschüre herausgegeben, die detailliert Steilvorlagen für die Propaganda (West) gegen die Notstandsgesetze geben soll – wenige Tage, bevor diese am 30. Mai 1968 im Bundestag verabschiedet werden.

Für das Bundesinnenministerium – und allein hier weiß man ganz genau, wie all die Pläne wirklich sind und was über mehr als ein Jahrzehnt wechselnder Inhalt der Gesetze mit allen Auswirkungen war – ist seit der ersten Vorlage bis zum Tag der Verabschiedung mehr als ein anstrengendes Jahrzehnt vergangen. Dr. Gerhard Schröder hatte einst in einer Hauruck-Aktion versucht, das Programm durchzudrücken.

Doch wirklich triumphieren kann schließlich niemand. Ex-Bundesinnenminister Schröder, inzwischen Verteidigungsminister, bleibt der Entscheidung im Bundestag fern, deren Ausgang vorgezeichnet ist. Wie auch viele andere Abgeordnete nicht dabei sind. So ist die Besuchertribüne des Parlamentes besser gefüllt, als die Reihen im Saal der Volksvertreter.

Familienangelegenheit. Die Töchter von Walter Bargatzky, Janina (vorne) und Theodor Busse, Annemarie, im rückgebauten Regierungsbunker (2007). In beiden Familien wurde über den Bunkerbau gesprochen. Die Entscheidung für die ebenfalls über Jahre begleiteten Notstandsgesetze spielte dagegen keine Rolle.

Und was spielt sich an diesem denkwürdigen Tag in den Familien Bargatzky und Busse ab? Nichts. „Ich habe mich über die Proteste im Vorfeld gewundert“, erinnert sich die Tochter von General a.D. Busse, Annemarie, und war „verwundert über die Szenen von Gewalt, über die man in den Zeitungen berichtete. Ich empfand das Leben insgesamt als gut und verstand nicht, warum das durch einige Leute so in Frage gestellt wurde“. 1968 bleibt der Familie aus anderen Gründen in Erinnerung. Mutter Camilla stirbt. Und Vater Theodor Busse hatte bereits Jahre zuvor im Austausch mit Innenminister Höcherl prognostiziert, „das die Notstandsgesetze nicht mehr aufzuhalten sind.“ Es war also nur eine Frage der Zeit. Der ehemalige General stand der ministerialen Maschinerie mit all ihren bürokratischen Bremsklötzen immer skeptisch gegenüber. Längst war ihm jegliches Verständnis für den taktisch-politischen Eiertanz im „Bundesdorf Bonn“, wie er die provisorische Hauptstadt stets nannte, verloren gegangen. Also zur Kenntnis nehmen und abhaken – wenn auch viele Jahre zu spät.

Auch bei Bargatzkys war die Gesetzesverabschiedung wie auch die damit verbundene Protestbewegung kein großes Thema in der Familie. „Ich war als Kind zu jung dafür. Mein Vater war längst aus dem Bundesinnenministerium ausgeschieden und hatte über seine Arbeit keinen unmittelbaren Kontakt mehr zum Thema“. Erinnerungen von Tochter Janina. Und auch Ehefrau Camilla, heute 92 Jahre alt, kann sich an keine nennenswerte Reaktion ihres Ehemanns erinnern.

Der Kreis schließt sich am Bunker

Sternfahrt der Friedensbewegung zum Bunker (1. September 1985). Während der Bundesgrenzschutz Fotoapparat und Filmkamera auf die Angreifer richtet, dürfen die Mitarbeiter die unterirdische Trutzburg nur noch über einen Notausgang (Bauwerk 283, Dernau Tankstelle) betreten und verlassen.

Was jene Notstandsgesetze über ihre eigene Existenz hervorgebracht haben? Unter anderem eine politische Opposition, die sich mit den Grünen selbst zur Regierungspartei entwickelt hat. Der Kreis schließt sich am Regierungsbunker, in den man dann selbst im Kriegs- und Krisenfall eingezogen wäre. Auf dem – zeitlichen - Weg dahin rückte man gerne und regelmäßig diesem Betonungetüm auf die Pelle. Die Friedensdemonstrationen in den 80ern endeten unter anderem im malerischen Marienthal. „Wer Bunker baut, denkt auch an Krieg und plant ihn“ stand da auf den Plakaten, getragen von Menschen, die sich als Leichen „getarnt“ vor dem Zaun der Anlage hinlegten und Atomtod spielten. Der Bundesgrenzschutz bewachte unterdessen die wertvolle Bundesimmobilie und hielt für die eigene Dokumentation im Bild fest, wer da starb – natürlich als Verschlusssache und heute nicht zugänglich.

Prominenter Besuch am Regierungsbunker (4. April 1981). Petra Kelly, Gründungsmitglied der Partei "Die Grünen", rückte dem Betonklotz während einer Demonstration zu Leibe. Kuriosum der Geschichte: Nach ihrem Tod rückte jene Partei, die sie mit gründete, als Regierung selber im Bunker ein und spielte Krieg.

Unterdessen mussten die Bunkerangestellten ihren Arbeitsplatz über einen den Friedensaktivisten unbekannten Seitenausgang erreichen und verlassen. Selbst die Belegschaft aus dem östlichsten Bunkerteil, heute Museumsmeile, rückte unbemerkt im Ahrbauwerk an Dernaus Tankstelle ein. Dann ging es rund einen Kilometer bergauf Richtung Bauteil 4 (West), von dort über den Hauptflur, durch den Verbindungsstollen weiter in den Ostteil. So hatte man täglich für die An- und Abreise acht zusätzliche Bunkerkilometer in Kauf zu nehmen, während sich draußen Petra Kelly & Co die Frage stellen durften, wie die Welt unter den Bergen aussieht und welche Schicksalsmelodie dort im Ernstfall gespielt wird.

Das Ende vom Lied: Auch die Grünen, inklusive der 68er Protestler, haben sich über die Übungen den Bunker „reingezogen“, schließlich in der Regierung mitgewirkt, die den Rückbau beschloss. Dabei kam – da passt es dann wieder – dem Umweltschutzgedanken eine zentrale Rolle zu. Eine erschreckend makellose Reinigung schloss sich an. Da staunen bei ihrem Besuch im Museum heute sogar die ehemaligen Friedensaktivisten, die vor über 20 Jahren als Leiche vor dem Marienthaler Eingang lagen. So sauber war ihr Verständnis für die Rolle dieser Anlage nie gewesen. Und es mischt sich auch ein wenig Wehmut in die Aussage, das ehemalige Feindbild so vorzufinden. Das Ende einer langen Beziehung, die mit den Protesten um die Notstandsgesetze vor 40 Jahren begann. Zu der auch gehört, das während der 12-jährigen Bauzeit nicht einmal vor dem künftigen Bunker und zu dessen Verhinderung auch nur eine Demonstration der Notstandsgegner stattfand.